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# taz.de -- Cloudrap in Deutschland: Im Wolkenkuckucksheim des HipHop
> Rin ist ein viel gepriesenes Talent aus der schwäbischen Provinz, Yung
> Hurn ein junges Genie aus Wien. Beide sind sie Posterboys des Cloudrap.
Bild: Trägt immer das, was gerade angesagt ist: Cloudrapper Rin
Plötzlich schnurren 21 Jahre in sich zusammen. 1996 scheint gerade gestern
gewesen zu sein. „Ich find, es passt, was ich mach / Ich bin Produkt meiner
Jungs und meiner Stadt“, behauptet Rin, aktuell gehyptester Newcomer, auf
seinem kürzlich erschienenen Debütalbum „Eros“. Rin findet damit Anschluss
an die Generation vor ihm, die Mitte der Neunziger Lokalpatriotismus in
Reimform brachte. 1996, als Rin vermutlich gerade erst sprechen lernte,
gedieh die Kolchose. Der 0711-Club in Stuttgart öffnete seine Pforten, und
überhaupt war die schwäbische Landeshauptstadt Nabel der deutschsprachigen
HipHop-Welt.
„Eins für den Rap, zwei für die Bewegung / Von klein auf geprägt durch die
Umgebung / Es ist nicht, wo Du bist, es ist, was Du machst / Herzlich
willkommen in der Mutterstadt!“, reimten Massive Töne gemeinsam mit Afrob
und Max und setzten ihrer „Mutterstadt“ ein Denkmal. Das „Kopfnicker“-A…
gilt noch heute für viele als wegweisend. Für Rin eher nicht, er bezieht
sich lieber auf US-Vorbilder wie Drake.
Auch die Sehnsuchtsorte im Deutschrap heißen heute anders, fangen nicht
mehr mit S, sondern mit B und W an. W wie Wien und B wie Berlin. Oder – für
Rin – wie Bietigheim-Bissingen, eine rund 20 Kilometer von Stuttgart
entfernte 40.000-Einwohner-Schlafstadt, Lebensmittelpunkt des Rappers.
Zitat: „Ich bleib in Bietigheim so lang, bis ich leb.“
So wie es momentan für ihn läuft, spricht nichts dagegen. Seine Crowd
erreicht er auch von der Provinz aus. Wozu gibt es soziale Medien? Sowohl
Rins Singles als auch sein Album haben es sich in den Charts bequem
gemacht, seine gerade laufende Tour ist nahezu ausverkauft, Zusatztermine
sind bereits anberaumt. Was ist dran an diesem Typen mit Rasta-Man-Bun, der
seinen Nachnamen und auch sonst nicht viel über sich verraten will und der
auf seinen Tracks mehr singt oder jault als rappt oder reimt?
Ziemlich viele Emotionen auf jeden Fall. Rin ist ein Romantiker. Er textet
über die Liebe, die Liebe zu den Frauen, zu seinen Jungs, zu seiner Stadt
und zur Mode. Supreme, Vetements, Gosha Rubchinskiy – was gerade so
angesagt ist, Rin trägt es und trifft auch damit einen Nerv.
## Gegenmodell zum Gangsta-Rap
Rin macht Cloudrap, ein HipHop-Subgenre, das sich durch Sounds auszeichnet,
die so sphärisch herumwabern, wie man Wolken in Musik übersetzen könnte –
daher auch der Name. Der passt außerdem gut dazu, dass das Internet
liebstes Kommunikations- und Distributionsmedium von Cloudrappern ist.
Weitere Erkennungsmerkmale: Autotune-Effekt, Trap-Beats, Dada-Texte,
Lo-Fi-Ästhetik. Aber auch DIY-Unbekümmertheit und ein grotesk
überzeichnetes Spiel mit HipHop-Insignien, bei dem sich schlaksige Jungs
zum Meme überstilisieren und gleichzeitig kindlichen Dilettantismus
zelebrieren.
Cloudrapper sind das Gegenmodell zum hypermaskulinen aufgepumpten
Gangsta-Typ, die bislang den Rap dominierten. In der Szene wird Cloudrap
daher auch kontrovers diskutiert. Kaum einer würde sich selbst als
Cloudrapper bezeichnen.
Alles begann mit dem US-Künstler Lil B, selbsternannter „Based God“,
Inbegriff absurd-ironisch übersteigerter HipHop-Klischees, der mit den
Regeln bricht, sowohl was die Musik als auch was die Inszenierung von
Maskulinität betrifft, und ein Download-Album nach dem anderen raushaut.
Von Lil B handelt auch die Anekdote, von der der Name Cloudrap herrührt: In
einem Interview soll Lil B auf das Airbrush-Gemälde eines Wolkenschlosses
gedeutet und gesagt haben: „That’s the kind of music I want to make.“
Die erste europäische Version kreierte 2013 der Schwede Young Lean. 2015
schwappte die Welle in den deutschsprachigen Raum. Zu den bekanntesten
Vertretern zählen hier LGoony, Yung Hurn, Crack Ignaz, Money Boy,
Hustensaft Jüngling, Juicy Gay, Haiyti und eben Rin. LGoony, ein
schmächtiger, blasser Junge mit Mr.-Spock-Frisur, warf 2015 im Video zu
seinem ersten Hit, „Millionen Euro“, mit Geldscheinen nur so um sich und
rappte dazu: „Money over Bitches, Money over everything.“
## Gaga oder genial?
Yung Hurn wiederum streute eine gehörige Portion Wiener Schmäh in die
Wolkensuppe und klingt seinen beiden zentralen Themen entsprechend – Drogen
und Liebe –, als hätte er weit mehr als nur einen im Tee. Yung Hurns Sound
ist ein Lob des Exzesses in jeglicher Form, daher ist auch egal, wenn der
Ton mal nicht sitzt oder der Satz vernuschelt ist.
Manche von Hurns Zeilen könnten aus einer Schnulze stammen, andere aus der
WhatsApp-Konversation zweier Druffis am Sonntagnachmittag. So oder so,
sobald man sie einmal gehört hat, haken sie sich im Ohr fest wie etwa
„Lalalalala, Figaro, Figaro“ aus „Opernsänger“. Man liebt es oder hass…
Über seine Texte hat Hurn einmal gesagt, wenn er länger als zehn Minuten an
ihnen feile, seien sie nicht mehr gut. Also reicht dann auch mal ein
einziges Wort für den Refrain, wie in „Nein“. In seinem jüngsten Song gibt
er sich immerhin zweisilbig. Die neue Antwort auf alle Fragen, die einem
das Leben oder zumindest die Nacht so stellen könnte, lautet „O. k. cool“.
Oder besser gesagt: „Okay, cool, okay, cool, okay, cool, okay, cool / Okay,
cool, okay, cool, okay, cool, okay, cool, okay.“
Ist das nun gaga oder genial? Und ist das überhaupt noch HipHop? Auf jeden
Fall, findet Heidi Süß, die an der Universität Hildesheim zu aktuellen
Tendenzen im HipHop unter sprach- wie kulturwissenschaftlichen Perspektiven
forscht: „Originalität und Kreativität sind ganz wichtige Stilelemente“,
sagt sie. „Die gehören zum Wertekanon, von daher ist es sehr HipHop, was da
passiert.“
## Cloudrap polarisiert
Dann wäre da auch noch der Rückbezug auf kulturelle Referenzen, auf Idole
und die US-Szene, womit sich die Rapper legitimierten, denn: „Wissen ist
soziales Kapital im HipHop.“ Neu sei hingegen, wie Cloudrapper damit
umgingen: Mit Experimentierfreude und Leichtigkeit, fast beiläufig, ohne
Ehrfurcht vor dem tradierten Wertekanon und dem sozialen Ordnungssystem der
Lordsiegelbewahrer.
Dass man sich damit nicht nur Freunde macht, liegt auf der Hand. Wer wissen
will, wie sehr Cloudrap polarisiert, braucht nur die Kommentare unter den
Videos auf YouTube zu lesen.
Rin hat übrigens 2016 einen Track zusammen mit Yung Hurn gemacht, die
kitschige Kokshymne „Bianco“. Im Video irren die beiden im Birkenwald umher
und verspritzen mit Feuerlöschern Kunstblut. Beide waren zunächst Teil des
Berliner Kollektivs „Live from Earth“, mittlerweile hat Rin sich von Live
from Earth wieder verabschiedet, nach eigenen Angaben, weil er sowieso
lieber sein eigenes Ding macht.
Yung Hurn hat indes in der Kunstszene Anschluss gefunden, ist gern
gesehener Gast auf Partys und Dinners in Berliner Galerien und mutiert
musikalisch immer mehr zu seinem Alter Ego, dem noch skurrileren
vermeintlichen großen Bruder K. Ronaldo. Hurn und Rin wollen sich
offensichtlich auf nichts festlegen, noch nicht einmal auf das, was sie
selbst geschaffen haben. Letztlich ist das nur konsequent, Wolken kann man
schließlich auch nicht festhalten. Die nächsten Kandidaten, die diese noch
ein wenig höher pusten könnten, stehen auch schon bereit: Das
schweizerische Trio Akira, P Vlex und Yanx hat soeben bei Live From Earth
sein viersprachiges Debüt „Babylon“ veröffentlicht.
27 Sep 2017
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
HipHop
Rap
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Pop
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Schwerpunkt Rassismus
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