# taz.de -- Kommentar Dilemma der SPD: Wie ein Fähnchen im Wind | |
> Die SPD macht sich auf den Weg in die Große Koalition. Martin Schulz | |
> verkörpert das Problem der Partei – eine nervtötende Flatterhaftigkeit. | |
Bild: Seltenes Bild: Immerhin flattern alle in eine Richtung | |
Es wird in den nächsten Wochen noch Beteuerungen von SPD-Politikern geben, | |
dass man keine Große Koalition will. Jedenfalls eigentlich nicht. Oder | |
nur höchst widerwillig. Man wird den Hinweis hören, dass die Große | |
Koalition doch mit Verve abgewählt wurde und dass das Regieren mit Merkel | |
für die SPD zweimal in furchtbaren Niederlagen endete. Doch solche | |
Äußerungen werden nicht mehr im lauten Ton der Anklage vorgetragen werden, | |
sondern als Klage: Die SPD opfert sich der staatspolitischen Räson. | |
Noch klingen die Formulierungen von Schulz und Co. wolkig. Aber auch durch | |
den rhetorischen Nebel ist klar zu erkennen, wohin der Zug, vorerst | |
langsam, rollt – in Richtung Große Koalition. Es geht nur noch darum, dies | |
der Basis schonend nahezubringen. Das ist nötig, weil vor allem Martin | |
Schulz mit markigen Worten bekräftigt hat, die SPD keinesfalls in eine | |
Große Koalition zu führen. Noch am Montag verkündete der SPD-Chef fast | |
triumphierend: Neuwahlen, sonst nichts. Doch das ist schon wieder passé. | |
Schulz ist derzeit der Inbegriff des SPD-Problems – einer nervtötenden | |
Flatterhaftigkeit. Erst macht er im Wahlkampf auf links, Rot-Rot-Grün und | |
Agendakritik, dann räumt er für Agenda-Kanzler Gerhard Schröder die | |
Parteitagsbühne. Dann erklärte er vollmundig, nicht in die Merkel-Regierung | |
einzutreten, um die Kanzlerin attackieren zu können. Doch beim TV-Duell war | |
er handzahm. Nach der Wahlniederlage verkündete er, auf keinen Fall mit | |
Merkel zu koalieren, nun rudert er zurück. Schulz fehlen taktische Finesse, | |
strategische Vorausschau und ein brauchbarer politischer Kompass. Das ist | |
erstaunlich, war er in Brüssel doch machtbewusster Manager einer Großen | |
Koalition. | |
Eigentlich hat Martin Schulz, ein Mann, der mit dem Herzen denkt, zu viele | |
Fehler auf seinem Konto. Er wirkt wie ein Blatt im Wind. Nach dem | |
Jamaika-Crash hat er ohne Not eine Minderheitsregierung ausgeschlossen und | |
so den ohnehin engen Bewegungsspielraum der SPD verkleinert. Zur | |
schwindelerregenden sozialdemokratischen Dialektik gehört nicht nur, dass | |
am Freitag Parteilinie ist, was am Montag noch als halber Verrat galt. | |
Sondern auch: Schulz ist derzeit gerade wegen seiner „Nie mit Merkel“-Linie | |
unkündbar. Nur er kann der Partei die Große Koalition verkaufen. Jeder | |
Versuch, Schulz auf dem Parteitag zu stürzen, würde als Putsch gedeutet und | |
die Implosionsgefahr der SPD befördern. | |
## Konventionell und fantasielos | |
Eigentlich wären die Genossen gut beraten, der Union nun die Tolerierung | |
einer Minderheitsregierung anzubieten. Damit könnten sie den Ball dorthin | |
spielen, wo er hingehört – ins Feld von Angela Merkel. Doch die SPD ist zu | |
konventionell, zu fantasielos, zu sehr vom öffentlichen Dienst geprägt, um | |
diese Karte zu spielen. Auch die SPD-Linke hält eine Minderheitsregierung | |
nur für eine hübsche Seifenblase. Es gibt niemand, der Merkel entschlossen | |
und forsch mit einem seriösen Tolerierungsangebot in die Ecke treiben | |
könnte. Die SPD ist, so tollpatschig sie derzeit wirkt, eine Machtpartei. | |
Nicht so rücksichtslos wie die Union, aber im Zweifel auf Posten geeicht. | |
Auf Ministerjobs zu verzichten, um Politexperimente zu testen, gehört nicht | |
zu ihrem Selbstbild. | |
Wie unsicher das ist, erkennt man an zwei SPD-Erzählungen, warum sie | |
eigentlich nicht mit Merkel regieren kann. Die erste: Merkel ist so | |
flexibel, dass sie fast alle SPD-Ideen durch winkt, nur um an der Macht zu | |
bleiben. Die zweite: Es gibt keine politischen Gemeinsamkeiten mehr mit der | |
Union – Europa, Arbeit, Bürgerversicherung, überall Schluchten ohne Brücke. | |
Diese beiden Erzählungen passen nicht so recht zusammen. | |
Die SPD braucht für den Deal mit der Union, was ihr schon im Wahlkampf | |
fehlte: klare, verständliche Ziele. 12 Euro Mindestlohn, die Olaf Scholz | |
ins Gespräch brachte, sind ein Anfang. Doch das reicht nicht. Wer mit | |
Merkel Geschäfte macht, braucht kluge Strategien und taktisches Talent. Man | |
kann nicht sagen, dass dies Stärken von Martin Schulz sind. | |
25 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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