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# taz.de -- Das dänische Aarhus: Kultur unterm Regenbogen
> Warum sich ein Besuch in der Europäischen Kulturhauptstadt 2017 lohnt.
> Vergangenheit ohne Dänen-Nostalgie und Zukunftsprojekt.
Bild: Das Kunstmuseum mit dem Regenbogen in Aarhus
Gemütlich hat sie es sich gemacht, die Sturmtruppe der Revolution. Leere
Carlsberg-Flaschen stehen auf dem Tisch, über der Heizung trocknen ein paar
indische Kleider, und auf dem Plattenteller drehen sich Sebastians
Kampflieder zum 1. Mai.
Es scheint, als wären Clemens, Lise, Ove und Viebeke, die vier Bewohner des
Kollektivet Tarnborg, gerade ausgegangen, zu einer Kapitalschulung
vielleicht, oder um Fetakäse zu besorgen, der laut Zettel an der Küchenwand
fehlt. Doch die Utopie, die Gesellschaft von morgen, ist überall präsent:
in dem zerlesenen „Kapital“-Band im Obstkistenregal und auf den bunten
Postern, die von glücklichen Kindern, fleißigen Bauern und klassenbewussten
Kadern erzählen – in China.
„Alle waren damals für China“, sagt Ulrik Rye, der pensionierte
Schuldirektor, der unten im Supermarked Rahbek im braun-orangen
Verkäuferkittel bereitsteht, Besucherfragen zum dänischen Alltag im Jahr
1974 zu beantworten. Denn diese Epoche lebt im Freilichtmuseum Den Gamle By
wieder auf. Ein ganzer Straßenzug mit unterschiedlichen Wohnungen, einem
Reisebüro, einer Konditorei und Pouls Radio wurde nachgebaut und ergänzt
die 75 unterschiedlichen Gebäude aus dem 18. und 19. Jahrhundert und von
1927.
## Begeisterung für das Gestern
Vergangenheit spielt eine wichtige Rolle in Aarhus, der zweitgrößten Stadt
Dänemarks. Kühn, mit einem schrägen Grasdach, wurde etwa das Museum
Moesgård in einen Hügel gebaut. Hier erwacht die Frühgeschichte zum Leben.
Unter Glas liegt nicht nur die berühmte Moorleiche des Grauballe-Manns –
Filme und Animationen erzählen zudem, warum und wie die Menschen der
Bronzezeit ihresgleichen in den Mooren opferten. Mit den Wikingern segelt
man durch die Fjorde Norwegens, und bei der Schlacht von Illerup Ådal steht
der Besucher dank modernster Technik plötzlich mitten im Getümmel: Es
herrscht ein Toben und Wüten, aus dem es kein Entkommen gibt.
Aber trotz aller Begeisterung für das Gestern versinkt Aarhus nicht in
Dänen-Nostalgie. Dafür ist die 265.000-Einwohner-Stadt mit einem
Durchschnittsalter von 38 Jahren zu jung, mit ihrer beliebten Universität
zu intelligent und ihrem hohen Ausländeranteil zu international. Die Demos
gegen rechts waren hier immer größer als die gegen Ausländer, versichern
junge Leute ungefragt. Eher handelt es sich um eine Art
Selbstvergewisserung angesichts der Umwälzungen, die seit etwa 20 Jahren
vonstattengehen.
Überall ragen Baukräne hoch. Der Containerhafen wurde nach Süden verlegt,
am Wasser entsteht derzeit Aarhus Ø, ein futuristischer Stadtteil, dessen
Gesicht die weiß schimmernden „Eisberg“-Hochhäuser darstellen. Verschwind…
soll zugunsten eines neuen Büroviertels die alte Kohlebrücke samt der
Häuser zu ihren Füßen, in denen Prostituierte, Wohnungslose und entwurzelte
Grönländer ihre Wärmestuben haben. Dokk 1 am Hafen dagegen ist bereits zum
neuen Mittelpunkt für alle geworden.
In dem weiträumigen Gemeindezentrum lassen sich Frauen in Burka beim
Ausfüllen von Formularen helfen, in der Bibliothek herrscht die weltweit
höchste Dichte an Apple-Laptops und Fjällräven-Rucksäcken, im Café sitzen
Grauköpfe in Windjacken, Mütter mit Babys und junge Somalier bunt
durcheinander. Und wann immer in einem der Krankenhäuser der Stadt ein
neuer Aarhus-Bürger geboren wird, schlägt in der lichten Halle ein großer
Gong.
## Im Quartier Latin der Stadt
Aarhus ist eine Stadt mit einzelnen durchaus attraktiven Vierteln – aber es
hat kein wirkliches Gesicht. In der Innenstadt etwa wurde ein
unterirdischer Abwasserkanal umgebaut zu einer offenen Frischwasserader, an
deren Ufer sich heute Cafés und Restaurants reihen. Ein Stück vollkommen
neuer urbaner Landschaft entstand so, eine lang gezogene Fressmeile samt
Laufsteg, die immer noch etwas steril wirkt, aber so beliebt ist, dass die
Gäste sich an manchen Stellen fast ins Wasser schubsen.
Das traditionelle Gegengewicht dazu bildet Latinerkvarteret, so benannt in
den 60er Jahren wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Pariser Quartier Latin.
Hier finden Touristen, was sie an Dänemark so lieben: Kleinstadtidylle vom
Feinsten, in einer stylishen Variante. In den niedrigen, gelb und rot
gestrichenen Fachwerkhäuschen haben sich Boutiquen eingerichtet,
Käsegeschäfte und Outdoor-Outlets. Es gibt Frozen Joghurt und Sushi-to-go,
Ableger der großen Klamotten-Ketten dagegen sind immer noch die Ausnahme.
Privat geführte Geschäfte dominieren, und es kommen immer neue hinzu:
Craft-Beer-Bars, Designschulen, Läden mit kulinarischem Kleinkram, vegane
Restaurants. Stadtplaner ohne Eile und teuer gewandete Studentinnen nehmen
hier einen Latte, Obdachlose verkaufen ihre Zeitung Hus forbi.
Kultur spielte in den Überlegungen der Planer von vornherein eine große
Rolle. Kultur als Standortfaktor, als ein Stück Lebensqualität für die
Angestellten großer Firmen wie des Lebensmittelkonzerns Arla oder der
Rüstungsfirma Terma – und der vielen anderen, auf die man noch hofft.
Das Flaggschiff dafür ist Aros, das 2004 eröffnete Kunstmuseum. Es
beherbergt eine gute Sammlung dänischer und internationaler Werke, der
Hingucker aber ist der Regenbogen von Olafur Eliasson an der Spitze des
Gebäudes. 50 Meter über der Erde wandert man durch einen 150 Meter langen,
gläsernen Ring, dessen Scheiben in sanften Übergängen ihre Farben wechseln.
Kräne, Kirchen, der rohe Glockenturm des Rathauses von Arne Jacobsen, das
so aussieht, als sei es nie ganz fertig geworden – die ganze Stadt taucht
in zorniges Rot, gleitet hinüber in geliertes Rosa, in eisiges Meerblau, in
entrücktes Grün. Mit jedem Schritt ändert sich die Stimmung, fremd wird
sie, die Stadt, und immer wieder wirkt sie wie neu, während Kinder durch
den gläsernen Wurm toben und Jugendliche Selfies aus allen nur denkbaren
Positionen schießen.
7 Jan 2017
## AUTOREN
Franz Lerchenmüller
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