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# taz.de -- Pressereise in die Kulturhauptstadt 2017: Oh, wie schön ist Dänem…
> Die Dänen haben alle eine gestörte Beziehung zu Tieren und verhalten sich
> wie Möbelstücke. Eine Pressereise durch die Kulturhauptstadt Aarhus.
Bild: Das Kunstmuseum Rainbow Panorama von Olafur Eliasson in romantischer Aben…
Museen, Schweinefleisch und viel Hygge. Das ist Aarhus, die zweitgrößte
Stadt Dänemarks. In 13 Schritten durch die Stadt, die ursprünglich eine
Wikingersiedlung war:
1. Es gibt bescheidenere Wege nach Aarhus als mit dem Wasserflugzeug. Aber
auf einer Pressereise muss man die Herzen der Schreiber erobern. Der Rotor
röhrt über die Wellen, im Cockpit sitzt barfuß ein kerniger Däne. Aarhus,
das Kassel des Nordens, ewiger Feind Kopenhagens, zweitgrößte Stadt des
Landes, ist, neben Paphos auf Zypern, dieses Jahr Kulturhauptstadt Europas.
Deshalb kriege ich eine Reise dorthin von der dänischen Botschaft bezahlt.
Sehr nette Menschen, auch schön und schlank.
2. Ankunft in Aarhus. Wie so oft in Europa (Barcelona, Köln, Marseille)
wurde auch hier der Hafen aus dem Zentrum verbannt, wurden alte Docks
abgerissen, um dann alles mit Beton zu übergießen. Das finden alle ganz
toll, denn jetzt steht da eine Bibliothek, in der es sogar Steckdosen gibt.
Außerdem kann man darin Playstation spielen und seine Bücher an einem
Drive-in zurückgeben. „Adorno hätte gekotzt“ (Thomas Gsella). Am Fenster
zur Ostsee stehen ein müffelndes Mammut mit wackelndem Schwanz und ein
bronzener Gong, der läutet, wenn in der Stadt ein Kind geboren wird. Die
Architektin sieht aus wie meine Deutschlehrerin. Überall sitzen hübsche
Dänen, die konzentriert tun.
3. Ein riesiger Museumsdirektor (zwei Meter zwanzig, das sind hundert Mark)
mit Jeansjacke und schweißnasser Lockenfrisur (nicht so schön leider –
Norweger!) führt uns durch sein Museum, in dem unter anderem ein
aufgeschnittenes, in Einmachgläser gefülltes Pferd zu sehen ist
(Kunstaktion, gegen Vietnam). Im Keller zeigt er einen Ausstellungsraum,
nur mit einem Grasbottich drin: Den werde am Ende ein Schwein verwüsten,
erzählt er voller Stolz. Ein Spiel mit Ebenen, mit Bedeutung. Dänen pflegen
spannungsgeladene Beziehungen zu Tieren. Vor allem Schweine sind ihrem
kühlen Sadismus gnadenlos ausgeliefert, manche essen bis zu tausend Stück
pro Jahr. Eröffnet man ihnen, dass Schweine in Wahrheit gar keine Fische
sind, gucken sie traurig.
4. Die älteste Moorleiche der Welt liegt etwas außerhalb im „Moesgård
Museum“, einer staatlich finanzierten Institution zur Förderung des
Wikingerfetischs. Der „Grauballe-Mann“ fand vor 2.000 Jahren seinen Døden i
mosen, zuvor wurde ihm noch die Kehle durchgeschnitten; er trug Vollbart
und Haarband und hatte ein halbes Kilo Blätter und Mäusekot im Magen, wie
ein Hipster, wird gescherzt.
5. Im Rathaus hören wir, wie toll alles laufe und gelaufen sei. In einem
Halbsatz lässt Bürgermeister Bundsgaard, ein junger, smarter
Sozialdemokrat, einen Namen der Bewerber um die Kulturhauptstadt 2025
fallen: Hildesheim.
6. Noch mal Schwein: In allen Formen und Farben wird Dänemarks wichtigster
Kulturträger aufgefressen. Neben Hotdog (mit roter Lebensmittelfarbe
eingefärbt – rot wie das Meer, wenn es blutet) gibt es zum Beispiel
flæskesvær (getrocknete Hautstücke) und Kieferfleisch. 40 Kilometer
nördlich von Aarhus befindet sich Europas größter Schweinefleischproduzent.
Perverser Verdacht: Sind die Dänen vielleicht gerade deshalb so schön?
Wegen ihres jederzeit drängenden Schweinchen-Schlau-Hungers? Arschbacke,
Bremsbacke, Schweinebacke? Eine kurze Recherche auf Grindr zeigt: Alle
heißen Søren und sind sehr, sehr dünn. Die Mädchen sehen aus, als röchen
sie nach Senf.
7. Wir schauen einen Film über den Klimawandel in einem riesigen
Plastikballon: Selbst in Dänemark fand man Malariamücken, heißt es.
8. In Dänemark spricht man Dänisch, das macht die Kommunikation mit den
Einheimischen mitunter schwierig. Vor allem, wenn sie Dänisch sprechen. Zum
Beispiel auf der Bühne: Das sicher abgefuckteste Theaterstück Dänemarks
findet bei acht Grad im Schatten neben dem Moesgård Museum unter freiem
Himmel statt und ist ein Wikingerspektakel. Das Wikingerspektakel ist
offenbar eine ganz eigene Kategorie von Ereignis, bei dem die Dänen noch
viel ernster als ohnehin schon dreinschauen (die Gesichter wie die Stühle:
schnörkellos, klar, streng). Dieses hier heißt „Røde Orm“ und wird sogar
vom Königlichen Theater aufgeführt; es geht darin um den „roten Wurm“,
einen Wikingerhelden, dessen Name tausendfach in jenem röhrenden Lallen
herausgekehlt wird, das diese Sprache so hermetisch macht. Das Stück selbst
ist ordentlich: Fast jeder stirbt, es gibt Sex. Ein ins Leere rammelnder
Braunbär im Tutu und zwei über dem Bühnenbild schwebende LSD-Raben bilden
die Allegorien des Wahnsinns.
9. Dänisches Fernsehen ist sehr, sehr traurig. Jemand sieht aus wie Jörg
Kachelmann.
10. Sextraum von einem dänischen Fleischer. Wir spielten Scrabble. Ich
wollte das Wort „Schnitzelklopfer“ legen, hatte aber nicht genug
Buchstaben.
11. Dänemark ist das beste Land der Welt. Das schreibe ich nicht, weil ich
etwa drei Tage lang mit Wikingerwein und Trüffelsaft durchgesäugt worden
wäre – nein, es ist einfach der Fall. Klassengegensätze gibt es nicht,
alle arbeiten zusammen, und das auch nur von acht bis vier, danach hyggen
sie („Gemütlichkeit“ als Verb, voll im Trend gerade, so wie Smartphones
und Latte macchiato) in schicken öffentlichen Neubauten und haben dennoch
genug, um den irre teuren Einkauf zu bezahlen – das dänische Paradox. Muss
am Design liegen. Gibt es trotzdem Probleme, baut man sie weg.
Fast leuchten ihm die Augen, als Bürgermeister Bundsgaard, der junge,
smarte Sozialdemokrat, erzählt, wie er den Brennpunkt Gellerup, Dänemarks
ärmsten Stadtteil, durch Abriss von Wohnblocks und den Bau von mehr Straßen
entschärfen will. In Kopenhagen umfahre die Post aus Angst inzwischen ganze
Stadtteile. Dazu solle es hier nicht kommen – deshalb zeige die Polizei bei
den aktuellen Schießereien (weiteres Flackern) verstärkt Präsenz.
12. Mitten in der Stadt gibt es, ja – ein Oktoberfest. Im Juni. Dänen lügen
doch.
13. Rückkehr zum Hotel. Abfahrt. Auf einem Werbeplakat das sicherlich
schönste dänische Wort: Køkkenrulleholder. Damit ist ja auch eigentlich
alles gesagt.
17 Aug 2017
## AUTOREN
Adrian Schulz
## TAGS
Dänemark
Kulturhauptstadt
Poesie
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Buch
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