# taz.de -- Kulturprojekt in Aarhus: Der Basar am Boulevard Blixen | |
> „Eutopia“ soll frischen Wind in Aarhus' Problemviertel Gellerup bringen. | |
> Der Umgang soll mit einer neuen „Volkskultur“ Hand in Hand gehen. | |
Bild: Aarhus vom Wasser aus gesehen | |
Ein schwarzer Riese im hellblauen Burnus zieht einen Stapel Kisten mit | |
Auberginen durch den Gang. Daneben lässt sich eine wasserstoffblonde Dame, | |
deren Gesicht von viel Wodka und Tuborg erzählt, vom Schlachter zehn | |
Lammkoteletts einpacken. | |
Es riecht nach Baharat und Bratfett, unter dem großen Kronleuchter betasten | |
verschleierte Frauen Wassermelonen, und vor dem „Sultan Gavecenter“ sitzen | |
bärtige Männer und trinken Tee. Alltag im Basar, wie er in jeder größeren | |
Stadt im Oman, in Jordanien, in Ägypten zu finden ist. Der hier aber heißt | |
Bazar Vest, umfasst 110 Geschäfte, wird jede Woche von rund 30.000 Kunden | |
besucht – und liegt in Gellerup, Dänemark. | |
6.500 Menschen leben in der Satellitenstadt von Aarhus, fast 90 Prozent | |
davon sind Ausländer, überwiegend Somalier und Palästinenser. Der Vorort | |
mit seinen 2.448 Wohnungen wurde von 1968 bis 1972 gebaut und war als eine | |
Art Modell gedacht, eine autarke Siedlung aus vier- bis achtstöckigen | |
Plattenbauten für die Mittelklasse, mit eigenen Schulen, einem | |
Einkaufszentrum und einer Müllverbrennungsanlage, die die Zentralheizung | |
speiste. | |
Die Idee war gut, die Praxis funktionierte nicht. Immer mehr Wohnungen | |
standen im Lauf der Jahre leer, türkische Gastarbeiter zogen ein, später | |
viele Menschen aus dem Libanon. Es bildete sich das, was man in Dänemark | |
eine „besonders gefährdete Wohngegend“ nennt – anderswo hieße es Getto. | |
## Umbau und soziale Veränderungen | |
Arbeitslosigkeit, Armut, Drogen und Kriminalität prägten das Zusammenleben | |
– nach der Jahrtausendwende hatte Dänemarks größter Wohnkomplex einen | |
miserablen Ruf. Und noch immer ist Gellerup die ärmste Region Dänemarks mit | |
dem höchsten Anteil an ausländischen Bewohnern, die alle in ihren je | |
eigenen Kulturen leben. | |
Es musste etwas passieren. Man entwarf einen Masterplan. Eine große | |
Wandmalerei zeigt die Vision: Über eine weite Straße, bestanden von Bäumen | |
und Bänken und gesäumt von modernen Geschäften, flutet weißes Licht. | |
Spaziergänger flanieren entspannt, nur wenige Autos schieben sich | |
dazwischen. Hier ist gut sein, sagt das Bild. Hier herrscht modernes Leben. | |
Hier ist es sicher. | |
Und die Planer packten entschlossen an. Einige Blocks wurden abgerissen, | |
Hunderte von Bäumen abgeholzt, eine breite Schneise hineingeschlagen. Die | |
dunklen Ecken, in denen angeblich das Verbrechen bevorzugt haust, wurden | |
beseitigt. Eben hat man den neu entstandene Boulevard Karen Blixen | |
freigegeben. „Ob es sinnvoll war, ihn nach einer Dichterin zu benennen, die | |
selbst Sklaven hielt – an einem Ort, an dem so viele Afrikaner leben?“, | |
sinniert Brigitte Christensen, die selbst in Gellerup lebt. | |
Die 58-jährige Schauspielerin und Regisseurin ist künstlerische Leiterin | |
von Eutopia, dem Projekt des Aarhuser Kulturhauptstadtprogramms, das dem | |
Problemviertel zugute kommen soll. Denn der äußere Umbau des Ortes soll | |
begleitet werden von sozialen Veränderungen, und in denen wiederum soll die | |
Kunst eine große Rolle spielen. | |
„Wie schaffen wir es, mit den Menschen, die hier wohnen, eine Art | |
gemeinsamer Volkskultur zu entwickeln?“, ist eine der Fragen, die sich ihr | |
stellt. „Wie bringen wir sie dazu, sich auf Begegnungen einzulassen? Und | |
wie kriegen wir die Leute aus Aarhus nach Gellerup – denn die wenigsten | |
waren jemals selbst hier draußen. Fast keiner von ihnen weiß, dass die | |
Kriminalität hier inzwischen auch nicht höher ist als im Stadtzentrum.“ | |
## Vollmond-Event | |
Ein attraktives Angebot, ist ihre Antwort. Und: Qualität. Im Theater mit | |
300 Sitzen, auch ein Relikt der guten alten Gründerzeit, hat sie bereits in | |
diesem Jahr mit Stücken von und über Flüchtlinge von sich reden gemacht. | |
Der Schauspieler Hans Roenne verglich in einer Aufführung Judentum, Islam | |
und Christentum. „‚Ich habe da nicht alles verstanden‘, sagten mir | |
hinterher ein paar Leute, ‚aber ich war zum ersten Mal im Theater. Und es | |
war toll.‘“ | |
Im nächsten Jahr soll vom 26. bis 30. Juli ein großes Vollmond-Event | |
stattfinden. Eine Stadt aus Zelten mit Theatern und Restaurants wird | |
errichtet, der Kinderzirkus, den es schon seit einigen Jahren in Gellerup | |
gibt, tritt auf. Ebenso ist ein Festival mit Fußballfilmen geplant sowie | |
ein Orchester mit Musikern aus verschiedenen Ländern. „Zwei Komponisten | |
werden sie begleiten, und zusammen soll die ganze Gruppe aus der Vielfalt | |
der Stile so etwas wie eine neue Weltmusik schaffen.“ Auch eine | |
Palästinenser-Tanzgruppe, die in Dänemark bereits eine gewisse Bekanntheit | |
hat, wollte teilnehmen. | |
„Ich habe ihnen gesagt, ihr könnt dabei sein. Aber noch seid ihr nicht gut | |
genug. Ich besorge euch zwei versierte Choreografen, und dann müsst ihr | |
lange und hart arbeiten. Sie waren begeistert.“ | |
Brigitte Christensen weiß, was sie will. Ob ihre Mitbewohner dann auch so | |
wollen, wie sie es sich wünscht und vorstellt, wird sich zeigen. Es wird | |
ein sehr langes Bohren von sehr, sehr dicken Brettern. | |
7 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
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