# taz.de -- Ateş und saudische Vereinsfinanzierung: Der Feind meines Feindes | |
> Seyran Ateş ist das deutsche Gesicht der Kampagne „Stop Extremism“. Jetzt | |
> werden Vorwürfe laut, diese sei mit saudischen Geldern finanziert worden. | |
Bild: Will sie Extremismus stoppen? Seyran Ateş stören die Vorwürfe gegen de… | |
Berlin taz | Die Gründung ihrer liberalen Moschee in Berlin wurde [1][von | |
großer medialer Aufmerksamkeit] und viel öffentlicher Sympathie begleitet. | |
Erst recht, als bekannt wurde, dass es Drohungen gegen sie gegeben haben | |
soll. Doch jetzt droht Seyran Ateş Ungemach aus Österreich. Denn dort steht | |
einer ihrer Mitstreiter, der smarte Ex-Grüne Efgani Dönmez, im Verdacht, | |
ausgerechnet von Saudi-Arabien sehr viel Geld für seinen von Ateş | |
unterstützten Verein „Stop Extremism“ erhalten zu haben. | |
Ateş ist das deutsche Gesicht des Vereins „Stop Extremism“. Als deren | |
deutsche „Sprecherin“ trat sie im Juli zusammen mit Dönmez in Berlin auf, | |
um das Projekt der deutschen Öffentlichkeit vorzustellen. Die Kampagne hat | |
das ambitionierte Ziel, innerhalb eines Jahres in mindestens sieben | |
EU-Ländern über eine Million Unterschriften zu sammeln, um eine neue | |
EU-Richtlinie zu erzwingen, „die Schlupflöcher bei der Bekämpfung von | |
Extremismus schließen soll“, wie es heißt. Per Unterschriftenliste soll die | |
EU-Kommission dazu gebracht werden, drakonische Maßnahmen gegen mutmaßliche | |
Extremisten, deren finanzielle Förderer sowie ihre Sympathisanten zu | |
ergreifen. | |
Das Maßnahmenpaket, das diese „Bürgerinitiative“ dazu vorschlägt, hat es… | |
sich. So schlagen die Initiatoren vor, an Firmen und Institutionen, die | |
sich gegen Extremisten wenden, ein „Gütesiegel“ zu vergeben. Zugleich | |
fordern sie, alle Individuen, Organisationen und Institutionen, die als | |
„Extremisten“ gelten – oder die sich auch nur nicht ausreichend von | |
extremistischen Gedanken, Organisationen und Individuen distanziert haben | |
–, auf eine „Warnliste“ zu setzen. | |
Gegen sie sollen Strafen von bis zu 20 Millionen Euro verhängt werden | |
dürfen, und auch der Kündigungsschutz soll für sie nicht mehr gelten. Und | |
durch die Umkehr der Beweislast soll es „Opfern von Extremismus“ | |
erleichtert werden, ihre Forderungen gegen mutmaßliche Extremisten vor | |
Gericht durchzusetzen. | |
Nicht nur der Extremismusbegriff ist dabei schwammig – neben „Links- und | |
Rechtsextremismus“ wendet sich „Stop Extremism“ hauptsächlich gegen | |
Islamisten, ob gewalttätig oder nicht. Mindestens so fragwürdig sind auch | |
die Methoden, die den Initiatoren vorschweben. 39 Seiten beträgt der | |
Gesetzentwurf, den Dönmez & Co. dazu vorgelegt haben. | |
## Initiator in Erklärungsnot | |
„Es lohnt sich, den Text zu lesen, um zu begreifen, wie unter dem Slogan | |
,wehrhafte Demokratie' die Demokratie aus den Angeln gehoben werden soll“, | |
resümierte der liberale Journalist Alan Posener die Pläne in der Welt. Der | |
Kampf gegen den Extremismus werde „missbraucht, um ein Maulkorbgesetz zu | |
begründen, das mit den Werten Europas unvereinbar ist“. Dahinter stehe | |
„nicht weniger als der Plan, einen europäischen McCarthyismus zu | |
begründen“, urteilte Posener hart. | |
Besonders pikant im Lichte der jüngsten Enthüllungen ist die Forderung, | |
dass unter „Extremismus-Verdacht“ stehende Organisationen offenlegen | |
sollen, von wem sie ihr Geld erhalten. Denn österreichischen Zeitungen wie | |
die Presse oder der Standard berichten nun über dubiose Finanzströme, die | |
den Verein „Stop Extremism“ in einem trüben Licht erscheinen lassen. Den | |
Blättern liegen Verträge, E-Mails und interne Chat-Protokolle vor, die | |
Initiator Dönmez in Erklärungsnot bringen. | |
Efgani Dönmez ist eine schillernde Figur. Für die oberösterreichischen | |
Grünen mehrere Jahre im Bundesrat, überwarf er sich nach mehreren | |
umstrittenen Äußerungen und Aktivitäten mit der Partei. So hatte er | |
gefordert, Austrotürken, die für den türkischen Präsident Erdoğan in Wien | |
demonstriert hatten, in die Türkei zu schicken („5.000 One-Way-Tickets und | |
keiner würde denen nachweinen …“), und er lud den Sprecher der | |
Identitären-Bewegung in Österreich zu einem gemeinsamen Besuch in einem | |
Flüchtlingsheim ein. | |
Nach dem Austritt aus den Grünen im Mai 2017 nahm ihn der konservative | |
ÖVP-Chef Sebastian Kurz auf Platz fünf seiner Kandidatenliste für die | |
Nationalratswahl auf. Mitte Oktober wurde Dönmez in das österreichische | |
Parlament gewählt. | |
Auf den ersten Blick klingt es absurd, Dönmez oder Ateş eine Nähe zu | |
Saudi-Arabien nachzusagen, denn durch besondere Sympathien für das | |
Königreich sind beide bisher nicht aufgefallen, ganz im Gegenteil. Doch aus | |
saudischer Sicht könnte es trotzdem Sinn machen, auf die beiden zu setzen | |
und ihre Kampagne zu finanzieren – nach der Logik „der Feind meines Feindes | |
ist mein Freund“. | |
## Europa als Kampfplatz innermuslimischer Rivalitäten | |
Der taz liegen Auszüge aus den Chatprotokollen von Dönmez vor. Seinen | |
Auftrag fasst er dort an einer Stelle mit den Worten zusammen: „Türkei = | |
Bad, Katar = Bad, Saudis = Good“. Ein Scherz, wie er später auf Nachfrage | |
behauptete. | |
Tatsache ist allerdings, dass Saudi-Arabien das Emirat Katar seit dem | |
Arabischen Frühling als Feind betrachtet, den es mit aller Macht zu | |
bekämpfen gilt. Es wirft dem kleinen Nachbarn vor, über den Sender | |
al-Dschasira die Muslimbrüder in Ägypten unterstützt zu haben. Außerdem | |
stört es die Saudis, dass Katar gute Beziehungen zum Iran pflegt, seinem | |
Gegenspieler in der Region. | |
Zuletzt verhängte es deshalb drakonische Sanktionen gegen Katar, und mit | |
den Vereinigten Arabischen Emiraten bemüht es sich, den unliebsamen | |
Konkurrenten zu isolieren. Die Türkei ist hingegen mit Katar verbündet. | |
Auch Europa ist ein Kampfplatz dieser innermuslimischen Rivalitäten. | |
Gut möglich, dass Ateş nicht so richtig bewusst war, welchen Interessen | |
ihre Kampagne dienen könnte. Auffällig ist aber, dass auf der Webseite von | |
„Stop Extremism“ allein die Türkei und Katar namentlich als „die größt… | |
finanziellen Förderer extremistischer Organisationen wie beispielsweise der | |
Muslimbruderschaft“ genannt werden. Beide Länder werden in Zusammenhang mit | |
den 293 Opfern terroristischer Anschläge der Jahre 2015 und 2016 gebracht. | |
Zu Saudi-Arabien oder den salafistischen Strömungen, die das Königreich | |
unterstützt, findet sich dagegen kein Wort. | |
Dönmez weist alle Vorwürfe empört zurück. Doch seine Finanzquellen bleiben | |
undurchsichtig. Er selbst hatte als Budget seiner Kampagne lediglich 20.000 | |
Euro angegeben, die zur Hälfte von ihm selbst und zur Hälfte von Ateş | |
stammen sollen. Verträge mit PR-Beratern legen aber nahe, dass wesentlich | |
größere Summen im Spiel gewesen sein sollen. So plante der Verein | |
ursprünglich wöchentliche Treffen in unterschiedlichen europäischen | |
Städten, und ein PR-Berater sollte 180.000 Euro für seine Arbeit für den | |
Verein erhalten. Dieser Berater geriet im Laufe des österreichischen | |
Wahlkampfs wegen seiner mutmaßlichen Mitwirkung an diversen | |
Schmutzkampagnen ins Zwielicht. | |
## Allianzen mit rechtspopulistischen Parteien | |
Ateş will von alldem nichts wissen. „Die Vorwürfe im Zusammenhang mit der | |
Finanzierung der von mir mitgegründeten EU-Bürgerinitiative STOP | |
EXTREMISMUS durch Saudi-Arabien entbehren jeder Grundlage“, ließ sie der | |
taz ausrichten. „Unsere Initiative richtet sich gegen jede Form von | |
Extremismus, egal ob dieser von links, rechts oder von Kreisen des | |
politischen Islam ausgeht.“ | |
Zu den Unterstützern der Kampagne „Stop Extremism“, die mit persönlichen | |
Video-Testimonials auf der Webseite des Vereins auftreten, zählen bekannte | |
deutsche Gesichter aus der „islamkritischen“ Szene wie Necla Kelek, Ahmad | |
Mansour und die deutsch-jesidische Journalistin Düzen Tekkal. | |
Auch Saïda Keller-Messahli ist dabei. Die tunesischstämmige Publizistin ist | |
Gründerin und Gesicht des Schweizer Forums für einen fortschrittlichen | |
Islam und eine der bekanntesten „islamkritischen“ Stimmen aus der Schweiz, | |
und neuerdings Mitgesellschafterin des Moscheevereins von Seyran Ateş in | |
Berlin. Keller-Messahli hat gerade ein Buch veröffentlicht, in dem sie mit | |
der Schweizer Integrationspolitik abrechnet. | |
Den Behörden, Sozialdemokraten und Grünen wirft sie „Sozialromantik“ und | |
Naivität gegenüber islamistischen Tendenzen vor. Nicht nur Katar, sondern | |
auch Saudi-Arabien wirft sie vor, radikale Gruppen zu fördern, fordert mehr | |
Überwachung von Moscheen und tritt für das Verbot von Ganzkörperschleiern | |
und Kopftüchern ein. Um diese durchzusetzen, schlägt Keller-Messahli sogar | |
Allianzen mit rechtspopulistischen Parteien wie der Schweizer Volkspartei | |
(SVP) oder der deutschen AfD vor. | |
Seyran Ateş scheint das ebenso wenig zu stören wie die Vorwürfe gegen | |
Dönmez. „Go, Effi, Go“, spornte sie noch einen Tag vor der Wahl in | |
Österreich ihren Mitstreiter auf Facebook an und postete eines seiner | |
Wahlkampfvideos. Darin fordert Dönmez „null Toleranz“ gegenüber Frauen, d… | |
ihr Gesicht hinter einem Schleier verbergen, und rief zur Wahl der ÖVP auf. | |
Das landesweite „Burka-Verbot“, das jüngst in Österreich in Kraft trat, | |
preist er als vorbildlich an. | |
Wenn die ÖVP demnächst mit der rechtspopulistischen FPÖ in Wien die | |
Regierung stellt, wird Dönmez womöglich bald noch mehr von seinen | |
politischen Vorstellungen verwirklichen können. | |
30 Oct 2017 | |
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[1] /!5422953 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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