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# taz.de -- Kolumne Lügenleser: Stressbacken, zeigt Gesicht!
> Der Name der neuen Volkskrankheit lautet: Intoleranz und Nörgelei. Die
> Dunkelziffer ist enorm. Wie wär's mit einem „Stern“-Cover?
Bild: Aggressiv und ewig meckernd durchs Leben wandeln, das muss doch auf die G…
Es gibt Antworten, die habe ich abgespeichert und warte nur darauf, von
ihnen Gebrauch zu machen. „Ich mag keine Tiere“ ist beispielsweise meine
seit Jahren fest im Repertoire verankerte Replik auf jedweden
Anquatschversuch von Tierschutzbünden. Ist natürlich beliebig erweiter- und
änderbar („Ich mag keine Kinder/Zeitungen/Parteien“). Die eine Aussage ist
etwas weniger wahr, die andere etwas mehr; Hauptsache, es funktioniert.
„Würdest du noch mit mir zusammen sein wollen, wenn ich mich zum Mann
umoperieren lassen würde?“ Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Vor
allem nicht morgens um 9 Uhr, eine gottlose Zeit für Menschen wie mich. Ich
verneine, ohne mir wirklich Gedanken über die Frage zu machen.
Gegenüber setzt sich ein Mann mit starken Ticks in die Bahn. Ich wittere
meine Chance. „Und würdest du mich noch lieben wenn ich Tourette bekommen
würde?“ Sie überlegt, entscheidet sich aber aus Prinzip auch für Nein,
einfach, um mich zu ärgern. Das vermute und hoffe ich zumindest. (Stellen
Sie sich hier ein nachdenkliches Emoji vor). Tourette ist schließlich eine
ernstzunehmende Krankheit, ihr Arschlöcher.
Da sitzen wir nun, mit unserer teilweise herbeifantasierten Intoleranz und
grinsen. Wir haben schließlich die Wahl, jederzeit wieder in den
unironischen Modus zu schalten. Aber wie muss das sein, wenn einem das
nicht mehr möglich ist? Wenn die Intoleranz tatsächlich in Fleisch und Blut
übergegangen ist, wenn so ein Mensch, der ja dann doch irgendwann mal als
kleines Bündel auf die Welt geworfen wurde, ohne jegliche Vorurteile zu
haben, einfach nicht mehr in der Lage ist, Empathie zu fühlen?
Die entsprechende Feldstudie ist ja immer nur einen Klick entfernt.
Facebook, Instagram, Twitter, Tinder: überall nur noch sich benachteiligt
fühlende Stressbacken, die einen beschimpfen. Auch als Autor darf man sich
täglich mit freundlichen „Dir müsste man mal so richtig die Fresse
polieren“-Nachrichten beschäftigen. Oder ist das alles gar nicht real und
im echten Leben würden diese Menschen verschämt auf den Boden gucken, wenn
man sie mit ihren Aussagen konfrontiert?
So schlecht gelaunt, aggressiv und ewig meckernd kann doch niemand durchs
Leben wandeln, das muss doch auf Dauer auf die Gesundheit gehen. Nach
Raucherbein, Diabetes, Arthrose und Krebs jetzt die neue Volkskrankheit:
Internet-Nörgler mit starker Ausprägung zum Menschenhass. Die Dunkelziffer
ist enorm.
Ich finde man sollte solchen Patienten die Möglichkeit geben, Gesicht zu
zeigen, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen und hilfsbereiten
Mitmenschen die Möglichkeit zu geben, ihnen zu helfen.
Vielleicht wird es Zeit für die Neuauflage des legendären „Wir haben
abgetrieben“-Covers eines damals noch relativ relevanten Magazins namens
Stern: „Wir sind inhuman und intolerant.“ Mutige Promis neben Normalos.
Politiker, Intellektuelle, alle vereint im dauernden Wirken gegen den
humanitären Verstand, dem Wissen über die schädlichen Folgen zum Trotz. Die
Liste wäre ja lang.
5 Dec 2017
## AUTOREN
Juri Sternburg
## TAGS
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