# taz.de -- Kolumne Lügenleser: Land der Dauerwütenden | |
> Die Diskussionen über die Abspaltung am Stammtisch laufen heiß, jeder hat | |
> eine Meinung dazu. Steht der Säxit endlich bevor? | |
Bild: Sachsen halt | |
Wenige Tage nach der Abstimmung ist die weitere Vorgehensweise im Land | |
immer noch vollkommen unklar. Frustration hat sich breit gemacht, die | |
Menschen stehen vor den Bodegas und wissen nicht was sie tun sollen. Zählen | |
die Wahlen nun oder nicht? Wird die EU sich einschalten? Ist es überhaupt | |
rechtens, wenn eine Region einfach so beschließt, sich vom Rest des Landes | |
abzuspalten? Ein Untersuchungsausschuss wurde versprochen. Die Diskussionen | |
am Stammtisch laufen heiß, eine Meinung hat quasi jeder. Eventuell sollte | |
man sich bewaffnen und zum Parlament marschieren. | |
Nur einer in der geselligen Runde scheint einen kühlen Kopf zu bewahren, er | |
ist Schweizer und bleibt gern neutral, natürlich. „Da hab ich leider zu | |
wenig Ahnung von, aber diese Katalanen werden schon wissen was sie machen, | |
da misch ich mich nicht ein.“ Aha, danke dafür, aber hier herrscht wohl ein | |
Missverständnis. Ich sprach von Sachsen. Dieses Bundesland in dem die | |
Alternative für Deutschland gerade erst stärkste Kraft geworden ist. Dort, | |
wo die ewigen Protestwähler und Dauerwütenden endgültig bewiesen haben: Die | |
Grenze verläuft nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen oben und | |
unten. Zumindest in Sachsen, wo die Empörung längst zum Alltag gehört. | |
Aber nicht nur in Sachsen sind sie empört, sondern natürlich auch wieder im | |
Internet. Dabei weiß doch ein jeder: Was im Internet passiert, bleibt im | |
Internet. Da könnt ihr noch so oft „OMG, 13% für die AfD? Armes Deutschland | |
ey!“ posten, es wird nichts ändern. Die gespielte Überraschung in den | |
sozialen Medien glich dann auch mehr einer peinlichen Scharade. Nazis in | |
Deutschland? Das kam unerwartet! Wo verstecken die sich eigentlich alle? Na | |
klar, in Sachsen! | |
Zukunftsmusik: Bundestagswahl 2021. Der Säxit steht kurz bevor. Die | |
preußische Zentralregierung schickt kurz vor der Wahl vermehrt | |
Polizeikräfte in das abtrünnige Sachsen. Den Beamten vor Ort vertraut man | |
nicht, zu eng scheint das Geflecht aus Separatisten und vermeintlichen | |
Staatsdienern. Während man verzweifelt versucht die Einwohner Sachsens | |
durch geschickte Täuschungsmanöver („Nächsten Sonntag gibt’s Freibier im | |
Wald!“) von den Wahlurnen festzuhalten oder ihre Stimmen für ungültig | |
erklärt, beginnen die ersten Kommunen damit, Backsteine zu brennen. Aus | |
Steinen kann man Mauern bauen und Mauern gibt es hier noch viel zu wenige, | |
so die Überzeugung der wütenden Bevölkerung. | |
Ein lautes „Eure Partys sind Scheiße“ lässt mich aus meinem Tagtraum | |
erwachen. Ich stehe auf dem Alexanderplatz, eine rassistische und | |
faschistische Partei ist soeben in den Bundestag eingezogen und feiert dies | |
im Herzen der Hauptstadt. Wir haben es gerade so vom Stammtisch auf die | |
Straße geschafft. Die Empörten aus dem Internet scheinen anderweitig | |
beschäftigt, ein kläglicher Haufen versammelt sich zum Protest. Eins muss | |
man diesen Empörten aus Sachsen wirklich lassen: Sie lassen ihren | |
Internet-Worten wenigstens Taten folgen. | |
6 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Juri Sternburg | |
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