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# taz.de -- Atomtests in Nordkorea: Indizien für eine Katastrophe
> Nach sechs nordkoreanischen Atomtests wächst in Südkorea die Sorge vor
> radioaktiver Verseuchung. Die Vorwürfe von Zeugen wiegen schwer.
Bild: Eine südkoreanische Wissenschaftlerin erklärt ein künstliches Erdbeben
SEOUL taz | Erst in ihrer Wahlheimat Seoul haben sich die Erinnerungen von
Lee Jeong Hwa wie ein Puzzle zusammengefügt. Die Mittvierzigerin stammt aus
der Ortschaft Kilju in Nordkorea, im bergigen Nordosten des Landes. Das
nukleare Testgelände nur wenige Kilometer entfernt hielt sie damals nur für
eine gewöhnliche Militärbasis. Das Zittern der Erde nach den ersten zwei
Atomtests für natürliche Beben.
„Und dann waren da plötzlich diese vielen Erkrankungen, für die uns keiner
der Ärzte eine Diagnose geben konnte“, erinnert sie sich. Sieben Jahre nach
ihrer Flucht aus Nordkorea fürchtet sie: Ihre Heimatregion könnte nuklear
verseucht sein.
Sechs Atomtests hat Nordkoreas Kim-Dynastie seit 2006 durchgeführt, alle
auf Testgeländen in Punggye-ri, dessen Tunnel bis zu zwei Kilometer unter
der Erde liegen.
Die jüngste Wasserstoffbombe im September war mit einer Sprengkraft von
womöglich bis zu 200 Kilotonnen mächtiger als alle vorherigen vereint. Sie
löste massive Erdrutsche vor Ort aus und ein Beben der Stärke 6,1 auf der
Richter-Skala.
## Bergstruktur beschädigt?
Seitdem mehren sich die Sorgen vor atomarer Verseuchung. Suh Kyun Ryul,
Professor für Kerntechnik an Seouls Nationaluniversität, geht davon aus,
dass die Bergstruktur in Punggye-ri stark in Mitleidenschaft gezogen wurde:
„Sollten Nordkorea weiter ähnlich starke Atombomben im selben Gelände
testen, führt dies früher oder später zu einem vorzeitigen Kollaps, bei dem
radioaktives Material in das Grundwasser und an die Erdoberfläche gelangen
könnte.“
Laut der südkoreanischen Nichregierungsorganisation Vision of North Korea
ist dies möglicherweise schon passiert: In einer mehrjährigen Untersuchung
wurden Zeugenaussagen von 21 nordkoreanischen Flüchtlingen aus der Region
gesammelt.
Deren Vorwürfe wiegen schwer: Ungewöhnlich viele Pflanzen würden absterben,
unterirdische Wasserquellen seien versiegt, Bachforellen – einst eine
regionale Spezialität – würden tot in Flüssen treiben. Und immer mehr
Neugeborene aus der betroffenen Gegend kämen laut Zeugen mit Geburtsfehlern
und Verformungen auf die Welt.
Vision of North Korea hält dies für die Folgen radioaktiver Strahlung. Eine
der Interviewten ist Rhee Yeong Sil (60), die bis vor ihrer Flucht 2013 nur
wenige Kilometer vom Atomtestgelände entfernt lebte.
„Wir hatten mehr Kranke zu beklagen als andere Regionen. Meine ganze
Familie litt unter heftigen Kopfschmerzen und Brechreiz, bei denen keine
Medizin half“, sagt Rhee. „Viele sind an Leukämie gestorben, selbst junge
Leute.“ Mindestens zwei ihrer Bekannten hätten körperlich deformierte
Kinder zur Welt gebracht.
## Folgen von Radioaktivität oder Mangelernährung?
Überprüfen lassen sich solche Aussagen nicht, geschweige denn in einen
Kausalzusammenhang mit radioaktiver Strahlung bringen. Auch könnten viele
der Vorwürfe Folgen von Mangelernährung und katastrophaler
Gesundheitsversorgung sein.
Kerntechnikprofessor Suh hält die Vorwürfe der Flüchtlinge für plausibel:
„Aber letztlich müssen wir uns auf ihre Worte verlassen, weil uns kaum
zuverlässige Daten zur Verfügung stehen.“
Als Mahnung sollten die Befürchtungen der nordkoreanischen Flüchtlinge
gelten – an die internationale Gemeinschaft, unabhängige Untersuchungen
einzufordern.
In Seoul hat das Vereinigungsministerium begonnen, insgesamt 30
nordkoreanische Flüchtlinge aus der betroffenen Region auf radioaktive
Strahlung zu prüfen. Laut einer Ministeriumssprecherin würden die
Ergebnisse kurz vor Jahresende vorliegen.
21 Nov 2017
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
Atomtest
Radioaktivität
Nordkorea
Südkorea
Atombombe
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