# taz.de -- Datenschutzaktivist über digitale Spuren: „Keine Sau beschwert s… | |
> Wer hat die Macht über unsere Daten? Dies sei die essentielle Frage der | |
> Zukunft, sagt der österreichische Jurist und Aktivist Max Schrems. | |
Bild: Max Schrems passt auf seine Daten auf – und auf unsere | |
taz: Herr Schrems, mit dem Smartphone tragen wir die Wanze in der eigenen | |
Tasche und spätestens mit dem Internet der Dinge hinterlassen wir sogar | |
Datenspuren, wenn wir die Heizung höher drehen. Wäre es nicht | |
realistischer, sich an den Gedanken einer Gesellschaft ohne Privatsphäre zu | |
gewöhnen? | |
Max Schrems: Wir müssen tatsächlich damit rechnen, dass sehr bald alles, | |
was wir machen, Daten produziert. Zumindest dann, wenn wir nicht als | |
Einsiedler auf einer verlassenen Hütte in einem Funkloch und ohne | |
Telefonanschluss leben wollen. Was aber nicht die Lösung sein kann, und | |
daher finde ich, es muss einen Mittelweg geben. | |
Was wäre denn der Mittelweg? | |
Der Mittelweg ist: Ja, ich hinterlasse Spuren. Aber ich entscheide darüber, | |
wie diese Daten genutzt werden. | |
Momentan ist es eher so: Die Unternehmen entscheiden, wie die Daten | |
verwendet werden, und die Nutzer können nur abnicken. | |
Genau das ist das Problem. Und warum ist das so? Nicht weil die Gesetze so | |
schlecht wären, sondern weil sich keine Sau mal beschwert, also ernsthaft | |
etwas macht. Alle sagen, wie böse Facebook oder Google ist, und gehen dann | |
wieder Bier trinken. Aber so ändert sich gar nichts. | |
Spüren Sie denn in der Gesellschaft überhaupt das Bedürfnis nach besserem | |
Schutz? Schließlich nutzen 55 Prozent der Deutschen täglich Whatsapp, 93 | |
Prozent aller Suchanfragen laufen über Google, obwohl es Alternativen | |
gibt. | |
Ich glaube, dass der Durchschnittsbürger es nicht überblickt. Aber daran | |
hat der Nutzer überhaupt keine Schuld. | |
Sondern? | |
Die wenigsten Menschen sind Experten für Bauordnungen. Trotzdem gehen wir | |
tagtäglich in Gebäude und setzen voraus, dass die Vorschriften schon | |
eingehalten wurden und das Ding nicht über uns zusammenbricht. Und | |
Datenschutz ist komplexer als jede Bauordnung. Ich selbst beschäftige mich | |
jetzt seit sieben Jahren mit Facebook. Und ich kann immer noch nicht sagen, | |
was genau sie da eigentlich mit meinen Daten anstellen. Und da sprechen wir | |
noch gar nicht über die zahlreichen anderen Dienste, die man online noch so | |
nutzt. Man muss auch so ehrlich sein und sagen: Leute, die acht bis zehn | |
Stunden am Tag arbeiten, werden sich nicht noch abends hinsetzen und sich | |
mit Datenschutz oder Bauvorschriften auseinandersetzen. Und, auch wenn ich | |
mit dieser Meinung nicht im Trend liege: Das ist schon in Ordnung so. | |
Der Unterschied ist: Beim Datenschutz ist es Standard, dass die Gebäude | |
zusammenbrechen. | |
Ja, das ist die europäische Datenschutzlüge. Wir bilden uns hier ein, alles | |
ist so viel besser als etwa in den USA, aber auch hier machen Unternehmen | |
ständig andere Sachen mit den persönlichen Daten der Nutzer, als die es | |
erwarten, weil die Konsequenzen fehlen. | |
Warum ist das für Sie so ein Thema geworden? | |
Ich glaube ich hab mich damit immer intensiver beschäftigt, weil die | |
Situation wirklich so absurd ist. | |
Die Absurdität? Das ist alles? | |
Die Frage, wer hat Macht über unsere Daten, wird in der Digitalisierung | |
genauso relevant werden, wie es in der Industrialisierung die Frage der | |
Arbeitnehmerrechte war. Es wird die essenzielle Frage der Zukunft sein. | |
Sie sammeln gerade per Crowdfunding für eine neue NGO, die ab Mai, wenn die | |
europäische Datenschutz-Grundverordnung startet, datensammelnde Unternehmen | |
verklagen soll. Ist Klagen die richtige Antwort auf diese Zukunftsfrage? | |
Ja, ist es. Aktuell wird jedes Parkverbot mehr durchgesetzt als unser | |
Grundrecht auf Datenschutz. Und ich finde: Wir brauchen eine Struktur, die | |
Firmen zwingt, sich zumindest an die Vorschriften, die es gibt, zu halten. | |
Momentan ist wie beim Fußball: Es gibt zwar ein paar gute Gesetze, der Ball | |
ist im Spiel. Aber nun muss es auch mal jemanden geben, der das Tor | |
schießt. Und klagt. Und das werden wir sein. | |
Es gibt schon Verbraucherzentralen und -verbände, es gibt | |
Bürgerrechtsorganisationen, und ab und an klagen auch Einzelne … | |
Ja, aber zum einen haben die Verbraucherverbände total viele Themen. Und da | |
ist dann vielleicht die VW-Klage wichtiger als der Datenschutz. Und zum | |
anderen hat jedes EU-Land seinen eigenen Verband. Aber es macht Sinn, so | |
eine Klage europäisch zu denken. Denn die Bedingungen in den einzelnen | |
EU-Staaten sind total unterschiedlich: In manchen ist es teuer, vor Gericht | |
zu gehen, in anderen billig. In manchen ziehen sich die Verfahren ewig, in | |
anderen geht es schnell. | |
Haben Sie schon ein Unternehmen im Visier? | |
Wir wollen gar nicht immer vor Gericht gehen, sondern auch in einer | |
positiven Art und Weise etwas ändern. Denn ich glaube: 90 Prozent der | |
Unternehmen geht es genau wie den Verbrauchern. Sie überblicken es einfach | |
nicht. Und wenn man denen mal eine E-Mail schreibt und sagt: Hallo, der | |
E-Mail-Dienst, den ihr da nutzt, der ist nicht so wirklich gesetzeskonform | |
und das sind die Alternativen, dann lässt sich oft schon viel bewegen. | |
Und was ist mit den anderen zehn Prozent? | |
Ja, bei den zehn Prozent, die bewusst die Regeln brechen, weil ihr | |
Geschäftsmodell auf Rechtsbruch aufbaut, hilft nett sein natürlich nicht. | |
Die tarnen Rechtsbruch dann als Innovation, aber in Wahrheit verschaffen | |
sie sich einen unfairen Vorteil gegenüber der Konkurrenz. | |
Also: Haben Sie da schon jemandem im Visier? | |
Na ja, wenn ich mir zum Beispiel für tausend Euro ein neues Smartphone | |
kaufe, dann muss ich beim ersten Einschalten oft absurden | |
Datenschutzbestimmungen zustimmen. Ab Mai ist das so pauschal nicht mehr | |
erlaubt. Da müssen die Anbieter trennen zwischen: Was machen sie mit meinen | |
Daten, weil sie es machen müssen? Und was geht darüber hinaus? Dem muss ich | |
getrennt zustimmen – oder es eben auch ablehnen können. Ich bezweifle, dass | |
Apple oder Google das ab Mai so umsetzen. | |
Nach welchen Kriterien entscheiden Sie darüber, wen Sie verklagen wollen? | |
Das Wichtigste ist, dass es nicht nur um einen Einzelfall geht, sondern | |
dass viele Betroffene davon profitieren. Wichtig ist für uns auch, wenn es | |
um grundsätzliche Fragen geht, zum Beispiel: Wann ist eine Zustimmung | |
gültig? Bei Online-Diensten total beliebt ist die Praxis: Du nutzt meine | |
Seite oder mein Angebot, also gehören alle deine Daten mir. Aber ist das | |
wirklich erlaubt? Und dann suchen wir uns ein Paradeunternehmen, das so | |
etwas macht, und dann geht’s los. | |
Wenn wir zwei Jahre in die Zukunft schauen – woran merken Sie, ob Sie | |
erfolgreich waren? | |
Ich denke, wenn wir bei den Unternehmen so bekannt sind, dass sie wissen: | |
Hey, da ist jemand, der uns im Zweifelsfall verklagt, wenn wir uns nicht an | |
die Regeln halten. Damit kann sich extrem viel im Markt bewegen, auch weil | |
alle Zulieferketten darauf reagieren müssen. Dafür müssen wir natürlich das | |
ein oder andere Verfahren schon geführt und gewonnen haben. | |
Sie setzen also auf Abschreckung. | |
Ja, genau wie die meisten Leute eben nicht bei Rot über die Ampel gehen, | |
wenn ein Polizist danebensteht. Um drei Uhr früh, wenn niemand zuschaut, | |
aber eben schon. | |
Glauben Sie, Sie sind irgendwann fertig? | |
Grundrechte sind nie fertig erkämpft, aber vielleicht werden wir als | |
Organisation überflüssig. | |
Wie würde diese Welt aussehen? | |
Sie würde so aussehen, dass Datenschutz, dass die Privatsphäre wichtig sind | |
und ernst genommen werden. Und zwar bei allen Beteiligten: bei den | |
Unternehmen, bei Behörden, bei Verbänden. Dass ein Verein wie unserer quasi | |
überflüssig wird, weil es niemanden mehr braucht, der das Tor schießt. | |
9 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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