| # taz.de -- Indymedia-Aktivist über Schließung: „Angriff auf die Gegenöffe… | |
| > Das Bundesinnenministerium hatte die Internetplattform sieben Wochen nach | |
| > den G20-Krawallen verboten. Die taz hat mit einem Aktivisten des | |
| > Netzwerks gesprochen. | |
| Bild: In Hamburg brennen öfter mal Polizeiautos, wie vor dem G20-Gipfel. Was s… | |
| taz: Charly, fühlen Sie sich als ein Protagonist von Indymedia verfolgt? | |
| Charly: Alle, die im Widerstand sind und eine nicht kontrollierte | |
| Gegenöffentlichkeit schaffen, sind, wie wir wissen, jetzt verfolgt. Die | |
| Abschaffung der Website linksunten.indymedia.org ist das beste Beispiel | |
| dafür, dass eine Regierung mit fragwürdigen Mitteln versucht, eine | |
| Gegenöffentlichkeit plattzumachen. | |
| Reporter ohne Grenzen kritisiert das Verbot der Internetplattform als | |
| Angriff auf die Pressefreiheit. Was hat linksunten.indymedia mit | |
| Journalismus zu tun? | |
| Mit Journalismus im Sinne eines Ausbildungsberufs hat das überhaupt nichts | |
| zu tun. Die Presse ist eine Institution, die die Bevölkerung über das, was | |
| politisch, sozial und kulturell passiert, informieren darf. Sie ist ganz | |
| bestimmten Regeln unterworfen, die orientieren sich an der Regeln der | |
| bürgerlichen, repräsentativen Demokratie und der kapitalistischen | |
| Nachrichtenverwertung. Indymedia nimmt diese Regeln nicht ernst, weil wir | |
| eine Open-Posting-Plattform sind, auf der jeder und jede ihre Nachrichten | |
| verbreiten können – grundsätzlich. | |
| Und welchen Regeln folgt die? | |
| Alles, was auf Indymedia gepostet wird, ist ein selbst geschriebener | |
| Bericht. Wenn möglich, sollte es einer intersubjektiven Transparenz | |
| unterliegen. Es sollte also deutlich werden, aus welchen Zusammenhängen | |
| heraus dieser Bericht geschrieben wird und was passiert ist. Außerdem | |
| müssen bestimmte emanzipatorische Merkmale eingehalten werden: Wir | |
| veröffentlichen keine sexistischen, rassistischen, faschistischen Texte, | |
| wir machen keine Parteienwerbung und es gibt keine Möglichkeit, über uns | |
| Marktwert zu generieren. | |
| Was ist das politische Ziel? | |
| Es geht vor allem darum, dass alles, was der Auseinandersetzung um eine | |
| befreitere Gesellschaft gilt, bei Indymedia gepostet werden kann. | |
| Linksunten hat es ja geschafft, viele Bewegungen in sich zu konsolidieren | |
| und damit eine große Öffentlichkeit erreicht. Das ist das, was die | |
| Regierung stört. | |
| Die Transparenz hat ihre Grenzen bei der Frage der Autorschaft. Ist es | |
| nicht problematisch, dass niemand weiß, wer die Texte verfasst? | |
| Medienkompetenz fängt da an, dass alle, die Texte lesen, sich auch vor | |
| Augen führen, dass alles auch erlogen sein könnte. Man muss sich schon | |
| fragen: Sind das Fake News oder sind die Texte vielleicht von staatlichen | |
| Behörden eingestellt worden, um Irritation zu schaffen? Wir wollen diese | |
| Medienkompetenz vermitteln, dass Nachrichten überprüft werden müssen, wenn | |
| es das Gefühl einer Irritation gibt. Bei Outings von Nazis etwa wird von | |
| der Moderation ein besonderer Rechercheaufwand betrieben. | |
| Wer prüft denn die Inhalte? | |
| Es gibt eine Moderation, die prüft, ob die Richtlinien von Indymedia | |
| eingehalten werden. | |
| Bei jedem Artikel? | |
| Ja, bei jedem. | |
| Und wie schnell kann das gehen? | |
| Das ist abhängig davon, wie die Moderation gerade besetzt ist und wie sie | |
| drauf ist. Aber in der Regel ist es so, dass innerhalb von 24 Stunden alles | |
| gelesen wurde. | |
| Seit vergangenen Freitag ist die Webseite nun offline. Schadet oder nützt | |
| Indymedia das? | |
| So eine Aufrechnung gibt es nicht. Es ist ein Angriff der Herrschenden auf | |
| eine Gegenöffentlichkeit, die sie in Zeiten, in denen die Krise | |
| voranschreitet, nicht haben wollen. Es gibt Leute, die das sehr genau | |
| beobachten und die sich solidarisch erklären und die es wichtig finden, | |
| dass es diese Plattform gibt. Wenn diese Kritik nicht möglich ist, driften | |
| wir Richtung Diktatur. | |
| Verbote im Internet sind aber doch oft ein Eigentor. | |
| Es gibt immer eine Solidarisierungswelle, aber die Frage ist, welche | |
| Kontinuität hat die. Der erste große Moment einer Internetöffentlichkeit | |
| ist 1994 von den Zapatisten hergestellt worden, als sie am 1. Januar | |
| friedlich die Rathäuser im mexikanischen Chiapas besetzt haben. Das ist im | |
| Internet gepostet und verbreitet worden – und es war das erste Mal, dass | |
| eine Bewegung, in diesem Fall auch eine militant bewaffnete, sich das | |
| Internet zu eigen gemacht hat, um eine weltweite Öffentlichkeit | |
| herzustellen. Das hat Druck erzeugt. Trotzdem besteht der Konflikt noch | |
| heute und ist weitgehend vergessen. | |
| Damals gab es noch kein Indymedia. Wie entstand das Netzwerk? | |
| Seit den Protesten in Seattle. Da gab es zum ersten Mal einen freien, | |
| weltweiten Zusammenschluss von MedienaktivistInnen. Auch aufgrund einer | |
| guten Gegenöffentlichkeit konnten die WTO-Verhandlungen damals verhindert | |
| werden. Das war ein großer Erfolg. | |
| Glauben Sie, das Verbot der Seite ist eine Folge der G20-Proteste in | |
| Hamburg? | |
| Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen linksunten.indymedia und G20, | |
| der darauf schließen lässt, warum die Seite jetzt dicht gemacht wurde. | |
| Diese große Mobilisierung durch Indymedia gibt es nicht mehr, weil es die | |
| Antiglobalisierungsbewegung nicht mehr gibt. Deswegen gibt es eigentlich | |
| gar keinen Anlass. Es sei denn, der Staat plant in Zukunft rigidere | |
| Maßnahmen. Dieser autoritäre Charakter hat sich ja auch während des | |
| G20-Treffens in Hamburg herausgeschält. | |
| Warum haben Indymedia und Linksunten unterschiedliche Webseiten, wie kam es | |
| zu der Spaltung? | |
| Es gab eine längere Auseinandersetzung darüber, in welchem Umfang Outings | |
| von Nazis stattfinden sollen. Darüber gab es unterschiedliche Auffassungen. | |
| Bei Indymedia ist es so, dass alle einen Antrag stellen können, um in das | |
| internationale Netzwerk aufgenommen zu werden. Das hat Linksunten gemacht | |
| und die Kriterien erfüllt. Damit sind sie Teil von Indymedia. | |
| Es ist mit linksunten.indymedia aber nur eine Website verboten. Was heißt | |
| das für das Netzwerk Indymedia? | |
| Es gibt über 100 Indymedia-Center weltweit. Wenn eine Seite angegriffen | |
| wird, wird ein Teil des Netzwerks angegriffen. Aber um das Netzwerk | |
| brachliegen zu lassen, müssten weltweit alle Teile angegriffen werden. | |
| Jetzt ist es so, dass linksunten.indymedia.org von staatlicher Seite | |
| abgeschaltet worden ist. Das ist ein Angriff auf eine freie | |
| Meinungsäußerung, das wird aber so nicht gesagt. Stattdessen nutzen die | |
| Behörden einen Vereinsparagrafen, um etwas zu legitimieren, wo es nichts | |
| zu legitimieren gibt. | |
| Aber es wurde jetzt ein Verein verboten, den es gar nicht gibt. Ist es | |
| nicht einfach, dagegen vorzugehen? | |
| Ich bin kein Jurist. | |
| Warum gilt das Verbot nur der Website linksunten.indymedia? | |
| Ich nehme an, dass sie die Seite für eine radikale Linke als relevanter | |
| wahrnehmen als indymedia.org. Mit dieser Einschätzung stimme ich überein. | |
| Braucht es in Zeiten von Blogs und Socialmedia überhaupt noch so etwas wie | |
| Indymedia? | |
| Ohne so eine Seite würde es keinen Ort für Kritik an herrschender Politik | |
| geben. Facebook und Youtube sind staatstragend. Da gibt es ein | |
| kapitalistisches monetäres Interesse. Inzwischen ist ja der | |
| medienwissenschaftliche Stand, dass diese Kanäle rechtsverstärkende, | |
| populistische Meinungen transportieren und der Anpassungsdruck relativ groß | |
| ist. Facebook ist keine Alternative. | |
| 31 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
| Lena Kaiser | |
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