# taz.de -- Debatte Journalismus und Facebook: Angst vor dem Publikum | |
> Facebook ist ein Monopolist. JournalistInnen kritisieren jede Änderung im | |
> Newsfeed – ihre eigene Arbeit aber bleibt für sie bemerkenswert | |
> sakrosankt. | |
Bild: Er hat die Macht, aber nicht die alleinige Verantwortung | |
Nur wenige Tage nach der Mitteilung, [1][dass der Facebook-Algorithmus in | |
Zukunft die Mitteilungen von FreundInnen gegenüber Posts von | |
Nachrichtenseiten bevorzugen soll], kündigte Mark Zuckerberg am Freitag | |
eine weitere Änderung im Umgang mit Medien in seinem Netzwerk an. | |
Es sei eine [2][Befragung der NutzerInnen geplant, die ein Ranking | |
verschiedener Medienhäuser nach Vertrauenswürdigkeit ermöglichen soll]. Das | |
Publikum werde dabei aufgefordert sein, Nachrichtenquellen nach Bekanntheit | |
und „Trust“ zu bewerten. Das Verhältnis zwischen beiden Variablen | |
ermögliche dann eine Einordnung und angepasste Priorisierung der Quellen. | |
Auf diese Weise könne garantiert werden, dass die Nachrichten, die | |
NutzerInnen in ihren Newsfeeds sehen, von hoher Qualität seien. | |
Das ist ein weiterer Schritt in der schwierigen und wechselvollen Beziehung | |
des zeitgenössischen Monopolisten der Information und Kommunikation mit den | |
traditionellen TürsteherInnen des Nachrichtenwesens. Sogleich | |
überschwemmten Medienschaffende ihre Social-Media-Timelines bei Twitter und | |
ja, Facebook, mit einem vielstimmigen Lamento über die bizarre Idee, das | |
Publikum entscheiden zu lassen, welche Nachrichtenquellen „fake“ und welche | |
„real“ sind. | |
Die Klage ist durchaus nachvollziehbar. Schließlich kann wohl angenommen | |
werden, dass beispielsweise die Podcasts der „Flat Earth Society“ bei den | |
Fans der flachen Erde als sehr vertrauenswürdige Quelle angesehen würden, | |
wohingegen die Wissenschaftsredaktionen klassischer Medien aus dieser | |
Richtung eher schlechte Bewertungen erwarten dürften. Ohne weitere Prüfung | |
und Einordnung wird bei einem Publikumsvoting also vermutlich jede Menge | |
Müll und offensichtliche Fakes bevorzugt, zumal in einer derart diversen | |
Community, wie sie von den 2 Milliarden Facebook-NutzerInnen gebildet wird. | |
## Anti-politische Mission | |
Was daran nun besser sein soll, als die bisherige algorithmische Bewertung | |
von Likes und anderen Interaktionen, ist fraglich. Zuckerbergs Idee macht | |
lediglich deutlich, dass er sich weiterhin der Verantwortung für die | |
Qualität der verbreiteten Informationen verweigern möchte, die man von | |
seinem Netzwerk angesichts der übermächtigen Monopolstellung durchaus | |
erwarten dürfte. | |
Da die Beschäftigung einer Überredaktion des Newsfeeds nicht auf | |
Zuckerbergs Agenda zu stehen scheint, sei daran erinnert, dass Facebook den | |
Erfolg von Newsanbietern schon immer als Betriebsunfall ansehen musste und | |
dazu die Mission des Netzwerks, wenn auch keine unpolitische, so doch eine | |
anti-politische war. Business lebt eben nicht von Objektivität, politischer | |
und gesellschaftlicher Verantwortung, sondern vom Verkauf. | |
Der Markt soll sich also selbst regulieren, nicht zuletzt in der | |
Demokratiesimulation der Kundenentscheidung. Also ganz wie an den mit | |
Smiley-Buttons bestückten Feedbackterminals an den Ausgängen von | |
Baumärkten: „Wie war ihr Einkaufserlebnis heute?“ | |
## Zweifelhafte Objektivität | |
Ist die kritische Bewertung der Rolle von Facebook unter JournalistInnen | |
noch nachvollziehbar und an vielen Stellen berechtigt, offenbaren die | |
meisten Äußerungen zur Sache jedoch eine große Leerstelle – eine Analyse | |
des Journalismus selbst, des Selbstverständnisses und der eigenen Bedeutung | |
für die gesellschaftliche Meinungsbildung fehlt in der Regel. | |
So wird einerseits ohne weitere Zweifel die Existenz eines objektiv | |
„richtigen“, „neutralen“ und „qualitativ hochwertigen“ Journalismus | |
vorausgesetzt. Andererseits zeigt nicht zuletzt das Entsetzen über die | |
Zuckerberg'sche Idee des Publikumsvotings, dass Fachfremden die Einordnung, | |
was dieser gute Journalismus denn nun sei, absolut nicht zugetraut wird. | |
Dieses Urteil mag ganz intuitiv entstanden sein, ist doch jede | |
Kommentarspalte eine kleine [3][Mitte-Studie, die den alles durchdringenden | |
Extremismus] unmittelbar ans Licht bringt. Es wird unübersehbar deutlich, | |
dass die gesellschaftliche Debatte nicht auf der Grundlage allgemein | |
anerkannter Fakten und entlang einer zivilisierten und demokratisch | |
prinzipienfesten Gesprächskultur geführt wird. Es tobt statt dessen ein | |
offener Kampf um die Fakten selber, um Zivilisation und Demokratie. | |
Was viele JournalistInnen nicht zu sehen scheinen oder nicht wahrhaben | |
wollen: Neutralität und Objektivität sind in diesem Kampf vielleicht nicht | |
die wesentlichen Kriterien für „guten“ Journalismus. Guter [4][Journalismus | |
ist schließlich Kombattant] in diesem Konflikt. Das war er schon immer, nur | |
rückt Facebook diesen Fakt jeden Tag aufs neue schmerzlich ins Bewusstsein. | |
Dabei hätte die Tatsache, dass die Bild einmal Europas meistgekaufte | |
Tageszeitung war, bereits vor Jahrzehnten stutzig machen können. | |
## Parteilich und konfrontativ | |
Mit Snobismus gegenüber dem Publikum lässt sich das Problem jedoch bestimmt | |
nicht lösen. Mit der nicht zuletzt von geschäftlichen Erwägungen | |
getriebenen Kritik an Facebook und anderen Monopolisten des digitalen | |
Zeitalters ebenso wenig. Gehen wir jedoch davon aus, dass gesellschaftliche | |
Realität und ihr Abbild sich gegenseitig beeinflussen, dass der Glaube der | |
Menschen die Erde, wenn man so will, tatsächlich zur flachen Scheibe machen | |
kann, muss „qualitativ hochwertiger“ Journalismus seinen Anteil am schrägen | |
Abbild der Realität erkennen und in Frage stellen. | |
Dieser Prozess des Erkennens kann kein neutraler und objektiver sein. Er | |
muss parteilich und konfrontativ durchschritten werden, getragen von einer | |
Diskussion nicht nur darüber, wie die Welt wirklich aussieht, sondern wie | |
sie idealerweise aussehen soll. Die Kritik an Facebook kann nur dann über | |
den Jammer des Tages hinausreichen, wenn sie den Journalismus mit seinem | |
inhaltlichen und geschäftlichen Versagen zum Ausgangspunkt hat. | |
Dieses Versagen findet seinen intensivsten Ausdruck in der Missachtung des | |
Publikums, des Trägers gesellschaftlicher Realität abseits von | |
Hintergrundgesprächen und Pressekonferenzen. Die Interaktionen auf den | |
sozialen Netzwerken geben uns ungewollt einen Einblick in diese Realität | |
und beeinflussen diese dazu, nicht selten zum Schlechteren. Darüber zu | |
streiten, was aber „das Bessere“ sein könnte, mit offenem Visier und klarer | |
Haltung – das ist die Aufgabe des Journalismus, ganz gleich ob er sich nun | |
auf einer Kiste im Park stehend oder auf Facebook präsentiert. | |
20 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Medienreaktion-auf-Update-von-Facebook/!5475507 | |
[2] https://www.facebook.com/zuck/posts/10104445245963251?pnref=story | |
[3] /Mitte-Studie-der-Ebert-Stiftung/!5359043 | |
[4] /!t5007487/ | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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