# taz.de -- Die Wahrheit: Der Blousonrentner gestern und heute | |
> Tagebuch einer Verfolgten: Die Welt wird immer unberechenbarer, doch gibt | |
> es eine Konstante – hässlich gekleidete ältere Männer. | |
In dieser Welt ist auf nichts Verlass, außer auf den Tod und die Steuern. | |
Wäre Benjamin Franklin, der diesen weisen Satz einst prägte, etwa 250 Jahre | |
später und hierzulande geboren worden, dann hätte er ihn um ein Element | |
erweitern müssen: um den Blousonrentner, einen fundamentalen Bestandteil | |
der deutschen DNA. | |
Seit ich auf der Welt bin – also schon sehr lange – verfolgt mich dieser | |
Männertyp. In meiner Kindheit wies er mich zurecht und versperrte, wenn ich | |
auf dem Schulweg rannte, den Bürgersteig, später benörgelte er meine | |
Miniröcke und natürlich alle darauf folgenden Moden. Während meiner | |
Fahrstunden machte ich Bekanntschaft mit seinen Krücken, mit denen er beim | |
Überqueren von Zebrastreifen vorsichtshalber drohte, kurz gesagt: Er motzte | |
rum und mischte sich ungefragt und gewohnheitsmäßig ein. Selbst vor meinem | |
damals Zweijährigen machte er nicht Halt, als der sich, vom Leben noch | |
nicht abgehärtet, nicht von seinem Schnuller trennen wollte. | |
Das zeitgenössische Exemplar liebt Einkaufszonen und Elektronikläden, wo es | |
dem Personal, das mich beraten soll, aus Langeweile die Zeit stiehlt, nur | |
um dann unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Wahrscheinlich wurden meine | |
Vorfahrinnen bereits in der Frühsteinzeit von griesgrämigen Jagdheimkehrern | |
genervt: „Schon wieder kein Mammut, dabei ist heute Dienstag!“, weshalb der | |
Enttäuschte mit urzeitlichem Werkzeug eine Beschwerde in einen Felsbrocken | |
kloppte und ihn der Behörde für Natur und Jagd in den Vorgarten schmiss. | |
Heutzutage trägt der Typ kein Fell mehr, sondern mit Unmengen von Taschen | |
ausgestattete Safarijacken, in denen er zwar kein Mammut, aber zwanzig | |
erlegte Hamster nach Hause schleppen könnte. | |
Man weiß nicht genau, wann die Entwicklung zum Blouson- und | |
Safarijackenträger beginnt, aber wenn einer schon in jungen Jahren | |
übelgelaunt seine Mitmenschen anstänkert, darf man davon ausgehen, dass er | |
danach bis zur Vollendung weiter reift. Seine Hochform erreicht der homo | |
supparus, der Gemeine Blousonträger – früher nannte man dessen Dress noch | |
jahreszeitlich „Übergangsjacke“ – mit Anfang sechzig, wobei sich seine | |
Uniform seit einiger Zeit von der beleidigtgrauen | |
„Mich-sieht-ja-eh-keiner-Klamotte“ zum letzten | |
„Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Freizeitkleidungsschrei“ veränder… | |
Aber das ist Jacke wie Hose, drinnen steckt der gleiche Frust. | |
Wenn alles vorbei ist und sogar die Kakerlaken alle sechs Beine von sich | |
gestreckt haben, wird der Blousonträger die einzige überlebende Spezies | |
sein. Magma brodelt, der Planet liegt verödet nach dem großen Knall, | |
während Männer in Allwetterblousons oder Synthetikpelle grantig durch | |
versengte Landschaft stapfen. „Das hätten sie uns auch vorher sagen können, | |
dann hätten wir die All-inclusive-Kreuzfahrt nicht mehr gebucht. Das war | |
jetzt auch wieder für die Tonne. Nie denken die da oben ans Volk, immer nur | |
an sich!“ Dabei droht er dem All und schüttelt seine Krücken. | |
29 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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