Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Investoren im deutschen Fußball: Zwischen Totenkopf und Silberstern
> Der deutsche Fußball könnte künftig verstärkt auf Investoren setzen.
> St.Pauli-Geschäftsführer Rettig warnt vor einer Entdemokratisierung.
Bild: Andreas Rettig 2016 im Millerntor-Stadion in Hamburg
Hamburg taz | Sepp Herberger, der deutsche Weltmeistertrainer von 1954, hat
mal gesagt: „Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie es
ausgeht.“ Ein überholter Satz, inzwischen weiß man, wie es ausgeht:
Deutscher Meister wird die Fußball-AG des FC Bayern München. Fünfmal in
Folge war das nun so, gegen ein sechstes Mal spricht wenig, erst recht seit
Alt-Trainer Jupp Heynckes wieder in München wirkt.
Andreas Rettig, dem Geschäftsführer des Zweitligisten FC St. Pauli, kann
das eigentlich egal sein, er muss sich ja nicht mit den Bayern messen. Über
Rettigs Büro im Millerntorstadion wehen drei ziemlich zerfledderte Fahnen.
Eine mit Totenkopf auf der linken Seite, eine Regenbogenflagge rechts, und
in der Mitte die braun-weiße mit dem halb abgerissenen Logo des FC St.
Pauli drauf. Irgendwie kultig, aber 2. Liga. Und ohne Konkurrenten vom
Format des FC Bayern, der tadellosere Vereinsfahnen und mehr Geld besitzt.
Trotzdem trägt Andreas Rettig in seinem Büro neben einer schwarzen Hose und
einem typischen, weißen Geschäftsführer-Hemd auch ein paar Sorgen mit sich
herum. Es geht ihm um die Ausgeglichenheit im deutschen Profifußball, um
die Wahrung und Integrität des Wettbewerbs, um das deutsche Vereinswesen,
um Investoren – um Grundsätzliches also. Und um die 50+1-Regel.
Diese Regel der Deutsche Fußball Liga (DFL) schreibt vor, dass an einem
Profifußballbetrieb wie etwa der FC Bayern München AG der Mutterverein,
also der FC Bayern München e. V., die Stimmenmehrheit hält – und nicht die
Investoren, die im bayrischen Fall Adidas, Allianz und Audi heißen. Dadurch
bestimmt der Verein, zumindest in der Theorie, die strategische Ausrichtung
der Aktiengesellschaft. So soll garantiert werden, dass die AG im Sinne des
Fußballsports geführt wird – und keinen Investoreninteressen unterliegt.
Andererseits bringen Investoren frisches Geld in einen Markt, der, so
scheint es, bald alle vorhandenen Monetarisierungsmöglichkeiten
ausgeschöpft hat.
## Die 50+1-Regel abschaffen?
Das weiß auch Rettig: „Fällt die 50+1-Regel, wird mehr Geld in den
Kreislauf kommen“, sagt der St.-Pauli-Geschäftsführer. Dann folgt eine
kurze Pause, ein „aber“, schließlich dies: „Profitieren würden die
Großklubs, das Gap würde größer. In Hessen würde Eintracht Frankfurt mehr
Geld bekommen als Darmstadt 98.“
Rettigs Conclusio, die er schon häufig gezogen hat, lautet: „Investoren
sind nicht die Lösung des deutschen Fußballs, weder national noch
international.“ Rettig und der FC St. Pauli, der immer noch ein etwas
anderer Verein ist, dürfen in der Debatte um Fußball-Investoren als
antikapitalistisch gelten – obwohl natürlich auch der Millerntorverein
streng durchökonomisiert ist.
Der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga, Christian Seifert, sieht
die Dinge ein bisschen anders als Andreas Rettig, vielleicht muss er das
sogar. Seiferts Denken wird vom europäischen Wettbewerb beeinflusst, vom
globalen Kampf um asiatische Absatzmärkte und lukrative TV-Verträge.
Seifert würde den Bundesliga-Markt gerne weiter für Geldgeber öffnen, die
Anreize erhöhen.
Praktisch besehen würde er am liebsten gleich die 50+1-Regel abschaffen.
Nur sagt er das nicht so direkt, vorerst jedenfalls. Zu groß wäre der
Widerstand aus den ohnehin investorenfeindlichen Fankurven im Land, deren
Stimmungsmache einen gewichtigen Teil der Bundesliga-Unterhaltung ausmacht.
„Völlig unvoreingenommen“ müsse über das Fortbestehen der Regel diskutie…
werden, meinte Seifert im April dieses Jahres, Klubs könnten nicht so
einfach gekauft oder verkauft werden. „Deshalb ergibt es Sinn, die
Situation zu regulieren. Ich bin nicht davon überzeugt, dass der komplett
freie Markt die Antwort auf alles ist.“ Seifert pirscht sich langsam an, er
agiert öffentlich noch im Defensivmodus.
## Investoren wollen Mitspracherechte
Investoren wollen Mitspracherechte für das Geld, das sie geben. Je mehr
Mitspracherechte, umso mehr Geld. Eine einfache Rechnung, die neue Stars
garantiert und die Erfolgsaussichten deutscher Klubs in der Champions
League steigert, dem wichtigsten europäischen Klubwettbewerb. Wer darin
erfolgreich abschneidet, erhält wiederum weltweite Aufmerksamkeit, die
Umsätze steigen, die Attraktivität der Bundesliga gleich mit. So geht die
Logik bei der DFL.
Andreas Rettig hält davon wenig. „Es ist naiv zu glauben, dass Bayern
München einen Neymar für 222 Millionen Euro verpflichten würde. Dann käme
halt ein Scheich und würde noch einen draufsetzen, deren Möglichkeiten sind
unbegrenzt.“
Scheichs und Oligarchen, die etwa den Fußball in Manchester oder Paris
beherrschen, will man aber in Deutschland nicht, das hat auch kulturelle
Gründe. Spätestens seit der TSV 1860 München mit dem jordanischen Investor
Hasan Ismaik unter lautem Getöse in Liga 4 gerauscht ist, gelten
Öl-Millionen als schmierig.
Begehrt hingegen ist der deutsche Euro. Vermögende alte Männer wie
Hoffenheims Dietmar Hopp, HSV-Geldgeber Klaus-Michael Kühne oder Hannovers
Hörgerätehersteller Martin Kind sind bei der DFL herzlich willkommen, sie
gelten als vertrauenswürdig, seriös. Sogar St. Paulis Manager Andreas
Rettig findet: „Mit Hopp habe ich nullkommanull Probleme. Sein Investment
hat eine andere Qualität als das von Ismaik.“ Hopp, der in Hoffenheim über
300 Millionen Euro investiert hat, kommt aus der Region, ihm unterstellt
die Branche ein Interesse an der Sache selbst.
Als verlässliche Partner gelten prinzipiell auch Großkonzerne wie Bayer, VW
oder Mercedes. Der Silberstern leuchtet inzwischen verstärkt beim VfB
Stuttgart. Für 41,5 Millionen Euro hat sich die Daimler AG 11,75 Prozent
der Anteile an der VfB AG gesichert.
„Ein erfolgreicher Fußballverein kann für uns ein Standortvorteil sein.
Auch wir kämpfen um Talente. Dabei spielt die Gesamtattraktivität dieser
Region eine wichtige Rolle. Zudem haben wir viele Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die dem VfB emotional verbunden sind. Daher sehen wir es auch
als eine Verpflichtung, die Entwicklung unseres Nachbarn mit
voranzutreiben. Wir wollen ein positives und emotionales Signal für
Stuttgart und die Region setzen“, begründet der Konzern sein Investment.
Kapital made in Germany – eine attraktive Möglichkeit, die der deutsche
Fußball gerne nutzen möchte. Rettig dagegen warnt: „Kein Investor macht
etwas in einem Klub nur aus reiner Liebe zum Fußball.“
Die DFL übt sich gerade darin, die eigenen Regularien zu umgehen, um
Investoreninteressen über Vereinsrechte zu stellen. Der Fall Martin Kind
legt dies nahe, seit 2008 schon. Damals holte die DFL ein externes
Gutachten ein. Sie ließ überprüfen, welche Profiteams die 50+1-Regel
erfüllen und welche nicht. Darin stand über Hannover 96: „Nach unserer
Auffassung sprechen gute Gründe für einen Verstoß der bei Hannover 96
vorgefundenen gesellschaftsrechtlichen Struktur gegen die 50+1-Regelung.“
## Kritische Fälle
Neben dem kritischen Fall Hannover 96, über den taz, Bild und Spiegel
bereits am vorletzten Wochenende [1][ausführlich berichteten], listet das
geheime DFL-Gutachten weitere kritische Fälle auf. Darunter den FC
Augsburg, Eintracht Frankfurt, 1899 Hoffenheim und den SV Wehen Wiesbaden.
Beim FC Augsburg, wo zum damaligen Zeitpunkt Andreas Rettig die Geschäfte
führte, soll es sich wohl um einen Formfehler gehandelt haben. „Für den FC
Augsburg gab es damals eine Strafe nach einem Austausch mit der DFL. Es
handelte sich dabei um eine Fahrlässigkeit, nicht um eine vorsätzliche
Missachtung der 50+1-Regel“, sagt Rettig. Die Sache sei schnell behoben
worden und dann erledigt gewesen.
Da mutet es umso merkwürdiger an, dass Hannover 96 angibt, von dem
Gutachten nichts gewusst zu haben. Über die Fälle Eintracht Frankfurt und
Wehen Wiesbaden sind Details nicht bekannt. Bei 1899 Hoffenheim dürfte wohl
der Hopp-Einfluss eine Rolle gespielt haben.
Dass die DFL so intransparent agiert, wirkt befremdlich. Anfragen zum
Hannoveraner 50+1-Ausnahme-Verfahren bleiben unbeantwortet.
Andreas Rettig mahnt grundlegende strukturelle Änderungen an. „Die
Integrität des Wettbewerbs muss gewahrt bleiben. Es kann doch nicht sein,
dass ein Vertreter von Eintracht Braunschweig mitentscheidet, ob Hannover
96 die Lizenz erhält oder nicht. Wir brauchen eine ausgelagerte, neutrale
Instanz, die rein nach wirtschaftlichen Kriterien urteilt, ob ein Klub die
Bedingungen der DFL erfüllt oder nicht.“ Worte, die Christian Seifert von
der DFL, die um jeden Preis die große Bühne bespielen will, ungefähr so
gerne hören wird wie diesen Sepp-Herberger-Satz: „Fußball ist das Theater
des kleinen Mannes.“
19 Nov 2017
## LINKS
[1] /Investorenfussball-in-Hannover/!5460099
## AUTOREN
David Joram
## TAGS
FC St. Pauli
Andreas Rettig
Fußball
Geschäftsführer
TSG Hoffenheim
Fußball
Hannover 96
FC St. Pauli
FC St. Pauli
50+1-Regel
Lesestück Interview
TSV 1860 München
## ARTIKEL ZUM THEMA
DFL-Chef Seifert kündigt Abgang an: Stratege mit Geltungsdrang
Christian Seifert wird ab Juli 2022 nicht mehr die Geschäfte der Deutschen
Fußball Liga leiten. Zuletzt hat er sich als Krisenmanager profiliert.
Grassierender Anti-Hoppismus: Keine Ultra-Geschmacklosigkeiten
Hoffenheims Mäzen wird wieder mal beleidigt. Das Spiel wird unterbrochen.
Steht der Milliardär etwa unter besonderem Schutz?
St.-Pauli-Präsident über Investitionen: „Bitte keine Rattenrennen“
Der FC St. Pauli hat bei der DFL den Antrag gestellt, die 50+1-Regel
beizubehalten. Das kam durch, aber von einem Erfolg will niemand sprechen.
Anwalt Hüttl über Fußball und Fans: „Das ist mein Verein“
Rechtsanwalt Andreas Hüttl vertritt Ultras vor Gericht und ist Mitglied bei
Hannover 96. Gegen die Übernahme durch Investoren schließt er auch eine
Klage nicht aus.
Trainerwechsel beim FC St. Pauli: Ende einer Auswärtsfahrt
Der FC St. Pauli entlässt seinen Trainer Olaf Janßen. Sein Nachfolger wird
der ehemalige Karlsruhe-Coach Markus Kauczinski.
St. Pauli spielt unentschieden: Müde ins Mittelmaß
Nach dem 2:2 gegen Jahn Regensburg steht der FC St. Pauli im Niemandsland
der Zweiten Bundesliga.
Investorenfußball in Hannover: Erhebliche Zweifel an Kind
Der Klubboss von Hannover 96 will das alleinige Sagen haben. Stimmt der
Ligaverband dem zu, verstößt er gegen die eigenen Kriterien.
Martin Kind über Kontrolle in Hannover: „Gut, weil wir so entschieden haben�…
Der Präsident von Hannover 96 spricht im Interview zu Ultras und der
50+1-Regel. Er erklärt, warum ein Verkauf der Profiabteilung bevorsteht.
Kolumne Liebeserklärung: TSV 1860 München!
Der Abstieg, die Randale, der Investor, das Stadion, das Spiel – alles
stößt mich ab. Doch ich bin Fan. Warum auch immer.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.