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# taz.de -- Fragwürdiges Spenden-Eintreiben: Monologmarketing
> Kinder, Tiere, Amnesty: Alle brauchen Förderpaten. Die lassen sich am
> besten in Fußgängerzonen auftreiben – mit zweifelhaften Methoden.
Bild: Die Arme weit, die Opfer fest im Blick: An den Spendensammlern gibt's kei…
BREMEN taz | Sie stehen vor dem Bremer Bahnhof, am Hillmannplatz oder dem
Neptunbrunnen. Sie sind jung, bestens gelaunt, sie sind viele – und sie
nerven. Während die einen noch aufbauen, ihre Klemmbretter austeilen und
hastig eine vorerst letzte Zigarette rauchen, wird am Nachbarstand schon
aufgeheizt: Da stehen die Blaujacken eingehakt im Kreis und rufen: „Wir
packen das!“ – High-Five in die Runde und dann wird ausgeschwärmt.
Die Rede ist von den MitarbeiterInnen sogenannter
Direktmarketing-Agenturen, die im Namen bekannter NGOs wie etwa Unicef, dem
WWF oder Amnesty International Fördermitglieder werben sollen. Studierende
sind es zumeist, auch junge Leute, die gerade die Schule abgeschlossen
haben. Manche arbeiten stationär in ihrer Stadt, andere reisen in
Kleingruppen durch die Republik: „Letzte Woche waren wir in Cloppenburg,
jetzt Bremen, und dann geht’s weiter nach Bielefeld“, sagt einer, der den
Job schon länger macht. Untergebracht sind sie wie Handwerker auf Montage.
Jeden Morgen geht es mit Sack und Pack los: Der mobile Infostand, die
Blöcke für die Unterschriften, das alles muss morgens aufgebaut und abends
wieder abgebaut werden. Von halb zehn, wenn die Geschäfte öffnen, bis 18
Uhr umkreisen die Unicef-Werber in der Bremer City ihren Infostand.
## Ansprechen ist ein dehnbarer Begriff
Allzu weit dürfen sie sich nicht vom Infostand entfernen – was im Einzelnen
erlaubt ist, variiert von Stadt zu Stadt. In Bremen bedeutet das: „Nur in
unmittelbarer Nähe des Standes“, so die Auskunft des zuständigen
Ordnungsamtes, dürfen Passanten angesprochen werden. „Ansprechen“ ist dabei
ein dehnbarer Begriff: Zwischen der harmlosen Unterstellung „Sie möchten
doch bestimmt etwas für arme Kinder tun!“ und dem rabiaten „Halt, dich
stopp’ich jetzt mal!“ liegt eine breite Skala möglicher Varianten. Die
MitarbeiterInnen setzen zuweilen auch auf körperliche Überzeugungskraft:
Sie springen den Passanten in den Weg, mit ausgebreiteten Armen versuchen
sie tatsächlich, designierte Förderer zu „stoppen“.
Dass das weder erlaubt noch vom Auftraggeber gewünscht ist, scheint die
MitarbeiterInnen nicht zu kümmern. Das Ordnungsamt legt dazu fest:
„Passanten dürfen nicht in fordernder Weise angesprochen werden.“ Und auch
Unicef-Sprecher Rudi Tarneden sagt: „Methoden, die Menschen auf der Straße
überrumpeln, aggressives Vorgehen oder die jemanden unter Druck setzen,
lehnen wir ausdrücklich ab.“
## Die Kohle stimmt
Vor Ort klingt das anders: „Natürlich dürfen wir niemanden festhalten“,
sagt ein Unicef-Werber, aber: „Wie offensiv die Ansprache empfunden wird,
ist ja ganz subjektiv.“ Manche fänden es sogar schön, wenn man sich ihnen
gut gelaunt in den Weg stellen würde. Dass nicht jeder darauf freudig
Fördermitgliedschaftsanträge unterschreibend reagiert, räumt er aber ein:
„Wir werden oft beschimpft, manchmal mehrmals am Tag.“ Schwarze Schafe
unter den MitarbeiterInnen, ja, die gebe es auch. „Aber die arbeiten dann
nicht lange hier.“
Finanziell, sagt er, lohne sich der Job: Es gebe Mindestlohn plus eine
Provision pro Abschluss. Auch die NGOs sind zufrieden: „Die einmaligen
Kosten für die Werbung eines Unterstützers werden bereits nach kurzer Zeit
gedeckt“, so Tarneden von Unicef. Zudem sei die Zusammenarbeit mit
Dialogmarketing-Agenturen „die wirtschaftlichste Form“ – in jedem Fall al…
lohnender, als eigene Mitarbeiter einzusetzen.
Die „Dialoger“, so der Fachjargon, werden vor dem Einsatz geschult: Einmal
von der Agentur in Sachen Kunden-Akquise und einmal von MitarbeiterInnen
der jeweiligen NGO, damit sie wissen, was sie den Passanten andrehen
sollen. Dabei kann man auch mal durcheinander kommen: Auf die Frage, für
wen er arbeitet, wirft der junge Mann am Bremer Hauptbahnhof erst mal einen
kurzen Blick aufs Logo seines Faltpavillons. „Amnesty“, antwortet er dann.
15 Oct 2017
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Bremen
NGO
Amnesty International
Unicef
WWF
Spenden
Promotion
Mindestlohn
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