# taz.de -- Zukunft der Mietpreisbremse: Bremse noch, wer kann! | |
> Die Chancen für eine Verschärfung der Mietpreisbremse stehen mit Union, | |
> FDP und Grünen schlecht. Und auch die mangelnde Anwendung ist ein | |
> Problem. | |
Bild: Die Erhöhung von Neumieten ist nur eine Baustelle, an der die Mietpreisb… | |
BERLIN taz | Altbauwohnung im Berliner Szeneviertel Neukölln. Drei Zimmer, | |
Küche, Bad. Die Luft ist stickig. Fast 100 Leute schieben sich über die | |
knarzenden Dielen des Flurs aneinander vorbei. Einige tuscheln miteinander, | |
tauschen vielsagende Blicke aus. Ein kurzer Blick in jedes Zimmer, hier an | |
den weißen Herd geklopft, dort hinter den Duschvorhang gespäht. | |
Was nach einer schrägen Szene klingt, ist für Wohnungssuchende in | |
Großstädten längst Alltag: der Kampf um rares Gut – bezahlbaren Wohnraum. | |
Mit der im Juni 2015 eingeführten Mietpreisbremse hat die Große Koalition | |
auf die Wohnungsnot reagiert. Nur: Das Gesetz wirkt kaum. Grüne, | |
Linkspartei und SPD sprechen sich deshalb für eine Verschärfung aus, die | |
FDP will es ganz abschaffen. | |
Dass es funktionieren kann, zeigt der Fall von Sophia Heinzmann und ihrer | |
Mitbewohnerin. Nach stundenlanger Recherche, etwas Mut und viel Glück | |
konnten die Studentinnen ihre Miete um fast 40 Prozent drücken. Kohleöfen | |
und mangelhafte Ausstattung begünstigten die Situation der Studentinnen, | |
eine Ausnahme in Berlin. | |
Als sie im Februar 2016 die Mietbremse zogen, lag der Mietspiegel in | |
Neukölln, unter Berücksichtigung der Mängel, bei 2,45 Euro pro | |
Quadratmeter. Laut Gesetz dürfen Vermieter*innen zehn Prozent über der | |
ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen – das wären damals 2,70 Euro | |
gewesen. Die Immobiliengesellschaft, der das Haus gehört, verlangte 7,51 | |
Euro – ein Aufpreis von fast 70 Prozent. Die Studentin schrieb eine | |
qualifizierte Rüge, den formellen Hinweis auf einen überhöhten Preis. | |
Fast zwei Monate später reagierte die Hausverwaltung mit einem Verweis auf | |
Vergleichswohnungen und bot einen Mietpreis von 5,65 Euro pro Quadratmeter | |
an. „Damit versuchten die, uns auszutricksen“, so die 25-Jährige: | |
„Vergleichswohnungen werden in Gebieten angewendet, in denen es keinen | |
qualifizierten Mietspiegel gibt – das ist in Berlin nicht so.“ Unter | |
Vorbehalt zahlten die Mitbewohnerinnen die Miete, widersprachen jedoch auch | |
diesem Angebot. Einen weiteren Monat später kam Post von einem Anwaltsbüro. | |
„Da hatten wir kurz Schiss“, sagt die Studentin und lacht. Jedoch: Die | |
beharrlichen Mieterinnen bekamen recht. | |
## Es gibt mehrere Hürden | |
Das Gesetz zum Schutz von Mieter*innen ist seit Juni 2015 in „angespannten“ | |
Wohngebieten in Kraft. Grund waren die zunehmenden Schwierigkeiten wenig | |
und durchschnittlich Verdienender, bezahlbare Wohnungen zu finden. Für gut | |
eine Million Haushalte in deutschen Großstädten verschlucken die Mietkosten | |
mehr als die Hälfte ihres Nettoverdienstes. Haushalte an der Armutsgrenze | |
geben rund 40 Prozent ihres Einkommens für ein Dach über dem Kopf aus. Wo | |
die Wohnlage „angespannt“ ist, entscheiden die Landesregierungen. Das sind | |
vor allem beliebte Viertel in Groß- und Universitätsstädten. | |
Kern des Gesetzes ist die Deckelung von Neuvermietungen auf maximal zehn | |
Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Um die zu erfahren, hilft | |
der Mietspiegel. Liegt die Miete darüber, lohnt es sich, weitere Faktoren | |
zu prüfen. Denn es gibt Ausnahmen: Das Einzugsdatum muss nach dem 1. Juni | |
2015 liegen, die Wohnung darf nicht umfassend modernisiert worden sein oder | |
nach Oktober 2014 gebaut. Eine Hürde ist außerdem der „Bestandsschutz“: L… | |
die Miete des Vormieters bereits über den zehn Prozent, darf der | |
Vermietende diesen Betrag weiterhin verlangen. | |
## Die Jamaika-Positionen sind nicht gerade deckungsgleich | |
Heinzmann und ihre Freundin hatten Glück: Sie erfuhren von der Höhe der | |
vorherigen Miete allein durch einen Zufall: „Ein Paketbote, der uns Post | |
zustellte, offenbarte sich als Vormieter. Er hat uns sofort eine Kopie | |
seines Mietvertrags gegeben“, erinnert sich Heinzmann. Dass Vermieter*innen | |
nicht verpflichtet sind, bei Neuvermietungen Auskunft über die vorherige | |
Miete zu geben, ist laut dem Berliner Mieterverein eine der vielen | |
Barrieren, die das Gesetz unwirksam machen. „Die Mieter sind auf | |
Informationen des Vermieters angewiesen“, kritisiert die stellvertretende | |
Geschäftsführerin, Wibke Werner. Im September beschloss der Berliner Senat | |
deshalb eine Bundesratsinitiative, um Mieter*innen durch eine | |
Auskunftspflicht der Vermietenden zu entlasten. Werner fürchtet allerdings, | |
dass die Initiative unter den Tisch fallen wird: „Mit Verbesserungen der | |
Mietpreisbremse kann man in der neuen Koalition nicht rechnen.“ | |
Die Positionen der Verhandelnden bei den gerade begonnenen | |
Jamaika-Sondierungsgesprächen könnten durchaus kompatibler sein: Christian | |
Kühn, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen, warnt jetzt vor einem | |
Einfluss der Liberalen im Mietrecht: „Die letzte schwarz-gelbe Regierung | |
hat den Mieterschutz massiv ausgehöhlt. Das darf sich nicht wiederholen“, | |
so der Abgeordnete. Die Grünen hätten „dafür gekämpft, die Ausnahmen bei | |
der Mietpreisbremse abzuschaffen und die Rügepflicht durch eine | |
Auskunftspflicht zu ersetzen“. Kühn: „Wir Grüne wollen für den Mietersch… | |
in einer möglichen Jamaika-Koalition sorgen.“ | |
## Die FDP will das Gesetz loswerden | |
Doch es ist unwahrscheinlich, dass die grünen Befürworter des Gesetzes eine | |
Verbesserung der auf fünf Jahre beschränkten Mietpreisbremse durchsetzen | |
können. Weitere Verschärfungen zugunsten von Mieter*innen sind nicht in | |
Sicht. Im RBB-Radio hat CDU-Generalsekretär Peter Tauber bereits | |
angedeutet, dass die Union keinen Anlass dafür sieht. | |
Der Direktor des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, kritisierte | |
Taubers Äußerungen am Montag scharf: „Offensichtlich hat die CDU den | |
Wählerwillen nicht verstanden.“ | |
Die FDP will das Gesetz ganz loswerden. Auf Anfrage der taz verweist ein | |
Sprecher auf das Wahlprogramm der Partei. In neun Zeilen handelt man dort | |
das Thema ab. Die starke Regulierung im Wohnungsbau und die | |
„Wohnraumbremse“ seien verantwortlich für steigende Wohnkosten und sinkende | |
Privatinvestitionen. | |
## Vier Monate Suche | |
Dass die Mietpreisbremse nicht funktioniere, liege an den vielen | |
Ausnahmeregelungen, ist demgegenüber Lukas Siebenkotten vom Mieterbund | |
überzeugt. „Die Konsequenz zu ziehen, das Gesetz abzuschaffen, weil sich | |
niemand daran hält, ist absurd“, findet er. | |
Vier Monate lang befanden sich Sophia Heinzmann und ihre Freundin im | |
Getümmel der Wohnungssuchenden. „Wir hatten vier solcher | |
Horrorbesichtigungen die Woche“, erinnert sich die Studentin, „aber es war | |
alles zu teuer.“ Als die beiden endlich eine Zusage bekamen, war ihnen auch | |
das zu teuer. „Ein befreundeter Jurist hat dann zu uns gesagt: Bei den | |
Preisen müsste doch die Mietpreisbremse gelten. Dann haben wir das einfach | |
ausprobiert“, erzählt Heinzmann. | |
## Der Mieterverein fordert Bußgelder für Vermietende | |
So viel Glück wie die Studentinnen haben wenige Mieter*innen, die um ihre | |
Wohnkosten zu streiten bereit sind. Viele trauen sich aber gar nicht erst, | |
sich auf ihr Recht zu berufen. „Wir vermuten, dass viele Mieter davor | |
zurückschrecken, weil sie erst mal froh sind, eine Wohnung zu haben, die | |
man bezahlen kann. Da sucht man nicht gleich als Erstes die | |
Auseinandersetzung mit dem Vermieter“, so Werner. Die Zahl der | |
Mieter*innen, die sich im vergangenen Jahr zu ihren Rechten in | |
Neuvermietungsfragen beraten lassen, schätzt Werner auf 150 bis 200. „Der | |
Anteil ist gering“, so Werner. „Die Fälle steigen aber, je mehr die | |
Mietpreisbremse im Gespräch ist.“ | |
Grundsätzlich hält Werner die Mietpreisbremse für ein sinnvolles | |
Instrument. Man müsse allerdings die zahlreichen Schlupflöcher füllen. | |
„Fakt ist, dass Vermieter das Gesetz ignorieren. Das Einzige, was sie | |
befürchten müssen, ist ein Rückzahlungsanspruch ab dem Zeitpunkt der Rüge.�… | |
Der Mieterverein fordert deshalb Bußgelder für Vermietende. | |
24 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Antonia Groß | |
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