Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kultur in Berlin-Marzahn: Kino fast so wie auf dem Campingplatz
> Klappstuhl mitbringen! Das kostenlose Freiluft-Kino in
> Marzahn-Hellersdorf bringt Nachbarn zusammen und Menschen von außerhalb
> in den Bezirk.
Bild: Kino von oben: Sicht auf den Cecilienplatz in Berlin-Marzahn
Rote, weiße, graue und blaue Plattenbauten umzingeln den Cecilienplatz in
Marzahn-Hellersdorf. Auf dem Platz selbst warten um die dreihundert
Menschen auf den Einbruch der Dunkelheit. Es ist Freitagabend, gegen 20
Uhr. Die Menschen sitzen in kleinen Grüppchen oder nebeneinander aufgereiht
auf Camping- oder Gartenstühlen, auf ausgewaschenen Stuhlkissen mit blauem
oder rotem Blumenmuster-Bezug.
Die Leute, jung oder alt, dazwischen eher weniger, starren auf die noch
leere Leinwand, trinken rosa Sekt aus pinken Plastikbechern mit Stiel oder
Bier aus dem Becher. Es riecht nach dem, wonach es beim Camping eben
riecht: Pommes frites und Wurst vom Grill. Dabei geht es hier nicht um
Camping, sondern um Kino. Genauer gesagt: um Balkon-Kino.
Die städtische Wohnungsbaugenossenschaft Stadt und Land veranstaltet das
Hellersdorfer Open-Air-Kino in diesem Jahr zum 23. Mal. Früher in der
Stendaler Straße, seit 2005 auf dem größeren Cecilienplatz. „1994 war das
eine von vielen Maßnahmen zur Mieterbindung“, sagt Anja Libramm von Stadt
und Land. „Das Problem haben wir jetzt nicht mehr, der Leerstand liegt
mittlerweile unter 2 Prozent.“ Aber stabile Nachbarschaften, besonders in
den Ferien, zu denen nicht jede Familie wegfahren kann, seien immer noch
wichtig.
Von Ende Juli bis Mitte August werden an vier aufeinander folgenden
Freitagabenden je ein deutscher, ein englischer, ein französischer und ein
US-amerikanischer Film gezeigt.
Das Prinzip des Balkon-Kinos: Jeder bringt sich einen eigenen Stuhl mit
oder guckt eben vom Balkon aus. Aber: „Hier geht es nicht nur darum, einen
Film zu schauen, sondern auch um das nachbarschaftliche Miteinander, um den
Austausch“, wie ein Besucher erklärt.
## Elvis, und ganz viel griechischer Wein
Bevor das kostenlose Kino-Erlebnis beginnt, gibt es immer noch eine
Livemusikeinlage zur allgemeinen Erheiterung. Die Sonne versinkt langsam
hinter dem Hochhauspanorama, der Soundtrack der Szene: „Ein Brief von
unsern Nachbarn, darin steht, wir müssen raus! Sie meinen, du und ich, wir
passen nicht in dieses ehrenwerte Haus.“ Udo Jürgens’
gesellschaftskritischer Schlager-Hit, gecovert von den „Cherry Dolls“. Das
sind Vanessa, Gina und Sally.
Die drei tänzeln im pinken, schwarzen und goldenen Rüschenkleid neben der
blanken Leinwand her und animieren das wartende Publikum mit einem „extra
für Hellersdorf zusammengestellten Repertoire“ aus Schlagern und
Evergreens: Elvis, Atomic Kitten und ganz viel griechischer Wein.
Ein Mann, schwarze Hose, weißes Hemd, darunter ein sympathischer, nicht
unbeträchtlicher Bauch, von einer der Sängerinnen „Papa“ genannt, steht
neben der Musikanlage unter einem Hüpfburg-Dach und begleitet die drei
Damen musikalisch. Und das gar nicht mal so schlecht. Je später der Abend,
desto mehr Alkohol scheint geflossen und desto besser zieht die Musik.
## Nicht nur Menschen aus Marzahn
21 Uhr: Es wird vorfreudig geschunkelt, manchmal sogar verhalten getanzt.
Dabei ist aufstehen und sich bewegen nicht mehr so einfach, denn es wird
langsam eng. Seit 19 Uhr sichern sich die Zuschauenden Plätze in den ersten
Reihen. Als es endlich dämmert, ist der Cecilienplatz bis zu den Stufen am
hinteren Ende mit klapprigen Sitzgelegenheiten und plaudernden Gruppen
gefüllt. Um die sechshundert Menschen besuchen die Veranstaltung.
Einer Frau gefällt ihr Platz in der letzten Reihe nicht. Mit den Worten:
„Ich probier’s noch mal woanders, ich bin ja ziemlich klein“, und dem dam…
verbundenen Vorwurf an die Menschen vor ihr: „Bis eben konnte ich ja noch
ziemlich gut gucken“, schleift sie ihren Stuhl hinter sich her. Keine
Chance. Kaum zwei Minuten später stehen sie und ihr Stuhl wieder auf dem
alten Platz. „Man muss eben früh kommen, wenn man gleich vor der Leinwand
sitzen will“, sagt ihre Sitznachbarin und reicht ihr eine Tube
Mückenschutz.
Aber nicht nur Menschen aus der Hellersdorfer Nachbarschaft sind zum
Filmschauen gekommen. „Wir kommen aus Friedrichshain“, sagt der 25-jährige
Steffen Landwehr. Er ist mit seinen Eltern hier. „Das ist eine coole
Aktion“, findet er. Seine Mutter hat von der Veranstaltung in der Zeitung
gelesen – vor fünf Jahren. „Wir kommen immer wieder“, sagt sein Vater. �…
Mama guckt dann im Programm, so suchen wir uns die spannenden Filme raus.“
Die Familie hat sich auf den Steinstufen am hinteren Ende des Platzes
eingerichtet. Wie bei einem Picknick sitzen Vater, Mutter und Sohn
gemeinsam auf einer Decke, trinken Bier und teilen sich Chips.
## Endlich leuchtet die Leinwand auf
Eigentlich nennt sich die Veranstaltung Balkon-Kino. Das liegt vielleicht
daran, dass einige der Plattenbauten rund um den Cecilienplatz Balkone
haben, die eine Aussicht auf den Platz zulassen. Wirklich gut auf die
Leinwand gucken kann man von dort oben aber kaum. Nur wenn man direkt an
der Brüstung steht und dann noch ein Fernglas zur Hand hat. Ein Bewohner
aus dem achten Stock des Hauses Cecilienplatz Nummer 4 hat eine der
seltenen guten Aussichten. „Aber das hier interessiert mich nicht“, sagt
er. Sein Frau steht auch nur auf dem Balkon, weil sie gerade Wäsche
aufhängt.
„Die Idee mit dem Namen: Balkon-Kino stammt noch aus den Anfängen der
Veranstaltung, in der Stendaler Straße“, sagt Libramm. „Da konnten mehr
Leute vom Balkon aus gucken.“ Aber unterhalten lässt es sich von Balkon zu
Balkon ohnehin eher schwer. Jetzt kommen die Leute mit Klappstühlen und
Picknickdecken. Einmal hatte sogar jemand sein Sofa dabei.
Nachbarschaftliches Miteinander geht so besser, gemeinsam unten auf dem
Cecilienplatz.
Kurz vor zehn wird es dann still. Es ist dunkel, und endlich leuchtet die
Leinwand auf, der Film beginnt: „Kundschafter des Friedens“.
28 Jul 2017
## AUTOREN
Ivy Nortey
## TAGS
Hochhaus
Camping
Balkon
Berlin Marzahn-Hellersdorf
Nachbarschaft
Freies Theater
Soziale Brennpunkte
Schwerpunkt Neonazis
Lesestück Recherche und Reportage
Kunst Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Theater auf dem Dorf: Geprobt wird im Kuhstall
Seit zehn Jahren bespielen Thomas Matschoß und Anja Imig einen Hof in
Wettenbostel – mit selbst geschriebenen Dramen von ernst bis albern
taz-Serie Marzahn-Hellersdorf: Ein Kaufhaus für alle
Iris Köhler hat etwas gegen das Wegwerfen von guter Kleidung und
funktionierenden Haushaltsgegenständen. Deshalb gründete sie ihr eigenes
Sozialkaufhaus in Biesdorf.
Tanzen gegen Rechts: Tolerant gegen Nazis
Mit einer Technoparade wollte Marzahn ein Zeichen gegen Nazis setzen. Statt
der angekündigten 5.000 Teilnehmer kamen nur wenige hundert.
taz-Serie Marzahn-Hellersdorf: Die Freiheit im siebten Stock
Am 8. Juli 1977 wurde die erste Platte in der Großsiedlung Marzahn gesetzt.
Brigitte und Günther Klich gehörten zu den Ersten, die eine Wohnung im
Plattenbau bezogen.
Kunst aus und in Marzahn-Hellersdorf: Wild, scheiße und trotzdem gut
Michail Fanghaenel ist in Marzahn aufgewachsen. Er arbeitet als Türsteher
in einem Technoclub und ist Fotograf. Jetzt stellt er in seinem alten
Bezirk aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.