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# taz.de -- Spenden: Das Geschäft mit dem Gewissen
> Amnesty International wirbt auf der Straße für Fördermitgliedschaften,
> obwohl das verboten ist. Ordnungsämter sind mit Kontrollen überfordert.
Bild: Man kann es nie wissen: Echte Ehrenamtliche von Amnesty? Oder bezahlte Sp…
Die gut gekleidete ältere Dame schüttelt den Kopf und zerreißt das bereits
ausgefüllte Formular. „Nein, dann doch nicht“, sagt sie zu Rieke*. Einmalig
spenden wolle sie, keine Fördermitgliedschaft abschließen. Dann geht sie
weiter in Richtung S-Bahnhof. Rieke, die für das Fundraisingunternehmen
Dialog Direct auf der Straße steht, ist enttäuscht. Sie war so nah dran.
Und ist Amnesty International etwa nicht förderungswürdig?
Ein paar Meter weiter sagt die Frau, die eben das Formular zerrissen hat,
sie habe schon genug Verpflichtungen. Das Patenkind, der Förderverein.
Irgendwo sei Schluss. Und sie fühlt sich in die Irre geführt: „Die haben so
getan, als könne man einmalig spenden.“ Tatsächlich kann man an den
Straßenständen ausschließlich Fördermitgliedschaften eingehen – mindestens
60 Euro Jahresbeitrag. Bei anderen Organisationen, für die Dialog Direct
auch arbeitet, sind die Summen noch höher.
## Werben verboten
Wer in Berlins Innenstadt unterwegs ist, kommt an mobilen Fundraisern wie
Rieke kaum vorbei. Was kaum jemand weiß: Es ist gar nicht erlaubt,
Fördermitgliedschaften auf der Straße zu bewerben. Die Stände dürfen nur
Informationszwecken dienen, erklärt Bernd Tepper vom zuständigen Tiefbauamt
Mitte: „Die Genehmigung enthält immer die Auflagen, dass keine
Mitgliederwerbung und keine Spendensammlung stattfinden darf.“ Auch in
anderen Bezirken ist das klar geregelt: keine Vertragsabschlüsse, keine
Verpflichtungen, kein Verkauf von Waren auf öffentlichem Straßenland. Aber
warum wird dann trotzdem an jeder zweiten Ecke um Mitglieder gebuhlt? Laut
Tepper liegt es an der Überlastung der Ordnungsämter, die die Einhaltung
der Auflagen kontrollieren müssten.
Auch in anderer Hinsicht arbeiten die Fundraiser mit unsauberen Mitteln:
Die Mitarbeiter von Dialog Direct etwa sind bei ihrer Arbeit kaum als
solche zu erkennen. Sie tragen gelbe oder schwarze Jacken, auf denen gut
lesbar „Amnesty International“ steht. Weniger auffällig sind die Ausweise,
die sie um den Hals tragen und darauf hinweisen sollen, dass sie gar keine
Amnesty-Mitarbeiter sind. Auch sprachlich erwecken die Straßenwerber oft
einen falschen Eindruck. Einer Passantin sagt ein Teamleiter, wenn sie
Fördermitglied werde „senden wir dir auch das Amnesty-Magazin zu“. Wir?
Amnesty? Oder Dialog Direct?
Immer hier und jetzt wollen die Spendenwerber Nägel mit Köpfen machen.
Nicht erst von zu Hause soll man das Geld auf den Weg bringen, sondern an
Ort und Stelle per Unterschrift liefern. Natürlich – andernfalls verdienen
die Fundraiser wenig mit dem Dienst an der guten Sache. Pro neuem
Fördermitglied bekommen sie eine Prämie.
Bei Amnesty International (AI) sind die Probleme bekannt, werden jedoch als
Einzelfälle dargestellt. „Einige Agenturmitarbeiter neigen dazu, das
finanzielle Interesse nicht so offen anzusprechen, wie wir es von ihnen
erwarten“, sagt AI-Sprecher Ferdinand Muggenthaler, „sie wählen
Formulierungen, die den Eindruck erwecken, die politische Stimme stünde im
Mittelpunkt der Dialog-Aktion.“ Amnesty betone aber, dass das Hauptanliegen
die Gewinnung finanzieller Unterstützer sei. Und die Infostand-Kampagne sei
eine der erfolgreichsten Möglichkeiten, Unterstützer zu gewinnen.
Keine ganz billige Möglichkeit: Nach eigenen Angaben investiert AI
durchschnittlich knapp 7 Prozent der Gesamteinnahmen in die
Infostand-Kampagnen. „In einem ähnlichen Umfang könnten wir das mit unseren
ehrenamtlichen Mitgliedern nicht leisten“, gibt Muggenthaler zu bedenken.
Und im Übrigen müssten erst die AI-Ortsgruppen zustimmen, bevor Amnesty in
einer Stadt professionelle Fundraiser auf die Straße schicke.
Amnesty ist nicht die einzige Organisation, die auf der Straße Geld
einwerben lässt. Karitative Einrichtungen, Tierschutzvereine, alle mischen
mit im Spendengeschäft. Ihnen mag es tatsächlich um die gute Sache gehen –
für die Fundraising-Dienstleister dreht sich alles um den Profit. „Wenn man
ein bestimmtes Pensum nicht erreicht, wird man rausgeekelt“, berichtet ein
Berliner Student, der bis vor einem Jahr für einen anderen Fundraiser
gearbeitet hat. Obwohl er selbst erfolgreich gewesen sei, habe er am Ende
keine Lust mehr gehabt, Menschen „rumzukriegen“. Als Fundraiser, so seine
Erfahrung, spezialisiere man sich auf die Zielgruppe, bei der man gut
ankommt. Junge Frauen sprechen meistens Männer an. Er selbst habe die
Masche „netter Schwiegersohn“ genutzt und sich vor allem an ältere Frauen
gewandt.
Am Hackeschen Markt interessieren sich immer noch nur wenige Passanten für
die Themen von Amnesty. Einen jungen Mann hat Rieke trotzdem in ein
Gespräch verwickeln können, Andreas heißt er. Rieke gibt sich charmant,
gestikuliert viel, sagt Sätze wie: „Gib dir einen Ruck, mein Freund.“ Am
Ende will Andreas trotzdem nicht unterschreiben und steckt lediglich
Infomaterial ein. „Schönen Tag noch, Christian“, sagt Rieke.
*Name geändert
In einer früheren Version dieses Textes wurde suggeriert, dass die
Mitarbeiter des Fundraisingunternehmens nicht bezahlt werden, wenn sie
keine Fördermitglieder werben. Laut Amnesty bekommen sie aber ein
"erfolgsunabhängiges Grundgehalt von 56 bzw. 50 Euro pro Einsatztag". Der
Mindestbeitrag für Fördermitglieder liege zudem bei 60 Euro jährlich. Die
ursprünglich im Text erwähnten 80 Euro seien lediglich ein
"Beitragsvorschlag".
5 Mar 2013
## AUTOREN
Andreas Maisch
## TAGS
Bremen
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