| # taz.de -- Korea vor dem Gipfeltreffen am Freitag: Friedenszeichen an der Front | |
| > Auf dem Weg zum Krieg oder zur Einheit? An der innerkoreanischen Grenze | |
| > erscheint der Konflikt der beiden Länder wie festgefroren. | |
| Bild: Gute Aussichten? Plattform an der Demarkationslinie zwischen Nord- und S�… | |
| Myeongpa-ri/Goseong/Panmunjeom taz | Als die erste Mörsergranate in der | |
| Ferne explodiert, gefolgt von einer langanhaltenden Maschinengewehrsalve, | |
| verzieht Jang Seok Gwon keine Mine. „Die südkoreanische Armee hat hinter | |
| dem Berg einen Schießstand, Militärübungen gehören für uns zum Alltag“, | |
| sagt der 64-Jährige stoisch. Herr Jang ist Bürgermeister von Myeongpa Ri, | |
| dem nördlichsten Dorf in Südkorea. Nur wenige hundert Meter entfernt | |
| schlängelt sich die innerkoreanische Grenze durch die Gebirgszüge an der | |
| Küste. | |
| Für Besucher wirkt die verschlafene Ortschaft wie in einem surrealen | |
| Spannungsfeld gefangen: Auf der einen Seite die unberührte Natur der | |
| entmilitarisierten Zone, in der sich seit fast sieben Jahrzehnten Flora und | |
| Fauna ein von menschlicher Hand unberührtes Refugium erschlossen haben. Auf | |
| der anderen Seite die regelmäßigen Evakuierungsübungen, die Sperrstunde mit | |
| Einsetzen der Dämmerung, die langwierigen Passkontrollen an den | |
| Militärcheckpoints. | |
| Wenn Jang Seok Gwon durch die Hauptstraße seines 300-Seelen-Dorfs führt, | |
| fällt es schwer zu glauben, dass Myeongpa Ri noch vor zehn Jahren ein | |
| beliebtes Ziel für Touristen war – Schaulustige, die einmal den Alltag nahe | |
| der nordkoreanischen Grenze erleben wollten. „Dann eskalierte der Konflikt | |
| zusehends, und immer neue Militärauflagen hielten die Besucher fern“, sagt | |
| Jang. | |
| Mittlerweile ist der Verkehr an der einzigen Bushaltestelle eingestellt. | |
| Das letzte Geschäft im Ort ist ein verwahrloster Kiosk mit verstaubter | |
| Auslage. „Fast alle Familien sind mittlerweile in die Stadt gezogen – | |
| zurück blieben nur die Senioren“, sagt der Bürgermeister: „Unsere Hoffnung | |
| liegt nun auf den kommenden Gesprächen mit Nordkorea. Wir haben es leid, in | |
| ständiger Anspannung leben müssen.“ | |
| ## Nagelprobe für Nordkoreas Charmeoffensive | |
| An diesem Freitag trifft Südkoreas Präsident Moon Jae In auf Diktator Kim | |
| Jong Un aus dem Norden zum ersten innerkoreanischen Gipfeltreffen seit elf | |
| Jahren. Es ist der Höhepunkt der Charmeoffensive des Nordens, die mit Kims | |
| Neujahrsansprache ihren Anfang nahm und in die Teilnahme Nordkoreas an den | |
| Olympischen Winterspielen in Pyeongchang mündete. Zusammentreffen werden | |
| die zwei Machthaber im südkoreanischen Teil des Friedensdorfs Panmunjeom: | |
| Wo vor nunmehr 65 Jahren der Koreakrieg mit einem Waffenstillstandsabkommen | |
| beendet wurde, könnte nun der Friedensprozess seinen Anfang nehmen. | |
| Wer den historischen Ort entlang der Grenze besichtigen möchte, wird | |
| zunächst in einem Besucherraum des UN-Kommandos ideologisch gebrieft: Ein | |
| Video mit orchestraler Musikuntermalung rekonstruiert den Ausbruch des | |
| Koreakriegs und teilt in simplem Schwarz-Weiß-Denken in Gut und Böse ein. | |
| Shuttlebusse führen die Reisegruppen vorbei an Minenfeldern und Wachposten, | |
| während ein Soldat mit Pilotenbrille und Schirmmütze die Regeln erklärt: | |
| Nicht mit dem Finger Richtung Norden zeigen, nicht laut auflachen, Handys | |
| auf stumm stellen. Die Anspannung ist Teil des Grenztourismusspektakels, | |
| der einen Nachmittag lang Kommunismusparanoia und Kalte-Kriegs-Stimmung für | |
| Schaulustige verspricht. Da passt es nur allzu gut ins Bild, dass der | |
| ehemalige US-Präsident Bill Clinton die demilitarisierte Zone als | |
| „furchteinflößendsten Ort der Welt“ bezeichnet hat. | |
| In der Tat kann die scheinbare Ruhe in Panmunjeom jederzeit in Gewalt | |
| umschlagen. Am 18. August 1976 wurden hier zwei US-Soldaten hinterrücks von | |
| Nordkoreanern erschlagen, als sie eine Pappel fällen wollten. Grund des | |
| brutalen Mordes: Laut den Nordkoreanern hätte Staatsgründer Kim Il Sung | |
| einst jenen Baum gepflanzt. Acht Jahre später floh ein sowjetischer | |
| Doktorand bei einem Besuch in Panmunjeom nach Südkorea. Damals kam es zu | |
| einem 40-minütigen Schusswechsel zwischen beiden Seiten. | |
| Erst im November 2017 gab es den letzten Zwischenfall, als ein | |
| nordkoreanischer Soldat in einem Jeep durch die Absperrungen raste und | |
| schließlich die letzten Meter in Richtung Grenze rannte. Seine Landsleute | |
| eröffneten das Feuer und trafen den Abtrünnigen fünfmal. Verwundet am Boden | |
| liegend, zogen ihn südkoreanische Soldaten in letzter Sekunde in | |
| Sicherheit. | |
| ## Der ehemalige US-Infanterieoffizier ist skeptisch | |
| „Trotz aller Vorfälle sollte man nicht vergessen: Statistisch gesehen ist | |
| man in Panmunjeom wesentlich sicherer als in jedem US-Bundesland“, sagt | |
| Steve Tharp, ein stämmiger Mann mit Südstaatenakzent, schwarzer | |
| Sonnenbrille und Militärschnitt. Tharp kennt Panmunjeom wie kaum ein | |
| Zweiter. Wegen seiner exzellenten Koreanischkenntnisse wurde der | |
| mittlerweile pensionierte US-Militär Ende der 90er Jahre dorthin entsandt, | |
| um Verhandlungen mit den Nordkoreanern zu führen: „Ich war quasi der Mann | |
| mit den Geldkoffern, für keine Jobs zu schade.“ Wenn es darum ging, die | |
| Gebeine von im Koreakrieg gefallenen US-Soldaten von den Nordkoreanern | |
| ausgehändigt zu bekommen, feilschte Steve Tharp um den Preis. | |
| Die Verhandlungen zwischen beiden Seiten seien damals jedoch oftmals | |
| geradezu herzlich verlaufen, die ideologischen Fronten spätestens nach der | |
| zweiten Runde Schnaps vergessen, erinnert sich Tharp. „In den neunziger | |
| Jahren war alles noch lockerer: Vor den Verhandlungen haben wir die | |
| Nordkoreaner mit Marlboro und Heineken versorgt – die wiederum brachten | |
| Schlangenschnaps mit. Am Ende lagen wir uns nicht selten lachend in den | |
| Armen“, sagt Tharp. | |
| Derzeit fühlt sich der ehemalige Infanterieoffizier wie in eine | |
| Zeitmaschine versetzt: Schon während der sogenannten Sonnenscheinpolitik | |
| nach der Jahrtausendwende schienen die innerkoreanischen Beziehungen vor | |
| einem Durchbruch zu stehen. Damals kam es zu zwei Gipfeltreffen. | |
| „Letztendlich hat Nordkorea die ganze Welt geblendet – es ließ sich für d… | |
| Verhandlungen mit üppigen Wirtschaftshilfen bezahlen und forschte heimlich | |
| an seinem Atomprogramm weiter“, meint Tharp. An der politischen Situation | |
| habe sich damals nichts geändert. Der Exmilitär befürchtet, dass sich die | |
| Fehler der Vergangenheit nun erneut wiederholen könnten. | |
| ## In Südkorea glaubt man an Entspannung | |
| „Nordkorea und die USA misstrauen sich zutiefst. Südkorea hat sich als | |
| Vermittler eine wichtige Rolle in dem Konflikt zurückgeholt“, sagt Cheong | |
| Seong Chang, politischer Berater von Präsident Moon Jae In. Seine Regierung | |
| scheint im Vorfeld des Gipfeltreffens guter Dinge. Seoul verkündete | |
| bereits, dass Nordkorea bereit sei, sein Nuklearprogramm komplett | |
| aufzugeben. Zudem würde der Norden nicht darauf bestehen, dass die fast | |
| 30.000 US-Soldaten aus dem Süden abziehen. Für außenstehende Beobachter | |
| sind dies ausnahmslos gute Nachrichten – jedoch mit einem faden | |
| Beigeschmack: Sie stammen nur aus zweiter Hand. Nordkoreas Staatsmedien | |
| selbst haben sich bislang zu den Plänen ihrer Führung komplett in Schweigen | |
| gehüllt. | |
| Dennoch ist Regierungsberater Cheong guter Dinge, dass die politische | |
| Annäherung schnell voranschreiten wird: „Nordkoreas Denuklearisierung | |
| sollte noch in Trumps Legislaturperiode abgeschlossen werden.“ Wenn | |
| Nordkorea im nächsten Jahr etwa die Hälfte seines Atomarsenals vernichten | |
| würde, könnte man eine Lockerung der Sanktionen in Aussicht stellen. Träumt | |
| Seoul gar von einer möglichen Wiedervereinigung? „Es ist noch viel zu früh, | |
| um darüber zu reden. Was jedoch möglich ist: den Handel und Austausch zu | |
| verstärken.“ | |
| Wie dies ausschauen könnte, lässt sich am innerkoreanischen Transitbüro | |
| nahe der Ostküste erfahren: Ein gläserner Bahnhof wurde hier während der | |
| „Sonnenscheinpolitik“ nach der Jahrtausendwende in die unberührte | |
| Landschaft der entmilitarisierten Zone gebaut. Stolze 13 Millionen Dollar | |
| zahlte der südkoreanische Steuerzahler für den futuristischen Prachtbau | |
| nahe der Ortschaft Goseong. Der geflieste Boden in der überdimensionalen | |
| Wartehalle glänzt im Licht der Abendsonne, die Wände riechen frisch | |
| gestrichen. Die gespenstische Stille verrät jedoch: In den letzten Jahren | |
| hat bis auf die uniformierten Soldatenpatrouillen praktisch niemand die | |
| Metalldetektoren des Grenzübergangs passiert. | |
| „Momentan warten wir nur die Anlagen, aber zwischen 2003 und 2008 sind hier | |
| fast zwei Millionen Südkoreaner Richtung Norden gereist“, sagt der Leiter | |
| des Transitbüros Woo Gye Geun. Hyundai Konzerngründer Chung Ju Yung, der | |
| selbst im Norden geboren wurde, errichtete im 27 Kilometer entfernten | |
| Diamantengebirge ein All-inclusive-Ferienressort, in dem später auch die | |
| Zusammenführung der vom Koreakrieg getrennten Familien abgehalten wurde. | |
| Als jedoch im Juli 2008 ein nordkoreanischer Soldat eine südkoreanische | |
| Wanderin im Sperrgebiet entdeckte und niederschoss, wurde das Projekt still | |
| gelegt. | |
| Laut Woo Gye Geun könnte sich dies nach den innerkoreanischen Gesprächen | |
| schon bald ändern: „Im Grunde ist ja alles noch intakt. Wenn die Order von | |
| oben kommt, können hier in einem Monat wieder Züge fahren.“ | |
| ## Im Dorf der geflüchteten Nordkoreaner | |
| Nicht weit von Goseong entfernt bietet eine Aussichtsplattform weite Blicke | |
| über Meer und Gebirge. Wer hier Fotos schießt, sollte sich nicht von den | |
| Wachsoldaten erwischen lassen: Die Plattform befindet sich am östlichsten | |
| Punkt der innerkoreanischen Grenze. Hier schmiegt sich das Japanische Meer | |
| an die Gebirgszüge der koreanischen Halbinsel. In der Ferne lässt sich bei | |
| gutem Wetter der höchste Punkt des Diamantengebirges erahnen. | |
| Nur eine halbe Autostunde entfernt sitzt Park Gyeong Suk auf einer Holzbank | |
| vor ihrem Restaurant. Das Leben der 72-Jährigen ist engstens mit der | |
| Teilung des Landes verknüpft: Geboren wurde Park nördlich des 38. | |
| Breitengrads, der später die Demarkationslinie bildete, doch noch während | |
| des Kriegs floh die Familie in den Süden. Niedergelassen haben sie sich in | |
| dem Dorf Abai, einer Siedlung von einst 4.000 nordkoreanischen | |
| Kriegsflüchtlingen. Die viel zu engen Gassen und provisorisch wirkenden | |
| Hütten zeugen davon, dass niemand der Bewohner vorhatte, für immer hier zu | |
| bleiben. Mittlerweile sind nur mehr wenige Dutzend Siedler der ersten | |
| Generation am Leben. | |
| „Meine Eltern redeten bis zu ihrem Tod von ihrem Heimatdorf in Nordkorea, | |
| den Bergen und den Bächen. Ich konnte regelrecht spüren, wie sehr sie ihre | |
| Heimat vermissten“, sagt Frau Park. Als Kind wuchs sie in der Armut des | |
| Nachkriegskoreas auf, durchwühlte mit Klassenkameradinnen die Mülltonnen | |
| des US-Militärstützpunkts nach Essensresten und Süßigkeiten. In den letzten | |
| Jahrzehnten jedoch wandelte sich das Fischerdorf zum wohlhabenden | |
| Touristenziel, dessen Vergangenheit nur mehr als museale Fassade | |
| ausgestellt wird. Park Gyeong Suk fühlt sich längst als Südkoreanerin, der | |
| Norden erscheint ihr fremd. | |
| „Manchmal träume ich jedoch davon, einfach über die Grenze zu laufen. Mein | |
| Geburtsort ist ja im Prinzip nur einen Fußmarsch entfernt“, sagt sie. | |
| Allein aus diesem Grund hoffe sie auf eine Wiedervereinigung der zwei | |
| Koreas. Ihren Kindern hingegen fehle der emotionale Bezug zum Norden: „Die | |
| wissen zu wenig und interessieren sich auch nicht dafür.“ | |
| 26 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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