# taz.de -- Justiz in Malaysia: Mord – und trotzdem nicht schuldig? | |
> An diesem Montag startet der Prozess gegen zwei Frauen, die Kim Jong Uns | |
> Halbbruder getötet haben sollen. Es scheint, als seien sie selbst nur | |
> Opfer. | |
Bild: April 2017: Nach einem Verhör verlässt die Indonesierin Siti Aisyah das… | |
Peking taz | Als Siti Aisyah Mitte April zum ersten Mal vor einem Gericht | |
in der malaysischen Hauptstadt erschien, wirkte sie noch zuversichtlich, | |
dass sie straffrei davon kommen würde. Die 25-jährige Indonesierin | |
lächelte. Schließlich sei sie hinters Licht geführt worden. | |
Sie und ihre Mitangeklagte hätten gedacht, an einer harmlosen | |
Fernsehsendung mit versteckter Kamera teilzunehmen. Sie sollten den ihnen | |
ausgewiesenen Mann lediglich überraschen, einen Streich spielen. Keiner von | |
beiden hätte vermutet, dass sie den spektakulärsten Mord dieses Jahrzehnts | |
begehen würden. | |
Doch schon bei der zweiten Anhörung Ende Mai sah Aisyah sehr viel blasser | |
aus. Inzwischen war sie im Bilde, wem sie am Morgen des 13. Februars auf | |
dem Internationalen Flughafen von Kuala Lumpur eine Substanz ins Gesicht | |
geschmiert hatte: Kim Jong Nam, dem Halbbruder des nordkoreanischen | |
Machthabers. | |
Bei der dritten Anhörung brach sie in Tränen aus. Ihr Anwalt verlas einen | |
Brief, der an ihre Familie gerichtet war. „Betet einfach für mich, dass der | |
Fall bald beendet ist und ich nach Hause kommen kann.“ | |
## Wirklich schuldig? | |
Wegen des Giftmords am Halbbruder von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un | |
wird ihr und Doan Thi Huong aus Vietnam am Montag der Prozess gemacht. | |
Ihnen wird vorgeworfen, dem 45-jährigen Kim Jong Nam mit dem Nervengas VX | |
vergiftet zu haben. Ihnen droht bei einer Verurteilung die Todesstrafe. | |
Nur: Sind sie wirklich schuldig? Doug Bock Clark, Journalist der US-Ausgabe | |
des Magazins GQ, hat sich in den letzten Monaten intensiv mit den | |
Hintergründen dieses Mordes beschäftigt. Und er bezweifelt, ob den beiden | |
Frauen wirklich bewusst war, zu welcher Tat sie an jenem Februarmorgen | |
angestiftet wurden. | |
Nach monatelangen Recherchen ist es ihm gelungen, im Detail zu | |
rekonstruieren, wie die nordkoreanischen Auftraggeber Kontakt zu den beiden | |
Frauen aufgenommen hatten. Die Geschichte von Doan Thi Huon ist schnell | |
erzählt. | |
Sie ist in einem vietnamesischen Dorf aufgewachsen, war für 20 Sekunden | |
berühmt, als sie bei der Casting-Show „Vietnam Idol“ einen Auftritt hatte. | |
Schließlich landete sie im Rotlichtviertel von Hanoi als „Eskort“. Ein | |
verdeckter Agent aus Nordkorea rekrutierte sie. | |
## Rolle in einer Reality-Show | |
Aisyah ist den Recherchen zufolge am 5. Januar angeheuert worden. Ein Mann, | |
der sich ihr gegenüber als japanischer Geschäftsmann ausgegeben hatte, habe | |
ihr angeboten, eine Rolle in einer Reality-Show zu übernehmen. Sie solle | |
bei laufender Kamera Passanten mit Baby-Öl einschmieren. | |
In den darauf folgenden Wochen zog sie mit einem Kameramann mehrmals durch | |
Einkaufszentren von Kuala Lumpur, schmierte Männern Öl ins Gesicht, | |
entschuldigte sich und verschwand. | |
Pro Dreh erhielt sie 100 US-Dollar bar auf die Hand. Das ist mehr als das | |
Sechsfache was sie normalerweise für den „Service“ eines Kundens bekommen | |
würde nach Abzug des Anteils an ihren „Vermittler“. In ihrem Heimatdorf bei | |
ihren Eltern in Indonesien hat sie einen neunjährigen Sohn zu versorgen. | |
Selbst Tage nach ihrem Attentat ahnte sie nichts Schlimmes. Ihre Festnahme | |
war für die malaysischen Behörden denn auch einfach. Sie fanden sie im | |
Flamingo Hotel, das Zimmer auf Stundenbasis vermietet. Sie war mit einem | |
Kunden beschäftigt. Polizisten führten sie ab und sperrten sie in eine | |
Gefängniszelle. | |
## Nicht Teil des Drehs | |
Beim ersten Verhör fragte sie bloß, wann sie endlich raus dürfe. Beim | |
zweiten Mal beschwerte sie sich, dass sie noch immer nicht für den Sketch | |
bezahlt worden sei. Erst beim vierten Verhör dämmerte ihr, das ihre | |
Festnahme nicht Teil des Drehs war. Vom nordkoreanischen Machthaber wusste | |
sie nichts. Sie verfolgte keine Nachrichten. Als ihr ein Bild des toten | |
Halbbruders gezeigt wurde, brach sie in Tränen aus. | |
Für den malaysischen Polizeichef war der Fall zunächst eindeutig. | |
Schließlich waren die zwei Frauen direkt nach dem Attentat auf die Toilette | |
geeilt und hatten sich ihre Hände gewaschen. Das belegen Aufnahmen der | |
Überwachungskameras. | |
Aus seiner Sicht wussten sie also offensichtlich vom Wirkungsgrad des | |
Gifts. Die Anwälte der beiden Frauen fragen jedoch: Will man sich nicht | |
immer die Hände waschen, nachdem man etwas Schmieriges angefasst hat? | |
Aisyah und Huong sind die einzigen, die sich in dem Mordfall vor Gericht | |
verantworten müssen. Vier Verdächtige konnten nach der Tat sofort nach | |
Nordkorea entkommen. | |
## In der Botschaft verschanzt | |
Drei weitere verschanzten sich in der nordkoreanischen Botschaft in Kuala | |
Lumpur. Sie erhielten anderthalb Monate später eine Ausreiseerlaubnis – | |
nachdem das Regime in Nordkorea malaysische Geschäftsleute ausfliegen ließ, | |
die es bis dahin in Pjöngjang als Geisel festgehalten hatte. | |
Als „unfair“ und „tragisch“ bezeichnen die Anwälte der beiden Frauen d… | |
Vorgehen der malaysischen Behörden. Die Drahtzieher durften das Land | |
verlassen. Ihre Mandantinnen hingegen müssten nun als Sündenböcke herhalten | |
für einen Mord, von dem sie nicht wussten, dass sie ihn begehen würden. | |
2 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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