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# taz.de -- Rechtsextreme in der Bundeswehr: Das Spiel mit den Zahlen
> 200 Rechtsextreme sollen seit 2008 in der Bundeswehr aufgefallen sein.
> Wird alles nur noch schlimmer? Eine Einordnung.
Bild: Erinnerungen an die Wehrmacht – in einer Bundeswehrkaserne
Berlin taz | 200 Rechtsextreme in der Bundeswehr in den letzten zehn Jahren
– ist das ein Skandal oder schlichter Durchschnitt?
Seit der Journalist [1][Markus Decker] in der Nacht auf Montag in der
[2][Mitteldeutschen Zeitung] über ein Schreiben aus dem
Bundesverteidigungsministerium berichtet hat, bestimmte die Zahl am Montag
die Schlagzeilen. Die Grundlage: „Seit 2008“, so schreibt es das
Bundesverteidigungsministerium in einem Schreiben, das auch der taz
vorliegt, „hat der Militärische Abschirmdienst in rund 200 Fällen die
jeweilige Person nach Abschluss der Ermittlungen als Rechtsextremist
bewertet.“
Das Schreiben war die Antwort auf eine schriftliche Frage der
Grünen-Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic und nicht, wie viele Medien
fälschlich berichten, die Antwort auf eine Kleine Anfrage. Der Unterschied
ist: In einer Kleinen Anfrage werden in der Regel mehrere Fragen gestellt
und auch beantwortet. In der vorliegenden Antwort fehlt ein solcher
Kontext. Darin steht lediglich der oben genannte Satz.
Was also sind die Hintergründe? Was ist der Kontext? Und wie funktioniert
der deutsche Nachrichtenmarkt? Eine Kurzeinordnung.
## Die Nachricht
Wer am Montagfrüh die Nachrichten sichtete, kam auch um diese nicht herum:
[3][“200 Rechtsextreme in der Bundeswehr“] berichtete etwa tagesschau.de am
Montagmorgen um 7.14 Uhr – sachlich korrekt. In der Nacht hatten
verschiedene Nachrichtenagenturen den Bericht der Mitteldeutschen Zeitung
aufgegriffen. Kurz nach der Tagesschau, um 8.02 Uhr, berichtete Zeit
Online: „[4][Geheimdienst stufte jährlich 20 Soldaten als rechtsextrem
ein“]. Das ist zwar nicht ganz korrekt, stimmt aber dann, wenn man den
Durchschnitt von insgesamt 200 Soldaten seit 2008 auf die Dauer von 10
Jahren rechnet (Mathe: 200 durch 10). Warum dies eine kleine Rolle spielt?
Werden wir noch sehen.
Natürlich ist es relevant zu wissen, wie groß das Engagement
rechtsextremistischer Zirkel oder Einzelpersonen innerhalb der Bundeswehr
ist. Erstens sowieso – aber zweitens auch: ganz konkret.
Der Hintergrund
Immer wieder hatten schließlich mutmaßlich rechtsextremistische
Bestrebungen innerhalb der Bundeswehr in den letzten Monaten für
Schlagzeilen gesorgt – etwa im spektakulären Fall des rechtsextremen
Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich als vermeintlich syrischer
Flüchtling registriert, zuvor seine fremdenfeindlichen Gedanken in einer
wissenschaftlichen Arbeit dokumentiert hatte und schließlich auf dem
Flughafen Wien dabei erwischt wurde, wie er eine dort hinterlegte Waffe
abholte. Auch aufgrund dieses Falls ordnete Verteidigungsministerin Ursula
von der Leyen (CDU) an, die eigene Armee gezielter auf rechtsextremistische
Umtriebe hin zu durchsuchen – was nicht überall in der Bundeswehr auf
Gegenliebe stieß.
Dass die Bundeswehr in rechten Zirkeln weiterhin eine hohe Anziehungskraft
genießt, zeigten auch Hausdurchsuchungen Ende August in
Mecklenburg-Vorpommern. Mitte September berichtete die taz gemeinsam mit
dem NDR darüber, dass die dortige Razzia wegen des Verdachts der
Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat [5][direkt zu
unterschiedlichen Mitgliedern des Reservistenverbandes] in
Mecklenburg-Vorpommern führte.
Der Generalbundesanwalt war Ende August eigens mit ortsfremden
Polizeikräften in Mecklenburg-Vorpommern angerückt, um dort zwei
Beschuldigte und vier Zeugen zu durchsuchen. Fünf von ihnen waren ehemalige
Soldaten – und allesamt Mitglied im Reservistenverband. Der war schon zuvor
wiederholt in die Schlagzeilen geraten, weil sich unter seinem Dach auch
immer wieder Rechtsextreme, etwa zu Schießübungen, versammelt hatten.
Wie groß oder klein der Raum für Rechtsextreme in der Bundeswehr ist, ist
daher eine beachtete Frage. Als MAD-Präsident Christof Gramm am 5. Oktober
beim Parlamentarischen Kontrollgremium im Deutschen Bundestag zu Gast war,
sprach er dabei auch davon, dass sein Nachrichtendienst jährlich rund acht
Extremisten in den Reihen der Bundeswehr feststelle. Das sorgte nun für
Verwirrung. Denn wie Zeit Online zog auch die Grünenpolitikerin Irene
Mihalic eine Durchschnittszahl herbei.
Sie sagte der Mitteldeutschen Zeitung: „Über 20 Rechtsextreme bei der
Bundeswehr jährlich – das ist schon eine relevante und bedenkliche
Größenordnung. Wenn der Präsident des MAD noch in der Anhörung von zirka
acht festgestellten Nazis pro Jahr spricht, zeigt sich jedoch noch eine
hohe analytische Unsicherheit bei dem Thema.“
Das Missverständnis
Kann der MAD nicht zählen? Wie kommt es, dass der MAD-Chef sich
vermeintlich derart vertun konnte? Das liegt offenbar ganz einfach an der
Frage, wer in der Sache wie welchen Durchschnitt berechnet – und wer die
analytische Unsicherheit hat. Denn die Zahlen lassen sich durchaus
präzisieren, es reicht ein Blick in die zeitliche Statistik.
Nach Informationen der taz, sind in den letzten Jahren wesentlich weniger
Rechtsextremisten in der Bundeswehr aufgefallen als zuvor. Demnach habe der
MAD in den Jahren 2008 bis 2011 jeweils rund 40 Rechtsextremisten in den
eigenen Reihen ausgemacht, sagte ein Sprecher des Militärischen
Abschirmdienstes der taz. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht sanken die
Zahlen dann auf einen Bruchteil. Laut MAD fanden die Bundeswehr-Ermittler
in den Jahren von 2012 bis heute dann jährlich nur noch rund vier
Rechtsextremisten in der Bundeswehr, die sich nach Abschluss der internen
Ermittlungen auch als solche entpuppten – unter ihnen etwa Franco A.
So ließe sich auch erklären, weshalb MAD-Chef Gramm im Bundestag von im
Durchschnitt rund acht Extremisten jährlich sprach, die dem MAD in den
letzten Jahren ins Netz gingen – vier Rechtsextremisten, plus ein paar
weitere. So fallen der Bundeswehr zunehmend auch Soldaten ins Auge, die
einen mutmaßlich islamistischen Hintergrund haben sollen.
Die Folgerung
Gibt es also 200 Rechtsextremisten in der Bundeswehr? Schon lange nicht
mehr – oder zumindest nicht in der Form, dass sie dem MAD aufgefallen
wären. Was, wie und warum dem MAD auffällt, ist dann wieder eine andere
Frage. Denn der MAD verfügt innerhalb der Bundeswehr zwar über zahlreiche
Mittel – schwierig wird es aber etwa da, wo Reservisten ins Spiel kommen.
Diese fallen, so sie sich gerade nicht aktiv in einem Einsatz oder einer
Übung der Bundeswehr befinden, unter die Zuständigkeit der
Verfassungsschutzsämter. Weil das ein mögliches Einfallstor für Extremisten
sein könnte, wollen MAD und Verfassungsschutz hier in einer gemeinsamen
Arbeitsgruppe künftig besser zusammen arbeiten.
Der Check-Inn
Wie also verhindert die Bundeswehr Zulauf von Rechtsextremisten? Erst seit
kurzem verfügt das Militär hier über Möglichkeiten, die es vorher nicht
hatte. Denn obwohl die Bundeswehr an Kriegswaffen ausbildet, wird erst seit
jüngster Zeit jeder Bewerber, der für den Militärdienst in Frage kommt,
auch wirklich sicherheitstechnisch durchleuchtet – allerdings auf niedrigem
Niveau.
Das ist schon ein Fortschritt. Früher sind Bewerber der Bundeswehr nicht
automatisch sicherheitsdienstlich überprüft worden. Dass dies seit dem 1.
Juli 2017 anders ist, regelt das Soldateneinstellungsgesetz in
Zusammenspiel mit dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz. War es zuvor gängig,
lediglich ein polizeiliches Führungszeugnis anzufordern, so werden seit dem
1. Juli 2017 auch Anfragen im nachrichtendienstlichen Informationssystem
NADIS vorgenommen, bei Verfassungsschutzämtern und in Dateien des
Bundeskriminalamts nachgeforscht. So sollen der Bundeswehr künftig früher
bedenkliche Biografien in den eigenen Reihen auffallen – und nicht erst,
wenn Soldaten bereits straffällig wurden oder Kameraden sich trauten,
fragwürdiges Verhalten auch wirklich zu melden.
23 Oct 2017
## LINKS
[1] https://twitter.com/Herr_Decker
[2] http://www.mz-web.de/politik/vom-mad-enttarnt-zahl-der-neonazis-in-der-bund…
[3] http://www.tagesschau.de/inland/mad-117.html
[4] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-10/bundeswehr-200-soldat…
[5] /!5448278/
## AUTOREN
Martin Kaul
Christina Schmidt
## TAGS
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