Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zum Tod des Dichters Yahya Hassan: Abschied vom Rüpel-Reimer
> Der umstrittene dänisch-palästinensische Poet Yahya Hassan ist in Aarhus
> beerdigt worden. Zum Friedhof kamen trotz Coronavirus 400 Menschen.
Bild: Yahya Hassan galt als Dänemarks größter Dichter der Gegenwart
Aarhus taz | Er habe als Muslim gelebt und als Muslim werde er sterben. Das
sagt Yahya Hassan in einem Video zu seinem Großonkel, einem Imam. Kurz nach
Bekanntgabe des Todes von Hassan vergangene Woche kursierte es in den
sozialen Netzwerken und löste die wahrscheinlich letzte Kontroverse um den
24-jährigen dänisch-palästinensischen Dichter aus.
Am Dienstag nun steht der Imam vor dem schlohweißen Sarg seines Großneffen
auf dem muslimischen [1][Friedhof in Aarhus] und wiederholt dessen Worte.
Seine Stimme überschlägt sich, als er auf Arabisch zum Miteinander der
dänischen Gesellschaft aufruft – inmitten von Kirschblüten, einem Dutzend
Fernsehkameras und 400 Trauergästen, die meisten junge Männer aus der
migrantischen Community. Epischer hätte der Abschied von Dänemarks größtem
Dichter der Gegenwart kaum sein können. Die dänischen Corona-Bestimmungen
gelten nicht für Beerdigungen.
1995 in Aarhus geboren, wächst Yahya Hassan als Sohn palästinensischer
Geflüchteter in einem Migrantenviertel auf. Der Vater ist gewalttätig, die
Mutter ohnmächtig. Über allem schwebt Allah, der die Ungerechtigkeit nicht
bestraft. Als die städtische Tageszeitung Jyllands Posten 2005 die ersten
Mohammed-Karikaturen druckt und eine weltweite Debatte über
Meinungsfreiheit und die Grenzen des guten Geschmacks auslöst, ist Hassan
ein zehnjähriges Kind.
Erste Strafdelikte später veröffentlicht Hassan 2013 mit 18 Jahren sein
Debut, über das die Literaturelite und die Talkshows im ganzen Land
diskutieren werden: einen schnörkellosen Band in schwarz-weiß, darin eine
Abrechnung mit religiöser Heuchelei, Gewalt im Elternhaus und dem dänischen
Liberalismus.
## Bestätigung des Islamisierungsalptraums
Hassans Markenzeichen: Die GROSSBUCHSTABEN. Als hätte er jede Silbe eigens
mit den Fäusten ins Papier geschlagen. 170 Seiten lang, roh und ungestüm.
Und dazwischen so etwas wie Zärtlichkeit in Form eines lyrischen Ichs auf
der Suche nach sich selbst. Schon damals prophezeit Hassan: „BALD LIEGST DU
TOT IM / GRABEN / ERSTICKT AN DEINER / EIGENEN POESIE.“ Noch ist es nicht
so weit.
Sein Debut trifft die 5,8 Millionen Dän*innen direkt ins Mark. Mit mehr als
120.000 verkauften Exemplaren wird „Yahia Hassan“ zum erfolgreichsten
lyrischen Erstlingswerk Dänemarks. Es wird auch ins Deutsche übersetzt.
2014 tritt Yahya Hassan auf der Leipziger Buchmesse auf. Als er damals
[2][der taz ein schlechtgelauntes Interview] gibt, lebt er mit
Personenschutz. Islamisten haben ihn zuvor angegriffen.
Auf die Frage, wie er zur Vereinnahmung seines Werks von Rechten steht, die
ihren Islamisierungsalbtraum in seinen Zeilen bestätigt sehen, wiegelt
Hassan ab. Er würde doch nur Gedichte schreiben: „Ich bin nicht
verantwortlich für ihre Auslegung durch meine Leser.“
Kurz vor dem Höhepunkt der „Flüchtlingskrise“ bezieht Hassan 2015 doch
politisch Stellung. Er wird Mitglied in der sozialliberalen Nationalpartei,
die sich für eine pluralistische Gesellschaft einsetzt. Bald wird er wegen
eines Drogendelikts ausgeschlossen.
Der Tiefpunkt folgt 2018: In einem Sammelprozess bekennt sich Hassan zu
allen 42 Anklagepunkten schuldig. Darunter: Körperverletzung, Vandalismus,
Stalking. Das Gericht in Aarhus ordnet Psychiatrie an, auf unbestimmte
Zeit. Dabei entstehen neue Gedichte.
„Yahia Hassan 2“ kommt im November 2019 auf den Markt, im selben Jahr, in
dem die dänische Regierung das umstrittene „Ghetto-Gesetz“ verabschiedet,
mit dem sie Parallelgesellschaften auflösen will. An den Erfolg des
Erstwerkes kann „Yahia Hassan 2“ nicht anknüpfen.
## Pläne für eine Hassan-Yahya-Straße
Dennoch: Als am Dienstag der weiße Sarg des Poeten im Erdreich versinkt,
richtet der Kulturbeauftragte der Stadt Aarhus das Wort an die Trauergäste:
Man wolle eine Straße nach Yahya Hassan benennen. Nach kaum einer Stunde
ist die Trauerfeier vorbei. Die Fernsehkameras sind verschwunden.
Erst jetzt tritt Hassans Mutter ans Grab. Nach Medienberichten war sie es,
die letzte Woche die Leiche ihres Sohnes in seiner Wohnung fand. Ein
Fremdverschulden schließt die Polizei aus. Der Tod Yahya Hassans, er wirkt
nach zwei veröffentlichen Gedichtbänden wie das unvermeidliche Ende einer
Trilogie. Oder wie er es selbst sagte:
„ICH VERDIENE MEINE / GEBURT NICHT / ICH PISSE JA AUF MEIN / EIGENES GRAB /
UND DAS GRAB NEBENAN / DAS IST DAS MEINES VATERS / DIE ERDE IST OHNEHIN /
NICHT MEIN“.
6 May 2020
## LINKS
[1] /Pressereise-in-die-Kulturhauptstadt-2017/!5435003
[2] /Yahya-Hassan-ueber-Gewalt/!5044954
## AUTOREN
Anna-Theresa Bachmann
## TAGS
Poesie
Schwerpunkt Coronavirus
Aarhus
Lyrik
Literatur
Dänemark
Poesie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lyrik-Performance in Hannover: Krasse Sprachbilder in Watte
Yahya Hassan war die wütend-poetische Stimme des dänischen Ghettos. Seinen
ersten Gedichtband hat Murat Dikenci in Hannover auf die Bühne gebracht.
Lyrische Erinnerungsreisen: Die Not der Anderen
Astrid Kaminskis lyrische Reportagen aus Athen über Cafe-Betreiber,
Migrant*innen, Marktverkäufer und Hausbesitzer.
Pressereise in die Kulturhauptstadt 2017: Oh, wie schön ist Dänemark
Die Dänen haben alle eine gestörte Beziehung zu Tieren und verhalten sich
wie Möbelstücke. Eine Pressereise durch die Kulturhauptstadt Aarhus.
Yahya Hassan über Gewalt: „Ich weiß nicht, was Glück ist“
Seine Gedichte sind Zeugnisse einer kriminellen Jugend in Dänemark. Yahya
Hassan ist 18 und selten gut gelaunt. Auch nicht bei diesem Gespräch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.