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# taz.de -- Die Wahrheit: Berliner Siff
> Tagebuch einer Ex-Manhattonian: Wer schon mal in New York gelebt hat, den
> kann der Sommermüll in Deutschlands größtem Dorf nicht kleinkriegen.
Jahre meines Lebens habe ich in einer großartigen und anstrengenden Stadt
verbracht: Behördenchaos, Horrormieten, schrottige Infrastruktur,
nervtötende Fashion Weeks, Dauerstau und haufenweise Diplomaten, die
glauben, Verkehrsregeln seien was für Loser.
Sorry, Berlin. Dieses eine Mal geht es nicht um dich, sondern um New York,
obwohl mein Berliner Busfahrer seine renitenten Fahrgäste auch nicht anders
auf Spur brachte als ein New Yorker Kollege: „Leute! Ihr könnt jetzt die
Türen freimachen, und wir fahren weiter. Wir können aber auch stehen
bleiben. Um null Uhr 25 ist Dienstschluss!“
Ein Journalist des Tagesspiegels will offenbar ebenfalls, dass man in
Berlin endlich mal die Türen freimacht, jedenfalls leerte er sich auf einer
ganzen Seite über die Misere aus: Stau im Bürgeramt, Stau im Verkehr,
Drogen, Dealer, Demonstranten. Ich hätte ihn gern getröstet, dass New Yorks
Bürokratie hiesige Auswüchse bei weitem toppt und dass die Subway nur den
Zweck hat, folternde Quietschgeräusche zu produzieren und im Sommer als
Gratissauna zu dienen. Vor Kurzem las ich, dass der Gouverneur des
Bundesstaats sich nun persönlich um die Ankunft im 21. Jahrhundert kümmern
will. Viel Glück.
Im Sommer kommt zu all dem die New Yorker Leidenschaft für Spendenaktionen.
Im Central Park wird jedes Wochenende für gute Zwecke gesammelt, zum
Beispiel beim „Run fort the Cure“ gegen Brustkrebs oder die Rettung
verwaister Tiere bei „Adopt a Pet“. Begonnen wird grundsätzlich morgens um
sieben unter Einsatz schweren Verstärkergeschützes, damit der benachbarte
Schläfer das Gebrüll enthusiastischer Stimmungseinpeitscher „You can do it,
we’re so proud of you!“ keinesfalls verpasst. Den Rest des Tages wird man
von Bongo-Spielern, brüllenden Disco Beats und dem Sound von Autoachsen,
die in Schlaglöcher krachen, betäubt. Dagegen ist der Tiergarten eine
wohltemperierte Insel der Stille und Berlin in geradezu neuwertigem
Zustand.
Als ich nach sechzehn Jahren Big Apple hierherzog, konnte ich mein Glück
nicht fassen: Badeseen in Fahrradfahrnähe! Die BVG funktioniert! Weil sie
mich liebt, das hat sie selbst gesagt! Aber natürlich ist alles relativ,
und der Tagesspiegel sagt, Berlin ist ein Sauhaufen. Von denen, die sich
darin wälzen, sind allerdings diejenigen meine Favoriten, die mit ihren
Pizzakartons und Partyresten Straßen, Parks und Seeufer versiffen, damit
auch alle sehen, in was für einer coolen „Is mir egal“-Stadt sie leben.
Es wäre zwar echt mega, wenn die Bürgerämter funktionierten, ich wäre aber
schon zufrieden, wenn erst einmal die Party People ihren inneren Bürger
entdeckten und ihren Verpackungsmist wieder nach Hause trügen, so wie die
New Yorker, die es irgendwann auch satthatten, am Ende eines Wochenendes in
Central Park durch Müllberge zu stapfen. Als Nächstes sind dann die
falschparkenden Diplomaten dran, und auf den Bürgerämtern kriegt man subito
seinen neuen Perso – man darf ja wohl noch träumen …
20 Jul 2017
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Berlin
New York
Schwerpunkt Frankreich
Helmut Kohl
Gastronomie
England
Hunde
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