| # taz.de -- Schiiten in Deutschland: Imam Alis deutsche Anhänger | |
| > Sind die schiitischen Gemeinden in Deutschland vom Iran abhängig? Der | |
| > Verdacht verhindert Projektförderung durch den Staat. | |
| Bild: Die schiitische Imam Ali-Moschee in Hamburg | |
| Berlin taz | Schiiten sind im Visier des IS. Für die sich als sunnitisch | |
| verstehende Terrormiliz sind sie „Abtrünnige“, die den Tod verdient haben. | |
| Zugleich sind aber auch hiesige Jugendliche aus schiitischen Familien nicht | |
| davor gefeit, der Faszination eines radikalen Islamismus zu erliegen. | |
| Gründe genug für die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in | |
| Deutschland (IGS), Ende Juli in Berlin einen dreitägigen Workshop über | |
| religiös begründeten Extremismus zu veranstalten. | |
| Jetzt hat die IGS ein 23-seitiges Papier mit den Ergebnissen dieses | |
| Workshops veröffentlicht. Es enthält einen Katalog mit | |
| Handlungsempfehlungen. Einerseits fordert die IGS von der deutschen | |
| Mehrheitsgesellschaft, mehr „mit Muslimen und nicht über Muslime“ zu | |
| sprechen und die innerislamische Vielfalt wahrzunehmen. Andererseits | |
| empfiehlt sie hiesigen Muslimen, sie sollten eine „deutsch-islamische | |
| Identität“ entwickeln. In Moscheen sollte mehr Deutsch gesprochen und auf | |
| Deutsch gepredigt werden, und die Imame sollten vorzugsweise in Deutschland | |
| sozialisiert und ausgebildet sein. | |
| Das klingt ziemlich staatstragend und könnte so fast schon im Wahlprogramm | |
| der CDU stehen. Umso erstaunlicher, dass es um diesen Workshop im Vorfeld | |
| eine hitzige Debatte gab. Das Bundesfamilienministerium von Katarina Barley | |
| (SPD), das den Workshop finanziell unterstützen wollte, zog seine Zusage | |
| kurzfristig zurück. Angeblich sei man nicht hinreichend „über Inhalt und | |
| Ablauf des Workshops“ informiert gewesen. | |
| Bei der IGS ist man bis heute irritiert. „Das Besondere an dem Workshop | |
| war, dass hier Jugendliche sunnitischer, schiitischer und alevitischer | |
| Herkunft zusammengefunden haben“, sagt Dawood Nazirizadeh, Mitglied im | |
| IGS-Vorstand. Zu den Dozenten gehörte etwa die Juristin und Theologin | |
| Hamideh Mohagheghi, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für | |
| Evangelische Theologie der Universität Paderborn, die 2016 von Joachim | |
| Gauck mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. „Es ging uns darum, | |
| den salafistischen Vereinfachern etwas entgegenzusetzen.“ Nun drohten | |
| Teilnehmer auf den Fahrtkosten sitzenzubleiben, so Nazirizadeh. | |
| ## Bild-Zeitung schlug Alarm | |
| Der Grund für den Rückzieher des Ministeriums: Die Bild hatte Alarm | |
| geschlagen. „Bundesregierung fördert iranische Terrorhelfer“, titelte das | |
| Blatt Mitte Juli. In einem reißerischen Artikel warf es den schiitischen | |
| Gemeinden in Deutschland vor, der verlängerte Arm der Regierung in Teheran | |
| zu sein, und zog eine kruden Bogen bis hin zu Bürgerkriegsmilizen in | |
| Syrien. | |
| Kurz darauf lancierte die antiiranische Kampagne „Stop the Bomb“ einen | |
| offenen Brief, der unter anderem von Günter Wallraff und Seyran Ateş | |
| unterzeichnet wurde. Sie forderten die Bundesregierung auf, jede | |
| Kooperation mit Verbänden zu beenden, die dem „Mullah-Regime des Iran“ | |
| nahestünden. | |
| Die IGS wies die Vorwürfe prompt zurück. Lediglich fünf ihrer 154 | |
| Mitgliedsgemeinden seien iranischer Herkunft, und die meisten ihrer | |
| Mitglieder stammten aus arabischen Staaten, aus der Türkei, Afghanistan | |
| oder Pakistan. Ihr gemeinsamer Nenner sei „neben dem schiitischen Islam die | |
| deutsche Sprache und die deutsche Organisationsstruktur“. Darüber hinaus | |
| bekenne sich die IGS „vorbehaltlos und uneingeschränkt zu den Werten einer | |
| demokratischen und pluralistischen Gesellschaft“. Außerdem lehne man „jede | |
| Form von Aufrufen zur Gewalt ab“. Gegen den Bild-Bericht kündigte die IGS | |
| juristische Schritte und eine Beschwerde beim Presserat an. | |
| Für besondere Kritik sorgte, dass der Workshop in den Räumlichkeiten des | |
| Al-Mustafa Instituts in Berlin stattfinden sollte. Das 2016 gegründete | |
| Privatinstitut ist einer Ableger der Al-Mustafa-Universität in der Stadt | |
| Ghom, dem theologischen Zentrum des Iran. Weltweit gibt es 50 solcher | |
| Institute, an denen schiitische Theologie oder Arabisch gelehrt wird. Im | |
| Kern aber entzündet sich die Kritik an den schiitischen Gemeinden in | |
| Deutschland an deren Verbindungen zum Iran, die nicht nur religiöser, | |
| sondern zum Teil auch personeller und organisatorischer Natur sind. | |
| ## Nein zur „Ehe für alle“ | |
| Gegründet wurde die IGS vor acht Jahren. Zweifellos vertritt sie eine | |
| konservative Haltung. Zur Einführung der „Ehe für alle“ oder zur Gründung | |
| einer „liberalen Moschee“ durch Seyran Ateş in Berlin äußerte sich der | |
| Verband ablehnend. | |
| Prominentestes Mitglied der IGS ist das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), | |
| das in der Imam-Ali-Moschee an der Außenalster residiert. Der prächtige | |
| Sakralbau im persischen Stil, mit Kuppel und zwei Minaretten als „Blaue | |
| Moschee“ stadtbekannt, wurde bereits in den 1960erjahren erbaut und ist | |
| eine der ältesten islamischen Institutionen in Deutschland. | |
| Seit 2009 wird das Zentrum von Ajatollah Reza Ramezani geleitet. Der | |
| 54-jährige Theologe gehört zur höchsten geistlichen und politischen Eliten | |
| des Iran. Er ist Mitglied im „Expertenrat“ der Republik Iran, welcher deren | |
| geistliches Oberhaupt wählt. Seit 1989 ist das der Ajatollah und | |
| „Revolutionsführer“ Ali Khamenei. Ramezani gilt als dessen Vertreter in | |
| Deutschland und ist zugleich Mitglied des Gelehrtenrats der IGS. | |
| Die „Blaue Moschee“ wird seit Jahren vom Hamburger Verfassungsschutz | |
| beobachtet. Die Behörde betrachtet Orte wie diesen als „Instrumente der | |
| iranischen Staatsführung, die deren theokratische Staatsdoktrin vertreten“. | |
| Auch beteiligten sich Mitglieder des Zentrums am sogenannten Al-Quds-Tag in | |
| Berlin, einer alljährlichen antiisraelischen Demonstration für die | |
| „Befreiung Jerusalems“. | |
| ## Kritik zurückgewiesen | |
| „Das IZH ist nicht die politische Vertretung des Iran oder irgendeines | |
| anderen Staates“, sagt dagegen Mohammad Hosseini vom Islamischen Zentrum | |
| Hamburg und Vorstand der IGS. „In den Freitagspredigten oder bei den | |
| Veranstaltungen der Moschee, die alle live übertragen werden und auf | |
| YouTube archiviert sind, wird weder über die iranische Politik gesprochen | |
| noch über Israel oder die USA. Wir dürfen nicht Konflikte aus den | |
| Herkunftsländern nach Deutschland importieren, sondern brauchen mehr | |
| Dialog.“ | |
| Aus diesem Grund unterstütze man das „Interreligiöse Forum Hamburg“, und | |
| die Frauengruppe der Gemeinde wirke im „Interreligiösen Frauennetzwerk“ der | |
| Stadt Hamburg mit, so Hosseini. Außerdem habe man das Friedensgebet der | |
| abrahamitischen Religionen initiiert, an dem auch der Landesrabbiner | |
| Hamburgs teilnahm, und der „Tag der offenen Tür“ locke stets tausende | |
| Besucher an. Umgekehrt werde man von anderen Religionsgemeinschaften | |
| eingeladen, so etwa auch zum Neujahrsfest-Empfang der Jüdischen Gemeinde in | |
| Hamburg. | |
| Das IZH ist außerdem Gründungsmitglied im Zentralrat der Muslime in | |
| Deutschland (ZMD), der an der Islamkonferenz von Innenminister Thomas de | |
| Maizière teil nimmt. Und er ist Mitglied der Hamburger „Schura“, in dem | |
| sich 40 Moscheegemeinden der Stadt zusammen geschlossen haben, die mit dem | |
| Hamburg Senat einen Staatsvertrag über die Organisation religiöser Fragen | |
| abgeschlossen haben. | |
| Die Berliner Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus sieht keine | |
| prinzipiellen Gründe, die gegen eine Zusammenarbeit mit der | |
| Dachorganisation IGS sprechen. „Man muss sich entscheiden: Wenn man möchte, | |
| dass sich diese Gemeinden als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen, | |
| dann muss man auch mit ihnen zusammenarbeiten“, sagt sie. „Wenn man sie | |
| hingegen ausgrenzt, dann darf man sich nicht beklagen, wenn auch sie sich | |
| von dieser Gesellschaft abwenden.“ | |
| Die Absage der Workshop-Unterstützung durch das Familienministerium hat die | |
| IGS noch nicht entmutigt. „Das bestärkt uns darin, solche Veranstaltungen | |
| künftig in Eigenregie durchzuführen“, sagt Mohammad Hosseini. „Auf | |
| Versprechen und Abmachungen des Staates können wir uns offenbar nicht | |
| verlassen. Aber wir sehen es als unsere Aufgabe, unsere Gemeinden darin zu | |
| bestärken, sich noch mehr am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen.“ | |
| 4 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
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