# taz.de -- Die Wahrheit: Bären für Benjamin | |
> Es gibt einen Platz in Berlin, der ist benannt nach dem großen | |
> Philosophen Walter Benjamin. Es ist eine Stätte des ästhetischen Grauens. | |
Bild: Bei Theodor Adorno, hier links neben dem Verleger Siegfried Unseld, schri… | |
Es gibt Situationen im Leben, in denen man dringend schützend eingreifen | |
möchte: wenn Kleinkinder unbeaufsichtigt von sorglosen Eltern auf | |
Bahnsteigen herumtaumeln oder wenn Fußgänger tagträumend über stark | |
befahrene Kreuzungen latschen. Manchmal will man sogar dem Geist | |
Verstorbener zu Hilfe eilen wie dem von Walter Benjamin, der 1940 seinem | |
Leben selbst ein Ende setzte, weil er nicht mehr an Rettung vor den Nazis | |
glaubte oder vielleicht weil er wusste, was ihm und seinem Namen in Zukunft | |
noch zugemutet werden würde. | |
Nicht nur muss er seit dem Jahr 2000 als Namenspate für einen Platz in | |
Berlin-Charlottenburg herhalten, auf dem die meiste Zeit des Jahres | |
vornehme Granitkühle herrscht, seit Wochen wird in dieser steingewordenen | |
Unwirtlichkeit zur Erbauung der wenigen Flaneure auch noch ein heftiger | |
ästhetischer Kampf ausgetragen. In der unbelebten Weite vor unnahbaren | |
Fassaden tobt eine Farbschlacht wie auf einer indischen Hochzeit, vor | |
zuchtmeisterlich angeordneten Säulengängen feiert Berlin einen | |
Kitschexzess. Was hat Walter Benjamin verbrochen, dass ihm nicht nur ein | |
seltsam unbehauster Platz gewidmet, sondern auch noch eine Leistungsschau | |
aus hundertvierzig „Buddy Bären“ draufgeknallt wurde? | |
Dabei geht es, wie die Schrift auf einem fröhlich blauen Teddybauch | |
verkündet, um nichts Geringeres als die Menschenrechte. Wie man weiß, haben | |
mit Farbe bekleckerte Bärenskulpturen bei deren Durchsetzung immer schon | |
große Erfolge erzielt, leider waren sie nicht zur Stelle, um schützend für | |
Benjamin Spalier zu stehen, als er aus Frankreich über Spanien nach | |
Portugal fliehen wollte und die faschistischen Spanier ihn nicht | |
hineinließen. Dabei hätte das putzige Bärchen, das mit empört gereckten | |
Tatzen „Respect for all Life“ fordert, die Nazis bestimmt total | |
eingeschüchtert! | |
So sehr ich mir auch einrede, dass die Säulengänge eigentlich ganz schön | |
sind und die Wasserspiele ausgeklügelt, sträubt sich mein empfindsames | |
Gemüt gegen Verniedlichung. Der Platz erinnert mich einfach an die | |
Architektur des Faschismus, und das in Kombination mit infantiler | |
Bärengemütlichkeit erweckt den starken Wunsch nach einem Menschenrecht auf | |
Unversehrtheit vor ästhetischer Verirrung im öffentlichen Raum. | |
„Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer | |
Konstellation zusammentritt. Mit anderen Worten: Bild ist Dialektik im | |
Stillstand.“ So formulierte Benjamin, als hätte er’s geahnt. Was dieser | |
Zusammenprall von kalter Architektur, wild gewordenem Event und | |
Namensgeberbiografie auslöst, sind mulmige Gefühle, Würgreiz und Scham. Am | |
7. Januar, so hat man versprochen, ist der Spuk vorbei. Was danach kommt? | |
Vielleicht eine Gartenzwergausstellung mit Panflötenkonzert, oder die | |
Dinger wandern zur Einklagung der Menschenrechte in die UN-Vollversammlung | |
und nach Nordkorea. Peace, Love and Understanding! Der Dialektiker wird es | |
wohl verkraften. | |
4 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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