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# taz.de -- Yahya Hassan über Gewalt: „Ich weiß nicht, was Glück ist“
> Seine Gedichte sind Zeugnisse einer kriminellen Jugend in Dänemark. Yahya
> Hassan ist 18 und selten gut gelaunt. Auch nicht bei diesem Gespräch.
Bild: Der Dichter mit seinem Bestseller, der unter Islamisten verhasst ist.
Es ist eng in der weißen Kabine, die der Verlag für Interviews aufgestellt
hat. Wir zwängen uns zu viert hinein. Zwei Journalisten, ein Übersetzer und
Yahya Hassan. Der 18-Jährige schreibt Gedichte über seinen prügelnden
Vater, die Doppelmoral islamischer Frömmigkeit, über Heuchelei und Betrug
unter Migranten. In Dänemark landete er damit einen Bestseller – er hat
viele Fans, aber auch viele Feinde. Im vergangenen Herbst wurde Hassan von
einem Islamisten angegriffen. Vor dem Interview auf der Leipziger Buchmesse
hatte uns sein Übersetzer gesagt, dass Hassan bei solchen Gesprächen häufig
einfach schweigt.
sonntaz: Herr Hassan, seitdem Sie in Kopenhagen angegriffen worden sind,
werden Sie von Leibwächtern begleitet. Haben Sie Angst vor einem weiteren
Überfall?
Yahya Hassan: Wenn man von zwei Leibwächtern umgeben ist und immer noch
Angst hat, ist man ein Schwächling. Angst ist ein natürlicher Bestandteil
des menschlichen Lebens. Sie kann auch in meinem Leben auftreten. Früher
hatte ich zwei Sozialpädagogen, die auf mich aufgepasst haben, dann zwei
Polizisten, die mich als Kleinkriminellen durch die Gegend gejagt haben.
Jetzt habe ich eben zwei Leute vom polizeilichen Geheimdienst, die mich
ständig begleiten.
Werden die eigentlich irgendwann zu Freunden?
Nein. Es gibt manche Leute, die sind netter als andere. Aber es ist nun mal
ihr Job, den sie machen.
Radikale Muslime sind wütend über Ihre Gedichte, ebenso manche Ihrer
Verwandten und Bekannten. Kannten Sie den Mann, der Sie im vergangenen
November angegriffen hat?
Ich möchte zunächst klarstellen, dass ich radikale Islamisten verabscheue,
genauso wie ich Rechtsextreme verabscheue. Ich habe mit keinem von ihnen
etwas gemeinsam und ich kenne auch den Täter nicht, der mich überfallen
hat.
Sie sagen, Sie verabscheuen Rechtsextreme. Die versuchen Sie aber auch zu
vereinnahmen, in Ihren Gedichten bestätigen Sie deren Vorurteile. Migranten
erscheinen darin als faul und gewalttätig, als Gauner, die den Staat
ausnehmen. Finden Sie das nicht problematisch?
Ich bin ein Dichter, der eine Gedichtsammlung geschrieben hat. Dafür stehe
ich zur Verantwortung, für meine Gedichte. Ich bin nicht verantwortlich für
ihre Auslegung durch meine Leser. Ich möchte ein Beispiel anführen. Wenn
ich dir ein Messer schenke, mache ich das vielleicht, weil ich weiß, dass
du gern kochst. Wenn du nun das Messer aber nimmst und damit jemanden
bedrohst oder niederstichst, dann ist das nicht meine Schuld, nur weil ich
dir das Messer geschenkt habe. Das ist eine Entscheidung, die du selbst
triffst. Und wenn ich dir das Messer gegeben hätte, damit du einen Freund
erstichst, der mir Geld schuldet, und du dem zustimmst, dann ist das auch
nicht meine Schuld. Du findest selbst heraus, was für dich richtig ist.
Aber die Gedichte stammen aus Ihrer Feder, sie werden zudem als
autobiografisch beworben. Tut es Ihnen nicht weh, wenn man sie missbraucht?
Ich kann nur sagen, dass ich dem nicht zustimme, was Leute mit mir machen.
Damit ist meine Arbeit getan. Wenn ich dir eine Rolle Klopapier gebe, dann
ist es doch egal, ob du dir den Hintern damit abwischst oder den Boden
putzt.
Es handelt sich aber nicht um eine Rolle Klopapier, die Gedichte sind doch
ein Teil von Ihnen …
… nein, sie sind ein Produkt. Wenn die Leute sich mit mir beschäftigen,
dann geht es um mein Buch, nicht um mein Herz. Ich kann die Assoziationen
des Lesers nicht steuern. Ich könnte auch einfach einen Kringel auf ein
Papier malen und sagen, das ist ein Pferd und du musst jetzt finden, das
ist ein Pferd. Aber vielleicht erkennst du das Pferd gar nicht und siehst
in diesem Kringel etwas ganz anderes. Das ist dasselbe, wie wenn ich ein
Buch schreibe und dir sage, dass es besonders islamkritisch, systemkritisch
oder sonst irgendwas sei. Aber so geht das nicht. Die Bedeutung des Buchs
bestimmen das Leben und der Geschmack jedes einzelnen Individuums.
Ein Messer ist eine Waffe. Klopapier so ungefähr das Geringste, das sich im
Supermarkt kaufen lässt. Fast schon Abfall. Wenn Hassan seine Gedichte
derart vergleicht, klingt seine Stimme noch dunkler und härter, als würde
er die Sätze tief aus sich herauspressen.
Manche Ihrer Gedichte erwecken den Eindruck, Sie würden Ihre Probleme
allein darauf zurückführen, wie Ihre Eltern mit Ihnen umgegangen sind. Ist
das nicht etwas einfach?
Natürlich trage ich selbst die Verantwortung für die Straftaten, die ich
begangen habe, ich habe eine Verantwortung dafür, dass ich Leute
zusammengeschlagen habe. Aber ich kann nichts dafür, dass mein Vater
gewalttätig war, dafür, dass er ein sozialer Betrüger ist.
Und die Gesellschaft ist von jeglicher Verantwortung frei?
Es gibt Leute, die sitzen im Supermarkt an der Kasse, und es gibt Leute,
die sammeln den Müll von der Straße auf. Wir haben Rechtsanwälte, wir haben
Gefängnisaufseher, sie alle tragen eine gewisse Verantwortung für etwas.
Aber es ist nicht die Schuld der Gesellschaft, dass mein Vater gewalttätig
und machtsüchtig ist. Es gibt Dinge, für die du selbst einstehen musst, es
sei denn, du hast ein besonders gutes Verhältnis zur Opferrolle.
Ihre Eltern sind aus kriegsähnlichen Zuständen in Palästina geflohen. Sie
waren womöglich traumatisiert. Haben Sie dafür keinerlei Verständnis?
Mir geht es nicht um die Probleme, die die Generation meiner Eltern gehabt
hat, sondern um die Probleme, die sie geschaffen hat. Sie schlagen ihre
Kinder, indoktrinieren sie religiös, betreiben sozialen Betrug und wollen
nicht mit Menschen interagieren, die anders sind als sie. Sie verschärfen
die Spaltung zwischen der muslimischen Gemeinschaft und der
Mehrheitsgesellschaft.
Es gibt ein Gedicht, in dem Sie über einen kleinen Bruder schreiben, der
Bettnässer war. Sie beschützen ihn, indem Sie sein Laken verstecken. Gibt
es diesen Bruder wirklich?
Das Buch ist auf der Grundlage meines Lebens geschrieben, meiner eigenen
Erfahrungen, meiner Gedanken und meiner Gefühle.
Stimmt es, dass Ihre Mutter sich von Ihnen losgesagt hat?
Ja, es stimmt, dass es bestimmte Teile der Familie gibt, mit denen ich
nicht rede.
Und zu wem aus Ihrer Familie haben Sie mittlerweile noch Kontakt?
Das hat hier keine Relevanz.
Sie haben einige Jahre in Besserungsanstalten verbracht. Haben Sie dort
Leute getroffen, die ähnlich empfinden wie Sie?
Ganz bestimmt, ja.
Sind Sie in diesen Anstalten zu einem glücklicheren Menschen geworden?
Das würde ich auf keinen Fall sagen. Dort geschehen Dinge … das ist eine
andere Zeit gewesen. Ich weiß nicht genau, was Glück eigentlich ist.
An den Wänden unserer Kabine stehen in schmalen Regalen Kartons und Bücher
des Verlags. Yahya Hassan reißt einen der Kartons auf, nimmt ein
Plastiktütchen heraus und öffnet auch das. Ein kleiner Spielzeugpilz ist
darin, mit dem spielt Hassan ab jetzt. Dabei gähnt er oft und räkelt sich,
seine Augen suchen nach etwas, das interessanter ist, als wir es sind.
Sie haben doch in der Besserungsanstalt angefangen, Gedichte zu schreiben.
Nein, ich habe auch vorher schon geschrieben.
Aber wir haben doch über Sie gelesen …
Sie lesen zu viel.
In der vom Verlag verbreiteten Biografie steht, Yahya Hassan habe das
Schreiben in der Anstalt gelernt.
Stimmt denn die Geschichte, dass eine Lehrerin Sie zum Lesen animiert hat?
Also, ich habe immer schon gelesen und geschrieben, auch bevor ich diese
Lehrerin getroffen habe. Sie hat mir Bücher geschenkt. Aber es gibt jede
Menge anderer Leute, die mir Bücher geschenkt haben.
In einem Ihrer Gedichte gibt es die Andeutung, Sie hätten mit Ihrer
Lehrerin eine Affäre gehabt.
Ich weiß nicht, wie das Gedicht auf Deutsch erschienen ist und was da
drinsteht.
Das war zu viel. Hassan fragt uns, ob wir von einer Boulevardzeitung
kommen. Warum uns solche persönlichen Dinge interessieren. Wir entgegnen,
dass wir uns solche Fragen stellen bei jemandem, der sagt, er schreibe auf
der Grundlage persönlicher Erfahrungen. Wir fragen ihn, ob er das Gespräch
als unangenehm empfindet. Er richtet sich auf, schüttelt den Kopf. Es kann
weitergehen.
Sie sagen häufig, Sie bewundern Dostojewski. Wie kommt man als Jugendlicher
auf die Idee, Dostojewski aufzuschlagen?
Das kommt ganz darauf an. Ich habe verschiedene Sachen gelesen. Habe ich
immer schon gemacht.
Lyriker sind selten erfolgreich. Warum haben Sie sich entschieden, Gedichte
zu schreiben und nicht zum Beispiel einen Roman?
Ich habe angefangen, mit dreizehn Jahren Rapmusik zu machen. In meiner
Nachbarschaft gab es verschiedene Rap-Workshops, ich habe mich da
angemeldet. Das hat sehr viel Spaß gemacht, auch der Rhythmus und die
Musik. Aber mit der Zeit wurde mir das zu oberflächlich, karikierend. Die
ganze Zeit einen auf hart zu machen, die Goldketten, das Geld, das Hasch
und die Frauen, das hat mir irgendwann nicht mehr so gefallen. Ich habe
einfach weiter meine Texte geschrieben, aber ich habe sie nicht mehr
aufgenommen. Nach und nach wurden diese Texte zu kleinen Erzählungen, mein
Ausdruck wurde präziser, und dann waren es halt Gedichte. Das war keine
bewusste Entscheidung.
Mit Rap könnten Sie ein jüngeres Publikum erreichen.
Zu meinen Lesungen kommen eigentlich sehr viele junge Leute, genauso wie
die älteren. Mein Publikum ist sehr gemischt.
Was unterscheidet einen Rap-Song von einem Gedicht?
Das Dichten hat nicht diese Dogmen, wie es sie in der HipHop-Kultur gibt.
Dazu braucht man sich nur einige Rap-Videos anschauen, sie funktionieren
alle nach demselben Schema. Die Dichtung ist freier. Es gibt Autofiktion,
es gibt Gedichte, die eher sprachlich ausgerichtet sind und inhaltlich
nicht viel mitzuteilen haben, es gibt welche, die sich nur gut anhören
sollen. Ich sage nicht, dass das Dichten frei von Dogmen ist. Aber es hat
mehr Formen, es ist weniger restriktiv als Rap-Musik.
Mittlerweile sind Sie ein Star in Dänemark. Begreifen Sie sich als Vorbild?
Nein, das tue ich nicht. Nur weil ich jetzt irgendein Dichter geworden bin
und weil manche Leute meinen, ich sei erhoben worden zu irgendetwas
anderem, Höherem, bin ich das dennoch nicht. Ich mache ja auch jede Menge
anderer Sachen, die moralisch vielleicht nicht immer so korrekt sind. Also,
ich bin nicht besser als andere. Nur eine Person, die Gedichte schreibt.
Ich kann ungeachtet dessen auch straffällig sein oder rauschgiftabhängig.
Fühlt es sich noch immer ungewohnt oder sogar seltsam an, dass es so viele
Menschen gibt, denen es etwas bedeutet, was Sie geschaffen haben?
Das müssen die Leute mit sich ausmachen, was für sie wichtig ist.
Neu für Sie ist auch, sich im Literaturbetrieb zu bewegen. Der gilt als
ziemlich elitär. Kommen Sie sich da wie ein Außenseiter vor?
Ich bewege mich nicht so sehr in diesen literarischen Kreisen. Dass ich zur
Elite gehören wollte, ist ja nicht der Grund dafür, dass ich Gedichte
geschrieben habe. Diese Gemeinschaften sind nicht so unbedingt meine Sache.
Als eine Person, die in der Öffentlichkeit Bekanntheit gewonnen hat, kann
man natürlich ab und an das Gefühl haben, dass man eine Art Giraffe ist,
die die Leute besuchen und sehen möchten.
Sie schreiben über die sozial schwachen Migranten von Aarhus. Es gibt auch
eine weiße, urdänische Unterschicht. Was unterscheidet die zwei Gruppen?
Ich kann da nicht so richtig sagen, ob es einen Unterschied gibt, weil ich
diese Leute aus der weißen Unterschicht, wie ihr das nennt, nicht kenne.
Aber wenn ich darüber nachdenke, könnte man sagen, dass die religiöse
Indoktrination wahrscheinlich milder ist. Aber was Kriminalität,
Gewalttätigkeit und sozialen Betrug angeht, so glaube ich nicht, dass es da
einen Unterschied gibt. Das ist ja nichts, was den Muslimen vorbehalten
ist. Das ist nichts, was irgendeine Farbe hat. Das kann an verschiedenen
Orten, überall, vorkommen. Deshalb schreibe ich darüber, wo ich herkomme.
Es gab in Aarhus also keine Berührungspunkte, keine Kontakte in der Schule,
keine Freundschaften zwischen den armen ethnischen Dänen und der Schicht,
aus der Sie kommen?
Nicht so wirklich. Als ich älter wurde, hatte ich Freunde auf beiden
Seiten. Die dänischen Freunde, das waren eher die, mit denen ich zusammen
Bücher gelesen habe. Aber das waren nicht Leute, die man so
zusammengebracht hat. Wenn man mit Dänen zusammen gesehen worden wäre,
hätten die Araber gesagt, was machst du denn mit den Dänen? Was machst du
mit den Ungläubigen? Die Leute reden so viel von Rassismus gegenüber
Ausländern oder Flüchtlingen. Aber der Rassismus ist in der anderen
Richtung genauso groß. Ich habe also eine Art Doppelleben geführt. Ich
hatte Freunde, die Dänen waren, und ein paar Kriminelle, die Araber waren.
Meine Mutter hat immer gesagt: Such dir einen glaubwürdigen arabischen
Freund. Das hat mein Vater auch immer gesagt.
Bedeutet Ihre Kritik am Islam denn, dass Sie jede Form von Religion
ablehnen?
Was mich selbst anbetrifft, ja. Aber mir ist es egal, woran die Leute
glauben. Ob an Allah, den Weihnachtsmann oder an Dick und Doof. Nur sobald
ihr Glaube sie zu merkwürdigen und verschrobenen Personen macht, habe ich
ein Problem damit.
Vielen Dank für das Interview.
Schon okay.
Er steht auf und geht. Sein Übersetzer sagt, Yahya Hassan habe heute einen
guten Tag.
6 Apr 2014
## AUTOREN
Fatma Aydemir
Daniel Schulz
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