# taz.de -- Die Wahrheit: Im Tomatina-Wahlkampf | |
> Tagebuch einer Viktualienwerferin: Nahrungsmittel auf Volksvertreter zu | |
> schmeißen, ist unfair. Politiker sollten sich mit gleichen Mitteln | |
> wehren. | |
Kürzlich stolperte ich über eine Meldung, die meine Aufmerksamkeit erregte. | |
Der Inhaber einer Cafeteria auf der griechischen Ferieninsel Lefkada | |
protestierte gegen die Kontrollen zweier Steuerfahnder, indem er sie mit | |
Teig bewarf. | |
Mit Essbarem um sich zu schmeißen, ist ja im Moment schwer in Mode. | |
Üblicherweise handelt es sich um Tomaten, Torten oder Eier. Teig war, | |
soviel ich weiß, noch nicht dabei. Im Internet erfährt man, wer bei diesem | |
etwas unfairen Kampfsport schon Ziel brodelnden Volkszorns wurde. | |
Guttenberg und Wagenknecht kriegten Torte, Dobrindt bekam Eier ins Gesicht, | |
Trittin flog Joghurt aufs Jackett, Kohl traf im Laufe seiner Amtszeit ein | |
halbes Buffet inklusive Nachtisch-Windbeutel, und seinem ehemaligen Mädchen | |
klatschten gerade erst Tomaten aufs Kostüm. | |
Als besonders hartnäckig erwies sich ein Mann aus Offenbach, der es | |
schaffte, gleich drei Bundespräsidenten abzuschießen: Johannes Rau mit | |
einem Stapel Zeitungsartikel, Köhler und Wulff traditionell mit Eiern. Auf | |
internationaler Ebene wurde mit Schuhen (Bush) oder Mehl (Hollande) | |
geschmissen. | |
Der griechische Steuerfahnderhasser wollte wohl die Wucht seines Angriffs | |
verdoppeln, indem er Eier und Mehl zu Teig verquirlte, verzichtete jedoch | |
darauf, die ungeliebten Besucher wie Max und Moritz in seinem Tavernenofen | |
abzubacken. Die Jungs sind also nochmal davongekommen, anders als Joschka | |
Fischer, dem nach einem Farbbeutelwurf leider ein Trommelfell platzte. | |
Den meisten lädierten Politikern steht nach derlei Attacken ein stoisches | |
„Ist halt Berufsrisiko“ im verkleisterten Gesicht – vermutlich, um dem | |
Wahlvolk zu suggerieren, dass man wegen solcher Kleinigkeiten nicht die | |
Fassung verliert, soll es sich doch auch im Falle zukünftiger Finanzmarkt- | |
oder Dieselkatastrophen auf ihre stahlharte Selbstkontrolle verlassen. | |
Erfrischend heißblütig reagierte dagegen seinerzeit Helmut Kohl, der wie | |
ein wütender Stier mit geschwollener Stirnader auf seine Angreifer losging | |
und nur mit Mühe von seinen Personenschützern gehindert werden konnte, sie | |
zu Mus zu hauen. Die andere Wange hinzuhalten war wohl nicht so sein Ding. | |
Zur emotionalen Entlastung leidgeprüfter Politiker wäre ich dafür, nach der | |
Devise „Ab heute wird zurückgeschmissen!“ den Rest unseres halb komatösen, | |
halb brüllaffigen Wahlkampfs hinter uns zu bringen, indem zur Abwechslung | |
die Wahlkämpfer die Aggrobürger von ihren Podesten aus mit allerlei | |
Viktualien bewerfen dürfen, unterstützt von treffsicheren Leibwächtern. Zum | |
Schutz ihrer Garderobe und Trommelfelle sei den Krawallbrüdern und | |
-schwestern das Tragen geeigneter Funktionskleidung empfohlen. Als Vorbild | |
für solchen Meinungsaustausch könnte die „Tomatina“ dienen, die einmal | |
jährlich im spanischen Buñol zelebriert wird. 2004 beschmissen sich dort | |
38.000 Leute eine Stunde lang mit 125.000 Kilo Tomaten und kamen ins | |
Guinness Buch der Rekorde. | |
Im Anschluss empfiehlt es sich zu duschen. Am besten kalt. | |
14 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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