# taz.de -- Berlins jüngster Busfahrer: Keine Angst vor großen Autos | |
> Lionel Oehlke ist Berlins jüngster Busfahrer. Er wirkt aber so gelassen, | |
> als ob er schon seit Jahren durch den Großstadtverkehr fährt. | |
Bild: Auch im stressigen Hauptstadtverkehr vergeht Lionel Oehlke das Lachen nic… | |
Ein kalter Morgen Anfang November: Im beschaulichen Hermsdorf im Norden von | |
Berlin stehen rund zehn Leute an der Bushaltestelle. Es ist kalt, dick | |
eingepackt starren die Menschen auf ihre Smartphones, eine Frau liest ein | |
Buch. Als der gelbe BVG-Bus vorfährt, drängen sich die Leute ins Innere. | |
Dem Fahrer schenken sie kaum Beachtung, ein paar murmeln ein knappes „Guten | |
Morgen“. | |
Dabei steigen die Fahrgäste hier in einen besonderen Bus. Gelenkt wird er | |
nämlich von Lionel Oehlke – dem jüngsten Busfahrer Berlins, der am | |
Donnerstag seinen 19. Geburtstag feiert. | |
An dem Novembermorgen wirkt er frisch und munter. Schon seit sechs Uhr | |
früh ist er unterwegs. Diesmal eben auf der Linie 326 – eine kleine | |
Rundfahrt durch Hermsdorf. Dabei geht es vor allem durch die engen Straßen | |
der Wohngebiete und Tempo-30-Zonen. Rechts und links parken Pkws, für zwei | |
Autos nebeneinander – ganz zu schweigen von einem Bus – ist nicht viel | |
Platz. „Hier macht es keinen wirklichen Spaß, zu fahren, es ist so eng“, | |
zeigt sich Oehlke dann auch nur mäßig begeistert von der ihm zugeteilten | |
Route. | |
Wie zur Bestätigung kommt ein Geländewagen, dessen Fahrerin mit dem | |
entgegenkommenden BVG-Eindecker überfordert zu sein scheint. Hektisch fährt | |
sie zurück, hält an und schleicht dann doch im Schritttempo knapp an | |
Oehlkes Bus vorbei. | |
## Busfahrer als Traumberuf | |
Der Busfahrer beobachtet das Manöver kritisch, was an mangelndem Vertrauen | |
weniger in die eigenen Fahrkünste als an die der Fahrerin des Jeeps liegen | |
dürfte. „Ich denke schon, dass ich gut fahren kann“, zeigt Oehlke sich | |
selbstbewusst. | |
Große Gefährte zu steuern war schon immer sein Traumberuf. Zunächst wollte | |
er U-Bahn-Fahrer werden: „Mit der Zeit aber dachte ich: Immer allein im | |
Tunnel – das ist nichts für mich. Ich wollte lieber Tageslicht und den | |
direkten Kontakt mit den Menschen – so kam ich zum Busfahren.“ Auf die | |
Frage, ob denn der Beruf so ist, wie er ihn sich vorgestellt hatte, | |
antwortet er ohne Zögern: „Absolut. Es macht sogar noch viel mehr Spaß.“ | |
2015 bewarb sich Lionel Oehlke um ein Schülerpraktikum bei der Dr. Herrmann | |
Gruppe, dem Omnibusunternehmen in Biesdorf. Das lief so gut ab, dass | |
Oehlke ab September 2016 eine dreijährige Ausbildung zum Omnibusfahrer bei | |
dem Betrieb beginnen konnte. Jetzt ist er im zweiten Ausbildungsjahr, ein | |
Jahr hat er noch vor sich. | |
Biesdorf ist inzwischen auch Lebensmittelpunkt der ganzen Familie Oehlke. | |
Als es mit der Ausbildung geklappt hatte, zogen die Eltern mit Lionel | |
eigens von Schöneberg in den Osten. „Ansonsten wäre einfach zu viel Zeit | |
fürs Pendeln draufgegangen“, sagt er. Unterstützt hätten die Eltern seinen | |
Berufswunsch immer. „Sie sind sehr stolz auf mich“, sagt der Teenager. | |
## Langsam an die großen Gefährte herangetastet | |
Auch Stefan Drechsel zeigt sich von Oehlke angetan. Der Personalleiter der | |
Dr. Herrmann Gruppe begleitet Oehlke seit dem ersten Tag der Ausbildung. | |
„Lionel ist immer pünktlich und sehr zuverlässig. Darum haben wir ihm auch | |
schon mit 18 Jahren die Verantwortung für einen ganzen Bus überlassen.“ Ob | |
Busunternehmen ihre FahrerInnen allein auf die Straße lassen, ist ihnen | |
selbst überlassen. Nötig ist die Volljährigkeit und eine gültige | |
Fahrerlaubnis der Klasse D. | |
Jungbusfahrer Oehlke erzählt, wie er langsam an das Busfahren herangeführt | |
wurde. „Von meinem ersten Lehrjahr an durfte ich in Biesdorf auf dem Hof | |
und im Simulator fahren. Nachdem ich mit dem Bus sicher war, ging es mit | |
meinem Lehrfahrer in den Straßenverkehr. | |
Von da an konnte ich Schritt für Schritt selber fahren – aber gleich von | |
Anfang an mit Fahrgästen.“ Die Prüfung für den D-Führerschein legte Oehlke | |
im April dieses Jahres ab. „Dann ging es noch mal rund vier Wochen mit | |
Fahrlehrer auf die Straße. Offiziell allein fahren darf ich seit dem 1. | |
Mai.“ | |
Dass Oehlke dabei oft im BVG-Outfit wie etwa in Hermsdorf mit dem gelben | |
Bus unterwegs ist, liegt daran, dass er bei Bedarf „ausgeliehen“ wird. Sein | |
Arbeitgeber bedient seit 1993 verschiedene Linien für die BVG sowie | |
Schienenersatzverkehr, etwa für die S-Bahn. Auch dabei wird Oehlke als | |
Fahrer eingesetzt. „Ansonsten fahre ich viel mit unseren eigenen Bussen, | |
beispielsweise Schüler.“ | |
## Die Fahrgäste haben kein Problem mit dem Jungbusfahrer | |
Unabhängig davon, wo oder mit wem er unterwegs ist, betont der jetzt | |
19-Jährige: „Ich trage große Verantwortung für meine Passagiere. Das macht | |
mir aber keine Sorgen, und bisher gab es noch nie eine Beschwerde über | |
mich.“ | |
Die Fahrgäste hätten keine Probleme, wenn sie sehen würden, was für ein | |
junger Mensch hinter dem Steuer sitzt. „Da gab es noch nie einen blöden | |
Spruch“, so Busfahrer Oehlke. | |
Das einzige Mal, dass sein Alter eine Rolle spielte, war während eines | |
Dienstes an einem Feiertag. Eine ältere Frau legte fünf Euro auf das | |
Kassenbord des Busses. „Auf meine Frage, welche Fahrkarte es denn sein | |
sollte, antwortete sie: Nein nein, junger Mann, das ist Taschengeld – für | |
Sie.“ Beim Erzählen der Geschichte kann sich Oehlke jedenfalls ein Grinsen | |
nicht verkneifen. | |
## Keine Angst vor dem autonomen Fahren | |
Für die Zukunft möchte der 19-Jährige nicht allzu weit vorausplanen. Vor | |
einer Sache ist ihm aber absolut nicht bange: vor selbstfahrenden Bussen, | |
die den Menschen hinter dem Lenkrad überflüssig machen. | |
„Beim Bus kann ich mir nur schwer vorstellen, wie Fahrer völlig ersetzt | |
werden sollen“, sagt Lionel Oehlke. „Mit Staus, Baustellen und der | |
Unberechenbarkeit anderer Verkehrsteilnehmer existieren so viele | |
Unwägbarkeiten – da mache ich mir für die kommenden Jahre keine Sorgen um | |
meinen Arbeitsplatz.“ | |
23 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Sophie-Isabel Gunderlach | |
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