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# taz.de -- Die Wahrheit: Vorweihnachtsaggros
> Tagebuch einer Lieben: Auf den Berliner Straßen findet das beliebte
> Rein-Raus-Spiel immer häufiger statt. Begleitet wird es von Wut.
Bild: In Deutschland wird UberPop nach negativen Gerichtsentscheidungen schon s…
Manchmal geht es im Leben um so einfache Dinge wie „Rein-Raus“. Nein, ich
spreche nicht von irgendwelchen Ferkeleien, an die jetzt alle wieder
denken, sondern von einem knallhart schrödermäßigen „Ich will da
rein!“-Anfall.
Einen solchen bekam der Kundendienstmitarbeiter, der meinen brandneuen
Edelstahlherd verarzten sollte, weil das noch jungfräuliche
Induktionskochfeld streikte. „Ich komm nicht rein!“, fluchte der Mann,
nachdem er sämtliche Tastenkombinationen gedrückt und Beschwörungsformeln
an das Computerprogramm gerichtet hatte. Es blieb fruchtlos.
Wir besitzen jetzt ein ästhetisch ansprechendes Küchengerät, das dem Auge
mit preisgekröntem italienischem Design schmeichelt, was die Befriedigung
unserer Bedürfnisse nach warmer Nahrung angeht, allerdings zu wünschen
übrig lässt. Es wurden Ersatzteile bestellt, die wahrscheinlich Ostern
eintreffen werden, für Heiligabend denken wir über Sushi nach. Kann man
Reis auch im Tauchsieder garen?
Angesichts des bereits voll entbrannten Vorweihnachtswahnsinns entschied
ich mich zu frühzeitigen Hamsterkäufen. Auf dem Weg zum Asiamarkt dröhnte
mir anhaltendes Wutgehupe entgegen. Wie sich herausstellte, war der
Verursacher ein DHL-Lieferfahrzeug, das in zweiter Reihe einen vorbildlich
geparkten Wagen blockierte, dessen Fahrer im Gegensatz zu meinem
Kundendienstmann nicht rein-, sondern rauswollte.
Neben ihm in einem Wagen Stuttgarter Herkunft saß eine blonde Frau; neben
dem DHL-Wagen stand der Fahrer, dessen Herkunft wiederum im Wedding oder
Neukölln zu vermuten war, und hörte dem Krach gelassen zu. Bis zu dem
Moment, in dem der Wuthuper versuchte, ein Handyfoto von ihm zu machen.
Hätte er nicht tun sollen. Freundlich, aber bestimmt wurde Löschung
verlangt, er könne ja das Nummernschild fotografieren, freies Land und so,
aber eben auch Recht am eigenen Bild.
Ich verschob meine Hamsterkäufe, das hier versprach spannender zu werden.
Ein Wort gab das andere, bis ein offenbar mediatorisch geschulter Passant
im Vorbeigehen den entscheidenden Rat gab: „Wenn der das Foto nicht löschen
will, dann können Sie nur noch die Polizei rufen.“ Eine Idee, die der
DHL-Mann gern aufnahm.
Eineinhalb Stunden später bot sich mir bei der Rückkehr von meinen
Einkäufen ein unverändertes Bild. Dem Huper war offenbar der Saft
ausgegangen, mitleidig bot ich dem DHL-Mann an, doch einfach mein Auto zu
blockieren. Das stand fünfzig Meter entfernt und war das gewohnt. Er winkte
ab. „Isch muss jetzt auf Polizei warten. Wenn der Typ so lieb gefragt
hätte, wie Sie sind, denn wär der schon längst draußen.“
Danke, DHL! Endlich hat jemand meine wahre Natur erkannt! Nehmt euch ein
Beispiel, Vorweihnachtsaggros! Mit Liebe kommt man – außer in mein
Herdprogramm – überall rein. Und wer ganz lieb fragt, wird auch wieder
rausgelassen.
7 Dec 2017
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Berlin
Parkplatz
Rentner
Schwerpunkt Berlinale
Orientierung
Walter Benjamin
Uber
Handwerk
Schwerpunkt Frankreich
Helmut Kohl
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