# taz.de -- Pro Beweis gegen häusliche Gewalt: Spuren sichern | |
> Opfer häuslicher Gewalt gehen oft nicht zur Polizei. Das Netzwerk Pro | |
> Beweis sichert Spuren für mögliche spätere Anzeigen. Die Koalition in | |
> Niedersachsen unterstützt das | |
Bild: Mit einem Foto ihrer Verletzungen haben Opfer häuslicher Gewalt vor Geri… | |
Hannover taz | Die Spuren häuslicher Gewalt sind vergänglich. Blaue Flecken | |
und Würgemale verblassen, Abschürfungen heilen und DNA-Spuren können nach | |
einem Missbrauch nur bis zu drei Tage gesichert werden. Ohne diese Beweise | |
sind die Täter kaum zu überführen, aber die traumatisierten Opfer trauen | |
sich in vielen Fällen nicht, gleich nach der Tat zur Polizei zu gehen. | |
Damit die Beweise nicht verschwinden, gibt es in Niedersachsen das Netzwerk | |
Pro Beweis. Die große Koalition aus SPD und CDU hat sich gerade im | |
Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, das Netzwerk auszubauen. | |
Zukünftig soll in jedem niedersächsischen Landkreis und in jeder | |
kreisfreien Stadt eine Partnerklinik des Netzwerks existieren. Das Projekt | |
funktioniert so: Wenn eine Frau – in über 80 Prozent der Fälle sind die | |
Opfer häuslicher Gewalt weiblich – nach einer Gewalttat nicht sofort eine | |
Anzeige erstatten möchte, kann sie stattdessen eine der bisher 31 | |
Untersuchungsstellen zwischen Göttingen und Aurich anlaufen. Dort sichern | |
speziell geschulte Ärzte die Beweise. Sie machen Fotos von den | |
Verletzungen, nehmen DNA-Proben und schreiben einen Bericht – anonym. | |
Wenn die Frau sich später dazu entscheidet, den Täter, der in vielen Fällen | |
ein Partner, Verwandter oder Freund ist, doch vor Gericht zu bringen, steht | |
nicht einfach Aussage gegen Aussage. Die Betroffene kann auf die | |
gesicherten Beweise zurückgreifen. Die Asservate werden in der | |
Medizinischen Hochschule Hannover für mindestens drei Jahre und die | |
schriftliche Dokumentation für 30 Jahre gelagert. | |
„Es hilft den Frauen, wenn sie wissen, dass die Befunde gesichert sind“, | |
sagt Anette Debertin von der Hochschule. Die Professorin der Rechtsmedizin | |
untersucht die betroffenen Frauen auch selbst. In fast sechs Jahren hat das | |
Projekt in über 600 Fällen Beweise gesichert. „Etwa 20 Prozent der | |
Betroffenen entscheiden sich später, Kontakt mit der Polizei aufzunehmen“, | |
sagt Debertin. Manchmal lägen Tage zwischen der Untersuchung und dem Gang | |
zur Polizei, manchmal Jahre. Wie viele Frauen tatsächlich eine Anzeige | |
erstatteten, sei laut Debertin nicht genau erfasst. | |
Doch ob Anzeige oder nicht, es helfe den Betroffenen schon, dass sie Zeit | |
bekämen, um überhaupt darüber nachzudenken. „Und zu wissen, ich könnte, | |
wenn ich wollte“, sagt die Ärztin. Kommt es zum Prozess, schreibt das | |
Netzwerk den Klägerinnen ein gerichtsfestes Gutachten auf Grundlage der | |
gesicherten Beweise. | |
Zudem vermittelt Pro Beweis die Frauen an Opferschutzeinrichtungen, | |
Frauenhäuser oder auch Anwälte weiter. Die Betroffenen sollen nach der | |
Beweissicherung nicht allein gelassen werden. „Es sind Frauen, die oft in | |
einer Gewaltspirale stecken und sich dann endlich doch trauen, etwas zu | |
sagen“, so Debertin. | |
Das Landeskriminalamt (LKA) hat im Jahr 2016 fast 17.900 Straftaten im | |
Zusammenhang mit häuslicher Gewalt registriert. Im Jahr 2012 waren es noch | |
15.141 Fälle. Die Zahl, die ebenso Beleidigungen, Körperverletzungen, | |
Vergewaltigungen oder Tötungsdelikte umfasst, ist seither kontinuierlich | |
gestiegen. Die Polizei erklärt das damit, dass es eine erhöhte Sensibilität | |
gegenüber dem Thema und daher auch eine erhöhte Anzeigebereitschaft gibt. | |
Dennoch werde nur jede siebte Körperverletzung durch einen (Ex-)Partner | |
angezeigt, schreibt das LKA im aktuellen „Lagebericht Häusliche Gewalt in | |
Niedersachsen“. | |
Bisher unterstützt das niedersächsische Sozialministerium das Projekt mit | |
270.000 Euro pro Jahr. Dem SPD-Abgeordneten Ulf Prange zufolge soll das in | |
Zukunft aber mehr werden. Der Ausbau des Netzwerkes von Partnerkliniken sei | |
in einem Flächenland wie Niedersachsen „natürlich mit zusätzlicher | |
finanzieller Unterstützung verbunden“, sagt Prange. Die genaue | |
Ausgestaltung müsse in der großen Koalition aber noch beraten werden. | |
Die neue niedersächsische Sozialministerin Carola Reimann (SPD) bezeichnete | |
das Projekt als „niedersächsische Erfolgsstory“. Die flächendeckende, | |
standardisierte und verfahrensunabhängige Spurensicherung sei bundesweit | |
einmalig. Ziel sei es nun, weitere Untersuchungsstellen zu prüfen, | |
Kooperationen einzugehen und das Personal zu schulen, „sodass jede Frau in | |
Niedersachsen möglichst wohnortnah auch in den ländlichen Gebieten eine | |
geeignete Klinik erreichen kann“, so Reimann. | |
Auch Prange findet die Möglichkeit für Frauen wichtig, auch noch später | |
eine Anzeige erstatten zu können. „Das Projekt stärkt die Rechte der | |
Opfer“, so Prange. „Gerade bei sexueller Nötigung kommt der Täter oft aus | |
dem familiären Umfeld.“ Dann sei der Druck auf das Opfer besonders hoch. | |
24 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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