| # taz.de -- U-Bahnfahren in Pjöngjang: Die Führer fahren BVG | |
| > In Nordkoreas Hauptstadt fahren alte Waggons aus BVG-Bestand. Aufgemöbelt | |
| > und ganz ohne Werbung, dafür mit sozialistischer Botschaft. | |
| Bild: Alle Metrostationen in Pjöngjang sind nach Themen der nordkoreanischen R… | |
| Weil wir dich lieben“ ist ein ziemlich alberner Werbespruch für eine | |
| Transportfirma, die die Leute ja nur zuverlässig von A nach B bringen soll. | |
| Zumal in Berlin, wo man schon froh ist, wenn die Beförderung durch die | |
| Stadt einigermaßen reibungslos klappt. Wenn der BVG-Werbespruch irgendwohin | |
| gut passt, dann eigentlich nach Pjöngjang. Dort hängen in jedem | |
| U-Bahn-Wagen kleine Porträtfotos von Kim Il Sung und Kim Jong Il, die auch | |
| viele Jahre nach ihrem Ableben als „Großer Führer“ beziehungsweise | |
| „Geliebter Führer“ in Nordkorea verehrt werden. Bei den beiden handelt es | |
| sich im Großvater bzw. Vater von Nordkoreas Diktator Kim Jong Un, der | |
| gerade die Welt mit Raketentests in Atem hält. Interessanterweise – und | |
| hier schließt sich dann doch der Kreis zur BVG – sind es Berliner | |
| U-Bahn-Waggons, in denen die Bilder der auf ewig geliebten Machthaber | |
| hängen. | |
| Ende der 1990er Jahre hatte die BVG etliche ausgemusterte und nicht | |
| verschrottete Nachkriegszüge der West-Baureihe D (Spitzname „Dora“) – die | |
| von der Firma Orenstein & Koppel zwischen 1956 und 1964 gebaut worden waren | |
| – nach Nordkorea verkauft. Dort befahren sie das aus zwei Linien bestehende | |
| U-Bahn-Netz. | |
| Neuerdings können auch Berliner, die als Touristen in Nordkorea weilen, in | |
| den nicht mehr gelb, sondern rot und cremefarben lackierten Zügen | |
| mitfahren. Lange Zeit hieß es ja, dass die Stationen in 100 Meter Tiefe im | |
| Kriegsfall als Atombunker für die Bevölkerung dienen würden und deshalb für | |
| Ausländer tabu seien. Das hat sich offenbar geändert, wenngleich die | |
| Touristen nur in Begleitung der Reiseführer in den Pjöngjanger Untergrund | |
| eintauchen dürfen. | |
| ## Nirgendwo gehetzte Fahrgäste | |
| Ansonsten gibt es noch etliche Unterschiede mehr zwischen dem Berliner und | |
| dem Pjöngjanger U-Bahn-Wesen: Auf den Bahnsteigen stehen keine | |
| Zeitungskioske oder Imbissbuden. An den Tunnelwänden hängen statt | |
| Werbeplakaten für Konsumartikel große Wandmosaiken von der Vision des | |
| Sozialismus mit nordkoreanischem Antlitz. | |
| Anders als in Berlin gibt es auch keine gehetzten Passagiere, keine | |
| Jugendlichen mit Wegbier und wohl auch keine Schwarzfahrer. Es gibt keine | |
| Schmierereien, keine geritzten Scheiben und vermutlich auch keine | |
| öffentliche Debatte über Sinn und Unsinn von Überwachungskameras. Es gibt | |
| in den Waggons kein U-Bahn-TV, aber auch hier Leute, die auf Handys | |
| starren. Smartphones – übrigens aus eigener Produktion – sind erlaubt, mit | |
| ihnen kann man (aber nicht jeder) im autarken nordkoreanischen Netz surfen. | |
| Was es in Berlin schon lange nicht mehr gibt, aber in Pjöngjang: | |
| leibhaftiges Bahnhofspersonal. Die Frauen in ihren dunkelblauen Uniformen | |
| schieben noch mit Kelle in der Hand Dienst am Bahnsteig. Etwa in der | |
| Metrostation Puhung, auf Deutsch „Wiederauferstehung“. Alle Stationen sind | |
| nach Themen der nordkoreanischen Revolution benannt – unter anderem Rakwon | |
| (Paradies), Samhung (Drei Erweckungen, was die Erziehung der Schüler durch | |
| Wissen, Moral und Sport meint), Kaeson (Triumphale Wiederkunft) oder Chonu | |
| (Kriegsfreund). | |
| Blühend bunt und leuchtend ausgestaltet sind auch die mit Marmorsäulen, | |
| Reliefs und Kronleuchtern verzierten Bahnhöfe. In der Station Puhung zeigen | |
| zwei riesige Mosaikbilder, wie die Werktätigen der Industrie und | |
| Landwirtschaft begeistert der Planerfüllung nachgehen. Das eine trägt den | |
| Titel „Ein Morgen der Innovationen“, das andere „Lied einer Rekordernte�… | |
| Dazwischen erstrahlt am Bahnsteigkopfende das Monumentalgemälde „Der Große | |
| Führer Kim Il Sung unter Arbeitern“. | |
| Vergleichbares gibt es in Berlin natürlich nicht, sieht man mal davon ab, | |
| dass in der deutschen Hauptstadt eine sogenannte Kanzler-U-Bahn fährt: die | |
| Stummel U55 zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor, die nicht mal an | |
| das weitere Netz angeschlossen ist. Auf ihr fahren die gleichen | |
| U-Bahn-Wagen wie in Pjöngjang. Einen „Dora“-Zug mit drei Doppelwagen hatte | |
| die BVG nämlich behalten und aufgemöbelt. | |
| 8 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Leue | |
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