# taz.de -- Kommentar Mindestlohn: Schluss mit dem Getrickse | |
> Der aktuelle Mindestlohn kann zu leicht umgangen werden. Dass sich in | |
> einer Jamaika-Koalition daran etwas ändert, ist unwahrscheinlich. | |
Bild: In vielen Branchen wird der Mindestlohn nach wie vor umgangen – zum Bei… | |
Wenn etwas von der in ihren letzten Zügen liegenden Großen Koalition in | |
positiver Erinnerung bleiben wird, dann ist das sicherlich die Einführung | |
eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Es muss der SPD hoch | |
angerechnet werden, dass es ihr gelungen ist, diesen | |
„arbeitsmarktpolitischen Meilenstein“ (DGB) gegen alle Widerstände in der | |
Union und trotz des lautstarken Lamentos der Arbeitgeberverbände sowie der | |
ihnen ideologisch eng verbundenen Wirtschaftsforschungsinstitute | |
durchzusetzen. Diese Anpassung an die europäische Normalität war | |
überfällig. | |
Viele Menschen mit niedrigem Einkommen verdienen dank dem zum 1. Januar | |
2015 eingeführten Mindestlohn mehr Geld. Rund 4 Millionen Jobs werden laut | |
Statistischem Bundesamt seitdem besser bezahlt. Insbesondere Beschäftigte | |
im Osten, in Dienstleistungsberufen und Frauen profitieren davon. Die | |
alarmistischen Behauptungen, der Mindestlohn werde als „Jobkiller“ wirken, | |
haben sich hingegen als unwahr erwiesen. Ist also alles gut? | |
Nein, das ist es nicht. Denn zum einen ist der Erfindungsreichtum etlicher | |
Arbeitgeber, [1][um den Mindestlohn zu umgehen], nach wie vor beeindruckend | |
groß. Gerade in schwer kontrollierbaren Branchen wie dem Taxigewerbe, dem | |
Baugewerbe oder der Gastronomie werden immer wieder Löhne unterhalb der | |
Mindestlohngrenze von 8,84 Euro pro Stunde gezahlt. | |
Dass die künftige Regierung in Berlin mit mehr Energie als die bisherige | |
dagegen vorgehen wird, ist unwahrscheinlich. Ein Blick nach | |
Schleswig-Holstein zeigt, dass das Gegenteil zu erwarten ist: Die dortige | |
Jamaika-Koalition setzt sich per Bundesratsinitiative für eine Lockerung | |
der Dokumentationspflichten ein. Was Union, FDP und Grüne als | |
Bürokratieabbau ausgeben, ist jedoch de facto ein Einfallstor für | |
Tricksereien. | |
Zum anderen ist der aktuelle Mindestlohn zu niedrig. Eingeführt wurde er | |
mit der Begründung, dass (Vollzeit-)Arbeit „existenzsichernd“ sein müsse. | |
Doch dem ist nicht so. Schließlich ist die derzeitige Höhe, darauf hat die | |
Linkspartei immer wieder hingewiesen, nicht alterssicher. Denn dafür, das | |
hat die Bundesregierung selbst errechnet, müsste er bei rund 12 Euro | |
liegen. | |
Es sei „unabdingbar, die unteren Lohngruppen durch einen substanziellen | |
Mindestlohn abzusichern, der hoch genug ist, um im Alter nicht auf | |
öffentliche Unterstützung angewiesen zu sein“, schreibt der allzu linker | |
Ideen unverdächtige SPD-Vize Olaf Scholz in seinem aktuellen | |
Strategiepapier zu den Perspektiven sozialdemokratischer Politik. Recht hat | |
er. Nur schade, dass so etwas der SPD erst auf dem Weg in die Opposition | |
einfällt. | |
30 Oct 2017 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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