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# taz.de -- Die Wahrheit: Meine französischen Beulen
> Tagebuch einer Anglophilen: Fremdeln mit Frankreich – das bleibt von den
> rotweingetränkten Erinnerungen an die Reisen ins Innerste der Grande
> Nation.
Mein Vater verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Brüssel und beherrschte
zwei Sprachen: Kölsch und Französisch. Derart geprägt, belegte ich in der
Schule Französisch als Leistungskurs, leider bei der befehlsgewohnten
Tochter eines pensionierten französischen Militärs. Die wohlklingende
Sprache konnte nichts dafür, dass ich von da an mit der Grande Nation
fremdelte, aber die Franzosen ließen sich ja auch von Louis de Funès, der
Albtraumversion eines Komikers, bespaßen, während in England Monty Python
aus dem „Ministry of Silly Walks“ grüßte. Meine Sympathien waren klar
verteilt.
Unsere Klassenfahrt führte auf einen Zeltplatz bei
Saintes-Maries-de-la-Mer. Nachts hatten wir die Wahl, im Zelt zu ersticken,
von Insekten gefressen zu werden oder heimlich um die Wette zu saufen und
zu kotzen; tagsüber schleppten wir uns durch die Provence, wo Midi-Bewohner
uns in unverständlichem lokalem Idiom alles verkaufen wollten, was nicht an
die Wand genagelt war. Den Strand von Saintes-Maries säumten scheußliche
Ferienwohntürme, ich träumte von Belgien, dem meiner Meinung nach besseren
Frankreich.
Aber ich gab Douce France noch eine Chance. Nach dem Abi fuhr ich mit der
besten Freundin im Auto nach Paris. Ich hatte seit zwei Wochen den
Führerschein und übte, Panikattacken zu überwinden, indem ich sieben Mal um
den Arc Triomphe kurvte. Beim achten Mal schaffte ich es von der Innenbahn
zu einer Ausfahrt. Paris verdanke ich eine realistische Verkehrserziehung
und sehe Beulen im Autoblech seither als Auszeichnung im Straßenkampf.
Nach der ersten Nacht begriff ich, warum unsere Wirtin bei der Reservierung
warnend was von „un grand lit“ ins Telefon gebrüllt hatte. Sie wusste wohl,
wie man sich nach ständigem Gegeneinanderrollen auf durchgelegenen
Matratzen fühlt. Schlafdefizitär taumelten wir durch Straßen, Museen und
Jardins, wir lebten von Croque Monsieur und Rotwein, bis mir nach
wiederholten Selbstversuchen endlich klar wurde, dass ich im Gegensatz zum
Rest der Menschheit nach Rotwein nicht schlafen kann. Ich schlief damals
quasi gar nicht mehr.
Das Insomnia-Thema prägte weitere Frankreich-Aufenthalte. Einmal hatte mein
damaliger Freund am Nationalfeiertag versäumt, nach unserer „Son et
Lumière“- Schlössertour „Un Grand Lit“ zu buchen, weshalb wir in kalter
Regennacht im Auto im Wald übernachten mussten. Die Beziehung hielt dann
nicht mehr sehr lange.
Jahre später schleppte eine Freundin mich in die Bretagne. Weit und breit
nur stoppelige Heidekrautweiten und raue Küstenpfade. Wortkarge Bretonen
zeigten keinerlei Interesse, mit uns über Nichtigkeiten zu parlieren, dafür
fütterten sie uns mit köstlichen Austern und kühlem Weißwein. Auf einem
Klippenpfad beim Blick über den Kanal wurde mir schlagartig klar, warum ich
die Bretagne super fand: Sie hat vor langer Zeit mal zu England gehört.
12 Oct 2017
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Reisen
Walter Benjamin
Berlin
Handwerk
Helmut Kohl
Gastronomie
Berlin
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