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# taz.de -- Tanzen gegen Rechts: Tolerant gegen Nazis
> Mit einer Technoparade wollte Marzahn ein Zeichen gegen Nazis setzen.
> Statt der angekündigten 5.000 Teilnehmer kamen nur wenige hundert.
Bild: Viele sind nicht hier, um Gesicht zu zeigen, sondern um zu tanzen
Die Männergruppe ist angetrunken, einer von ihnen torkelt schon eher, als
dass er tanzt zu der Musik, die aus dem Wagen vor ihm über die Straße
hämmert. Sie tragen T-Shirts mit großen Aufdrucken der in rechten Kreisen
beliebten Bautzener Marke Yakuza. Wegen der Musik seien sie hier, sagen
sie.
Ob ihnen denn die politische Botschaft hinter der Veranstaltung, dass
Marzahn-Hellersdorf mehr zu bieten habe als Neonazis, gefalle? Erst grinsen
sie verschwörerisch, dann bricht einer von ihnen in spöttisches Lachen aus.
Ob sie denn selbst was gegen Nazis hätten? „Jedem das Seine“, grölt einer
von ihnen zur Antwort, der Rest lacht.
Eine Parade gegen Rechtsextreme, auf der Rechtsextreme tanzen? So etwas
geht in Marzahn-Hellersdorf, und dass das möglich ist, hat viel mit der
Ausrichtung und Organisation dieser Veranstaltung zu tun. Aber der Reihe
nach: Eingeladen zu der Spaceparade genannten Veranstaltung mit dem Motto
„Mehr Liebe Wagen“, die an diesem Samstagnachmittag über die Allee der
Kosmonauten zieht, hat das Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der
Vielfalt Marzahn-Hellersdorf.
Das ist ein langer Name, und das hat einen Grund: Dass Marzahn-Hellersdorf
2009 im Rahmen einer Initiative des Bundesfamilienministeriums als Ort der
Vielfalt ausgezeichnet wurde, trägt der Bezirk immer noch gern vor sich
her. Dem Image als Neonazihochburg soll so etwas entgegengesetzt werden.
## Der Bezirk verharmlost rechtsextreme Strukturen
Das ist auch erklärtes Ziel der Spaceparade. Rechtsextreme Demonstrationen
seien „ohne Zweifel ein Teil der Realität in diesem Bezirk“, heißt es in
dem Aufruf, gleich gefolgt von der Ergänzung „wie auch an vielen anderen
Orten in Deutschland“. Neben „sogenannten besorgten Bürgern“ gebe es aber
auch „auch Menschen, die JA sagen zu einer Gesellschaft, in der Menschen
ihre Lebensentwürfe selbst gestalten können, Mitbestimmung und Solidarität
im Mittelpunkt stehen“.
Die bezirkliche Arbeit gegen rechts hat in Marzahn-Hellersdorf, anders als
etwa in Treptow-Köpenick, keinen besonders guten Ruf unter Menschen, die
sich vor Ort gegen Neonazis engagieren. Dem Bezirk gehe es vor allem um
Imagepflege, lautet der Vorwurf, das Problem gefestigter rechtsextremer
Strukturen sowie eines rassistisch geprägten Alltags in Marzahn-Hellersdorf
werde deswegen immer wieder verharmlost.
Ein Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist der von Thomas
Bryant. Bryant ist seit Oktober 2015 Integrationsbeauftragter im Bezirk,
schon vorher war er als Leiter der bezirklichen Koordinierungsstelle für
Demokratieentwicklung, getragen von der SPD-nahen Stiftung SPI, eigentlich
ein wichtiger Zuständiger für den Bereich Rechtsextremismus. Die
Spaceparade sei im Wesentlichen seine Initiative gewesen, erzählt Bryant am
Anfang. Dass sich statt der angekündigten 5.000 Teilnehmer nur wenige
hundert Menschen eingefunden haben, zu Beginn sogar noch deutlich weniger,
stört ihn nicht.
Ende der 90er gab es schon einmal Spaceparaden auf der Allee der
Kosmonauten, damals vor allem von Jugendfreizeiteinrichtungen und Schulen
veranstaltet. Jetzt gehe es darum, zu zeigen, dass „Demokratie auch Spaß
machen kann“, sagt Bryant, der sich für den Anlass mit weißem Outfit,
goldenen Turnschuhen und Sonnenbrille ausgestattet hat und zum Auftakt ein
fünfminütiges selbst geschriebenes Gedicht vorträgt.
## Viele kommen nur wegen der Musik
Die Parade selbst ist dreigeteilt: Im vorderen Teil laufen Menschen wie die
junge Frau mit schwarzem Pferdeschwanz, dünn gezupften Augenbrauen und
Plüschrucksack in Einhornform, die sich als „Fabii mit Doppel-i“ vorstellt.
Auf die Frage, warum sie hier ist, reißt sie die Arme hoch und schreit
„Techno!“
Auch die anderen TeilnehmerInnen hier geben an, wegen der Musik gekommen zu
sein, viele kennen die DJs, die hier auflegen, persönlich. Wegen der
politischen Ausrichtung sei hier keiner da, sagt Matthias aus Bernau,
schlecht findet er es aber auch nicht, gegen Nazis zu sein. Hier ist es am
vollsten, rund 100 Menschen tanzen hinter den ersten beiden Wagen.
In der Mitte der langen Parade ist es fast völlig leer. Hier fahren die
Wagen vom Anti-AfD-Bündnis Aufstehen gegen Rassismus, von der
Volkssolidarität oder von dem deutsch-arabischen Nachrichtenprojekt Amal.
Es ist der einzige Ort des langen Zugs, wo der Charakter als politische
Veranstaltung deutlich erkennbar ist, und der einzige, an dem nicht nur
weiße Menschen unterwegs sind.
Am Ende der Parade ist die Musik härter, das Publikum angetrunkener als
vorne. Hier mischen sich die Männer und Frauen in Yakuza-Kleidung, von
denen viele die Parade am Anfang noch vom Bürgersteig gegenüber beobachtet
hatten, unter die Teilnehmer. Ob er wisse, dass auch Angehörige der rechten
Szene auf der Parade feiern? Ja, sagt Bryant: „Ich habe ein paar gesehen,
aber die sind friedlich und tanzen mit.“
Ob er wirklich kein Problem darin sehe? „Nein, wenn die hier tanzen, stehen
sie ja zumindest für diese paar Minuten auch für Vielfalt ein.“ Im Übrigen
habe er da doch gar keine Verantwortung, sollte sich jemand gestört fühlen,
könne er ja selbst zur Polizei gehen. Ob nicht Ansagen gemacht werden
könnten von den Wägen, um klarzustellen, dass Menschen aus der rechten
Szene hier nicht erwünscht sind? „Das wäre nicht mehr tolerant“, wirft
Bryants Begleiterin ein. Er lässt es unwidersprochen.
16 Jul 2017
## AUTOREN
Malene Gürgen
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