Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Fucking cool Berlin
> Tagebuch einer Barbesucherin: Zeitgemäßes Trinken in der Hauptstadt
> erfordert Sprachkenntnisse sowie Demut vor dem Thekenpersonal.
Als Bewohnerin der hipsten Stadt der Welt muss man sich vor Berlinbesuchen
trinkfreudiger kosmopolitischer Freunde auf den neuesten Stand bringen.
Meine Trendbörse ist der Neuigkeitenbasar bei meinem genussfreudigen
Friseur, wo vor Kurzem von einer Bar geschwärmt wurde: Super Drinks, tolles
Ambiente, voll cool! Also ab zum Testtrinken.
Über der Tür zum gepriesenen Cocktail-Paradies leuchtet unmissverständlich
ein „Closed“-Schild, hinter der Fensterfront stapelt sich
Gerümpelähnliches, oder ist es eine supercoole Kunstinstallation? Wir
nehmen das als Ansporn, wir wollen da rein! Auf beherztes Klingeln
erscheint ein undurchdringlich blickender Mensch um die dreißig, der die
Wärme eines Kühlschranks verströmt. „Hi“, sage ich und lächle. Keine
Regung. Erwartet der wie in einem Clint-Eastwood-Film ein Duell im
gegenseitigen Niederstarren? Erneuter Versuch: „Haben Sie Platz für uns?“
Nach einer Endlospause: „Are you expecting anyone else?“
Hatte nicht gerade der künftige CDU-Bundeskanzler Jens Spahn vor englisch
sprechenden Kellnern in Berlin gewarnt? Offenbar hält uns der Kühlschrank
für die verirrte Vorhut eines Betriebsausflugs zum Ballermann. Verdammt,
wie konnte mir das passieren? Ich habe uns als Provinzler geoutet, zu denen
natürlich auch alle deutsch sprechenden Berliner zählen, denn die
weltläufig Coolen parlieren selbstverständlich auf Englisch!
In meiner Lieblingsszene der in Neukölln spielenden Serie „4 Blocks“ geht
ein arabischer Clanchef einem auf englisch nervenden
Spielautomatenbetreiber an die Gurgel: „Wir sind hier in Deutschland, da
spricht man deutsch!“ Ich hab’s sonst nicht so mit Clanchefs, aber hier
würde ich gern mal einen vorbeischicken. Doch wir sind auf Recherche, da
heißt es Opfer bringen. „Nein, wir sind zu viert“, säusele ich. „But we
only have space in the back“, warnt der Kühlschrank.
Im Herz der Finsternis schweben über dem edelschwarzen Bartresen wie
unbewegte Luftballons vier bleiche Gesichter, die dazugehörigen schwarz
gewandeten Körper schluckt die Dunkelheit. Wir wollen nicht ins
Hinterzimmer, wundersamerweise dürfen wir zu den Ballons an die Bar, aber
erst mal erfolgt die Einweisung in die Hausordnung: Rauchen ja, Handy nein.
Hat der Kühlschrank Angst, dass wir Verstärkung rufen?
Wir ertasten die Cocktailkarte, ich bin kurz versucht, nach der
Braille-Version zu fragen, ein Blinder hätte hier mehr Chancen als jemand
mit hundert Prozent Sehvermögen. Umspült von ödem Lounge-Gedudel schlürfen
wir irgendwas mit Rum und Gin, Wodka gibt’s nicht, vermutlich uncool.
Die wahren „Cool Cats“ der Vierziger hörten in lauten Bars heißen Jazz,
aber cool sein in Mitte und dabei gepflegt trinken ist harte Arbeit. Kein
Wodka, kein Handy und auch noch alles auf Englisch! Die Begleitung kichert,
die Luftballons gegenüber gucken tadelnd. Wir beenden unser Seminar zur
Unterdrückung gesunder Impulse, kaufen ein Spätibier und stürzen uns ins
pralle Leben.
17 Aug 2017
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Gastronomie
Berlin-Style
Fremdsprachen
Handwerk
Schwerpunkt Frankreich
Helmut Kohl
Jens Spahn
Jens Spahn
Organe
Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Besetzte Insel
Tagebuch einer Umbauerin: Der moderne Handwerker heißt Maik, trinkt
Kräutertee und hört Deutschlandradio Kultur.
Die Wahrheit: Meine französischen Beulen
Tagebuch einer Anglophilen: Fremdeln mit Frankreich – das bleibt von den
rotweingetränkten Erinnerungen an die Reisen ins Innerste der Grande
Nation.
Die Wahrheit: Im Tomatina-Wahlkampf
Tagebuch einer Viktualienwerferin: Nahrungsmittel auf Volksvertreter zu
schmeißen, ist unfair. Politiker sollten sich mit gleichen Mitteln wehren.
Kosmopolitisches Berlin: Neukölln ist nicht Deutschland
Ausländer lernen durchaus Deutsch. Aber die Bevölkerung der Hauptstadt ist
so international, dass dann doch alle mit ihnen Englisch sprechen.
Hipster als Gefahr für deutsche Identität: Yesterday-Jens
Wir haben kaum problems in Germany. Deshalb ist es auch so hard, ein
Wahlkampfthema zu finden. Jens Spahn hat finally 1: Englisch sprechende
Hipster.
Die Wahrheit: Lob der Bohne, Fluch dem Narziss
Die große Wahrheit-Sommer-Debatte über Organe. Folge 5: Die Niere. Ein Pro
und Contra zu dem doppelten Ding.
Die Wahrheit: Berliner Siff
Tagebuch einer Ex-Manhattonian: Wer schon mal in New York gelebt hat, den
kann der Sommermüll in Deutschlands größtem Dorf nicht kleinkriegen.
Die Wahrheit: Ein Volk, eine Zahnbürste
In der fabelhaften Welt der modernen Verbrauchertechnik kann man jetzt im
Mund völkische Säuberungsaktionen durchführen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.