# taz.de -- Integration von Flüchtlingen in Marzahn: Ein Glücksfall | |
> Martin Zoonobi ist aus dem Iran geflüchtet und spielt nun Fußball beim 1. | |
> FC Marzahn. Das ist dort keine große Sache: „Fußball für alle“ lautet … | |
> Slogan des Clubs. | |
Bild: Martin Zoonobi vor dem Logo des Marzahner Clubs | |
Martin Zoonobi wartet, bis er an der Reihe ist. Sein Fuß ruht auf dem Ball, | |
die Hände hat der schmale Mann mit den kurzen Haaren in die Hüften | |
gestemmt. Dann dribbelt er los, läuft auf das Tor zu, schießt – und der | |
Ball geht in der unteren linken Ecke ins Tor. Seit etwa einem Jahr | |
trainiert Martin Zoonobi beim 1. FC Marzahn 94: Seit er mit seiner Familie | |
aus einer Flüchtlingsunterkunft in Köpenick ausgezogen ist und in der Nähe | |
des S-Bahnhofs Ahrensfelde eine Wohnung gefunden hat. | |
Eine Stunde vorher. Zoonobi betritt die Terrasse des Vereinsheims. „Die | |
Jungs haben gesagt, ich soll nächste Woche beim Turnier spielen“, ruft er | |
Tino Streuffert zu, dem zweiten Vorsitzenden des Vereins. „Klar“, antwortet | |
dieser. „Da gibt es das ganze Programm: spielen, grillen, trinken!“ Die | |
beiden lachen. | |
Zoonobi stammt aus der Stadt Schiras im Süden Irans. „Da habe ich auch | |
schon Fußball gespielt“, berichtet er. Vor zwei Jahren floh er mit seiner | |
Frau und den beiden Kindern nach Deutschland. In Berlin ließ er sich taufen | |
– im Iran hätten darauf Folter oder sogar die Todesstrafe gestanden. Nur | |
historisch verwurzelte Gruppen wie etwa die armenischen Gemeinden haben | |
dort gewisse Rechte. Konvertiten sowie deren Nachfahren hingegen werden | |
verfolgt und sind gezwungen, ihren Glauben im Geheimen auszuführen. | |
Beim 1. FC Marzahn 94 nennen ihn viele der Jungs, mit denen Zoonobi jede | |
Woche kickt, „Momo“. Das ist die Kurzform des Vornamens, den er bei seiner | |
Taufe abgelegt hat: Mohammed Ali. Jetzt heißt er Martin. Auf seiner Brust | |
baumelt im Ausschnitt des geöffneten Hemds eine Kette mit einem | |
Kreuzanhänger. Zoonobi strahlt. „Mein Deutsch ist noch nicht so gut“, sagt | |
er, „aber es wird besser. Und notfalls mit Pantomime.“ Dann verschwindet er | |
Richtung Umkleidekabine. | |
„Der Momo ist für uns ein Glücksfall, sowohl fußballerisch als auch | |
menschlich“, sagt André Krause-Hofses, dritter Vorsitzender des Vereins und | |
Trainer der Zweiten Herrenmannschaft. „Der ist inzwischen fester | |
Bestandteil der Mannschaft.“ Am Anfang habe Zoonobi auch als Freiwilliger | |
bei der Bewirtschaftung des Platzes geholfen: „Rasen gemäht, sich um die | |
Bälle gekümmert, so was“, sagt Krause-Hofses. „Da war sein Asylverfahren | |
noch nicht durch. Er durfte nicht arbeiten und hatte den ganzen Tag nichts | |
zu tun. Da hat er gefragt, ob er hier helfen kann“, ergänzt Streuffert. | |
Jetzt ist Zoonobi auf Jobsuche. Beim Grillen nach dem Heimspiel oder beim | |
Zusammensitzen nach dem Training ist er trotzdem immer dabei. „Momo ist | |
beliebt in der Mannschaft“, sagt Streuffert. | |
## Alle spielen eben Fußball | |
Der Fußballverein, in dem auch Geflüchtete spielen – es ist eins der fast | |
schon zu klischeehaften Idealbilder funktionierender Willkommenskultur. | |
Besonderen Wirbel macht der 1. FC Marzahn 94 um sein Engagement aber nicht. | |
Nirgends ein „Refugees Welcome“-Banner, keine Einträge auf der Webseite | |
oder große Medienberichterstattung, keine Anträge auf Fördergelder. „Der | |
Slogan unseres Vereins lautet schon von jeher: ‚Fußball für alle‘“, bet… | |
Streuffert. Und so spielen sie halt Fußball. | |
Geflüchtete mit solch einer fast schon banalen Selbstverständlichkeit in | |
den Spielalltag zu integrieren, das ist kein Regelfall in einem Bezirk wie | |
Marzahn-Hellersdorf. 13,9 Prozent der AnwohnerInnen haben hier einen | |
Migrationshintergrund, der Ausländeranteil liegt bei 5,9 Prozent – mit | |
beiden Werten belegt der Bezirk berlinweit den vorletzten Platz. | |
Was hingegen hoch ist, ist die Zahl rechtsextremer und rassistischer | |
Aktivitäten. „Ich erinnere mich noch gut an die Montagsmahnwachen“, sagt | |
Krause-Hofses. Auch bei ihnen zu Hause seien diese von Neonazis initiierten | |
Protestmärsche gegen Flüchtlingsheime vorbeigelaufen. Der Verein sei von | |
Anfeindungen aber verschont geblieben. | |
Etwa 280 Mitglieder hat der 1. FC Marzahn 94, etwa ein Viertel davon hat | |
Migrationshintergrund, schätzt Streuffert. „Wir haben hier viele | |
Vietnamesen, Russen und Leute aus den baltischen Staaten.“ Der Verein will | |
offen sein für alle und wählt seine Mitglieder nicht nach Leistung aus. | |
„Deswegen haben wir auch gerade bei den Jugendlichen viele aus sozial | |
schwachen Familien“, sagt Streuffert. „Die trainieren wir nicht nur, die | |
betreuen wir bis zu einem gewissen Grad auch.“ Etwa die Hälfte der | |
Jugendlichen begleiche die Mitgliedsbeiträge über Bildungsgutscheine vom | |
Jobcenter. | |
## Aktiv bei der Integration | |
Auch im Hellersdorfer FC spielen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung | |
gemeinsam Fußball. Ende 2015 schauten dort ein paar Kinder mit Interesse | |
am Fußballspielen aus einer nahe gelegenen Unterkunft vorbei. Anfang 2016 | |
entschied sich der Verein dann aktiv dafür, Geflüchtete ins Training zu | |
integrieren, beantragte Fördergelder, unter anderem beim Landessportbund. | |
Auch der Berliner Fußballverband sei auf sie zugekommen, sagt Gabriel | |
Preuß, Vorsitzender des Hellersdorfer FC. | |
„Wir sind da ein bisschen blauäugig reingeschlittert“, sagt Preuß. „Wir | |
hatten eine Person, die das hauptamtlich gemacht hat. Aber bald war die | |
Nachfrage so groß, dass das für einen allein nicht mehr zu schaffen war.“ | |
Seitdem gibt es für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen einen eigenen | |
Spieltermin. „Aber Kinder, die nicht nur Lust auf ein bisschen Kicken mit | |
Freunden haben, sondern richtig Fußball spielen wollen, integrieren wir | |
schrittweise in den normalen Spielbetrieb.“ | |
Anfangs habe es durchaus Ressentiments gegeben, vor allem unter den Eltern, | |
erzählt Preuß. „Die haben sich darüber beschwert, dass ihr Kind zahlen | |
muss, während die geflüchteten Kinder kostenfrei spielen können.“ Einmal | |
habe ein Jugendlicher auch „nicht so freundliche Worte“ den geflüchteten | |
Mitspielern gegenüber in den Mund genommen. „Aber wir haben da als Verein | |
gut drauf reagiert“, findet Preuß: Der Jugendliche sei des Platzes | |
verwiesen und später vom Vorstand zur Rede gestellt worden. | |
„Ich hätte erwartet, dass gerade von der ‚Laufkundschaft‘, also von den | |
Anwohnern, mehr über den Zaun gerufen wird“, sagt Preuß. Aber auch da habe | |
es nur einen Fall gegeben, ganz zu Anfang. Inzwischen trainieren knapp 40 | |
geflüchtete Kinder und 15 Erwachsene im Verein, viele davon wohnten in der | |
gerade leergezogenen Notunterkunft Ruschestraße in Lichtenberg. | |
## Ein Mannschaftssport | |
Auch beim 1. FC Marzahn 94 ist Martin Zoonobi nicht der einzige | |
Geflüchtete, der auf dem Platz des Vereins Fußball spielt. Bei den Ersten | |
Herren kommt einer der Spieler ursprünglich aus dem Irak. Es seien mal mehr | |
Spieler gewesen, sagt Streuffert. Einige seien inzwischen in anderen | |
Bundesländern, andere hätten mit dem Training aufgehört. Auch bei den | |
Jugendlichen spielen Kinder aus geflüchteten Familien, die in der kürzlich | |
eröffneten Unterkunft in der Wittenberger Straße wohnen. | |
Eine Spielzeit pro Woche hat der Verein einer Gruppe von Jugendlichen und | |
jungen Erwachsenen aus der zwei Kilometer entfernten Notunterkunft | |
Bitterfelder Straße überlassen. Damit habe es auch angefangen, sagt | |
Streuffert. Die Volkssolidarität habe als Betreiber der Unterkunft damals | |
angefragt, und montags sei noch ein Zeitfenster frei gewesen. Der Verein | |
habe das Team dann mit aussortierten Trikots ausgestattet, und das Training | |
konnte losgehen. „Das ist ein tolles Erlebnis für die Jugendlichen“, sagt | |
Streuffert. | |
Auch für die Erwachsenen kommt beim Training mehr heraus als nur sportliche | |
Betätigung. „Am Anfang haben Momo und ich uns noch viel über das Smartphone | |
verständigt, da konnte er eine App zum Übersetzen benutzen“, sagt | |
Streuffert. Heute sei das nicht mehr nötig. Und nicht nur sprachlich helfe | |
das Training beim Ankommen: „Fußball ist ein Mannschaftssport. Einer allein | |
kommt da nicht weit“, so Streuffert. „Man muss sich einbringen und | |
aneinander anpassen.“ | |
27 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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