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# taz.de -- Ausbildung in Leipzig: Lehrling gesucht
> Immer weniger Jugendliche bewerben sich um eine Lehrstelle. Dem Leipziger
> Handwerk fehlt deshalb der qualifizierte Nachwuchs.
Bild: Hart anpacken, schlechter Lohn. Der schlechte Ruf schreckt viele vom Hand…
LEIPZIG taz | Ein Junge in hochgeschlossenem Hemd und eng sitzender
Krawatte blickt starr nach vorne. Es ist dunkel, die Musik klingt
bedrohlich. Ein Mann in Anzug und eine Frau in biederem Kostüm kämmen sein
Haar glatt zur Seite und legen ihm ein graues Jackett an. Der Junge möchte
aufstehen, doch er wird zurück in den Stuhl gedrückt.
Ein Arbeitsvertrag liegt vor ihm auf dem Tisch, seine Lippen beben.
Plötzlich springt er auf und reißt sich inbrünstig den Anzug vom Leib. In
Arbeitsmontur und mit breitem Grinsen findet er sich in einer
lichtdurchfluteten Holzwerkstatt wieder. Ein Slogan poppt ins Bild: „Ich
hab was Besseres vor.“
Der Werbespot ist ein Teil einer deutschlandweiten Imagekampagne der
Handelskammern. Die sehen Handlungsbedarf. Es fehlt an Auszubildenden. Zu
Beginn des vergangenen Ausbildungsjahres blieben mehr als 1.600 Lehrstellen
in Sachsen unbesetzt. Wegen Nachwuchsmangels prognostiziert die Industrie-
und Handelskammer bis zum Jahr 2022 für die Region Leipzig einen Engpass
von 8.000 Fachkräften.
Schon jetzt suchen handwerkliche Betriebe in der Stadt händeringend nach
qualifiziertem Lehrlingen. Einer von ihnen ist Malermeister Uwe Noack. Seit
zehn Jahren führt er den Malerfachbetrieb Noack in dritter Generation. Er
erinnert sich: Während sich Ende der 90er Jahre etwa 30 Personen um eine
Lehrstelle bewarben, ist es heute schwierig, einen einzigen Bewerber zu
finden.
Den Grund dafür sieht er im schlechten Image des Handwerks: schwere
körperliche Arbeit bei schlechtem Verdienst. Doch gerade im florierenden
Leipzig sind die Anreize da. Die Konjunkturanalyse der Handwerkskammer zu
Leipzig vom Herbst 2016 zeigt: Die Geschäftslage ist gut.
## Mathe, Chemie, durchgefallen
Nahezu jeder zweite Handwerksbetrieb ist mindestens für ein Vierteljahr mit
Aufträgen versorgt. „Dadurch bewegen sich natürlich auch die Preise“,
erklärt der Geschäftsführer der Handwerkskammer, Volker Lux: „Es ist also
nicht so, dass ein Handwerker weniger verdienen muss als jemand, der einen
Hochschulabschluss hat.“
Nicht nur die geringe Anzahl der Bewerber bereitet den Betrieben Sorge,
sondern oftmals auch deren schulische Bildung. Sie würden teilweise an
einfachsten mathematischen Rechnungen scheitern. Das stellt die
hauptsächlich kleinen Betriebe im Kammerbezirk Leipzig vor ein echtes
Problem.
Die Kosten für die Berufsschule, das Ausbildungsgehalt und die Betreuung im
Betrieb werden zu einem großen Teil von den Betrieben selbst getragen.
„Eigentlich habe ich keine Zeit, mich hinzusetzen und mit dem Lehrling
Mathe zu machen, vielleicht noch Chemie“, sagt Uwe Noack.
Auch Malermeister Tino Nebel beobachtet eine qualitative Verschlechterung
der Bewerber. „Im Handwerk ist es mittlerweile schwierig, einen
Auszubildenden mit einer normalen, soliden Schulbildung zu finden.“ Doch
mathematische und physikalische Grundkenntnisse sind in vielen
Handwerksberufen unverzichtbar.
Die geburtenschwachen Jahrgänge in den 90er Jahren wirken sich ebenfalls
stark auf den Ausbildungsmarkt aus, sagt der Pressesprecher der
Arbeitsagentur Leipzig, Hermann Leistner. Heute versuchen Betriebe
teilweise, mit bestimmten Prämien Auszubildende anzulocken. „Vor fünfzehn
Jahren war das gänzlich unbekannt. Damals gab es viele Schüler, und der
Betrieb konnte sich die Besten aussuchen.“ Zu dieser Zeit bewarben sich in
Leipzig etwa 7.000 Ausbildungssuchende, im vergangen Jahr waren es nur noch
knapp 2.900.
Und die haben ihre eigenen Vorstellungen. Jüngste Daten der Agentur für
Arbeit zeigen: Die meisten Bewerbungen für Ausbildungen gehen bei den
Arbeitsfeldern Verkäufer/in, Kaufmann/-frau im Einzelhandel und
Kaufmann/-frau im Büromanagement ein. Allesamt keine Handwerksberufe.
Allerdings ist in den genannten Feldern auch das Stellenangebot am größten.
## Auf die Uni, keine Widerrede
„Akademisierungswahn“ ist ein Schlagwort, das in diesem Zusammenhang häufig
fällt. Dieser beschreibt die wachsende Zahl an Studierenden als auch an
Studienabbrechern und eine mangelnde Wertschätzung der dualen Ausbildung.
Tatsächlich belegen Statistiken den Trend zu Abitur und anschließendem
Studium. Mehr als 50 Prozent der Schüler in Leipzig besuchen das Gymnasium.
Auch die Studierendenzahl in Sachsen ist seit 2000 um etwa 30 Prozent
gestiegen. Die Schwelle, aufs Gymnasium zu kommen und das Abitur zu machen,
scheint gesunken zu sein. Die Eltern spielen dabei die ausschlaggebende
Rolle, meint die Vorsitzende des Leipziger Stadtelternrates, Petra Elias:
„Sind die Eltern hoch engagiert, finden sich die Kinder meistens auf dem
Gymnasium wieder.“
Nach den neuesten Bestimmungen zur Bildungsempfehlung am Ende der
Grundschulzeit ist der Wille der Eltern – Gymnasium oder Oberschule? –
letztendlich entscheidend. Damit könnten sich die Schülerzahlen auf den
Gymnasien weiter erhöhen.
Auch Diplom-Wirtschaftsingenieurin Katrin Munkelt weiß, wie mühsam es ist,
neue Auszubildende zu finden. Sie ist Geschäftsführerin des
Handwerkbetriebes Munkelt Bau in Borna, 30 Kilometer südlich vom Leipziger
Zentrum. Seit 2010 bietet sie Ausbildungen für die Berufe Maurer,
Stahlbetonbauer, Trockenbau und Fliesenleger an.
Die Nachfrage ist gering. Von den vier Lehrlingen, die sie bisher
ausgebildet hat, haben zwei frühzeitig abgebrochen. Dem einen Lehrling
wurde die Fahrerei zu viel – er war täglich 1,5 Stunden unterwegs, um zur
Berufsschule nach Leipzig zu kommen. Der andere Lehrling kam von der
Förderschule, wurde zusätzlich von einem Sozialarbeiter betreut und war
dennoch überfordert.
„Grundsätzlich gebe ich jedem eine Chance, der möchte, aber wir haben damit
auch schon viel Schiffbruch erlitten“, klagt Katrin Munkelt. Auswahl hat
sie kaum. Ihre insgesamt 25 Mitarbeiter sind zum Großteil über 50 Jahre alt
und gehen nach und nach in Rente.
## Als Malermeister auf Instagram
Statistisch gesehen finden viele Schüler mit Hauptschulabschluss zunächst
keinen Ausbildungsplatz. Betriebe sollen sich schwächeren Bewerbern mehr
öffnen – so die Schlussfolgerung des „Ländermonitors berufliche Bildung
2015“ der Bertelsmann Stiftung. So einfach ist das nicht, sagen viele
Betriebsleiter. „Ein Fachberuf erfordert Fachwissen“, so Munkelt. „Ich
brauche auch Leute, die Leitungsfähigkeiten entwickeln.“
Betriebe und Handwerkskammer sind sich einig: Wichtig ist die Kooperation
mit den Schulen. Schülern und Eltern müsse vermittelt werden, dass sich
Ausbildung und Studium nicht ausschließen, so
Handwerkskammer-Geschäftsführer Lux: „Wenn ich im Handwerk eine Ausbildung
mache und dann meine Meisterausbildung anschließe, habe ich dieselben
Hochschulzugangsvoraussetzungen wie ein Abiturient.“
Für Betriebe wird es immer wichtiger, sich selbst zu präsentieren. So ist
Uwe Noack viel auf Handwerksmessen und in den sozialen Netzwerken wie
Facebook aktiv, um ein facettenreiches Bild von seinem Beruf zu verbreiten.
Mit seinem jetzigen Lehrling ist er mehr als zufrieden. Er kam von der
Sport-Mittelschule und hat sich von Anfang an durch Zuverlässigkeit und
Selbstständigkeit ausgezeichnet. Jetzt ist er im dritten Lehrjahr. Dieses
Jahr schließt er die Ausbildung ab. Dann braucht Noack einen neuen
Auszubildenden. Bisher hat sich noch niemand beworben.
Mitarbeit: Adrian Breda und Marcel Jud
7 May 2017
## AUTOREN
Marlen Schernbeck
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