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# taz.de -- Bedingungsloses Schleswig-Holstein: Kommunismus mit Kubicki?
> Die Jamaika-Koalitionäre einigen sich darauf, die Idee eines
> Grundeinkommens zu prüfen. Dabei stehen Konzepte von Grünen und FDP zur
> Debatte.
Bild: Haben bald viel Zeit zum Baden: Schleswig-Holsteiner am Strand.
KIEL taz | Darf das sein, soll das sein – muss es vielleicht sogar sein?
Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen ist in Schleswig-Holstein
angekommen – und zwar dort, wo in aller Regel Entscheidungen getroffen
werden: am Regierungstisch. 1.000 Euro pro Monat kassieren, nur fürs
Existieren – das klingt gut und könnte in Schleswig-Holstein in den
kommenden Jahren unter dem schwarz-grün-gelben Bündnis Realität werden.
Die Jamaika-Koalitionäre, die am heutigen Dienstag um 10 Uhr den
Koalitionsvertrag unterzeichnen, planen die Gründung einer Arbeitsgruppe.
Ab September soll sie ein Jahr lang darüber beraten, ob das bedingungslose
Grundeinkommen ein Modell für den hohen Norden sein könnte.
Außer der Tatsache, dass sich CDU, Grüne und FDP darüber Gedanken machen
werden, ist allerdings noch nichts beschlossen. Arfst Wagner, der
Landesvorsitzende der Grünen, der das Thema auf den Koalitionstisch gelegt
hat, sagt: „Alle Parteien der Koalition sehen die Notwendigkeit, darüber zu
diskutieren – und alle gehen da mit Begeisterung ran, aber ergebnisoffen.“
## Bedingungslos vs. liberal
Im Kern wird es um die Frage gehen, ob das von den Grünen favorisierte
Modell eines tatsächlich bedingungslosen Grundeinkommens vorbereitet wird –
oder eher das von der FDP goutierte „liberale Bürgergeld“. Käme das
bedingungslose Grundeinkommen, erhielten alle Schleswig-HolsteinerInnen vom
Staat monatlich einen fixen Betrag, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig
sind oder nicht. Als realistische Größe gelten 1.000 Euro, für Kinder 500 –
dafür würden alle anderen Sozialleistungen wie Hartz IV oder Kindergeld
entfallen.
Das liberale Bürgergeld wäre hingegen nicht bedingungslos; potenzielle
Empfänger müssten zumindest arbeitswillig sein. Dann kämen sie in den
Genuss diverser Zuschüsse, sodass sie – in Addition mit ihren Einkünften –
ein Leben ohne größere Abstriche führen könnten. FDP-Landeschef Heiner
Garg, künftig Sozialminister in Schleswig-Holstein, meint:
„Digitalisierung, Globalisierung und demographischer Wandel bedeuten eine
enorme Herausforderungen für alle sozialen Sicherungssysteme.“ Er sehe nun
die Chance, intensiv über die Idee des liberalen Bürgergeldes zu
debattieren.
Was letztlich rauskommt, ist völlig offen und Kernpunkt der Arbeitsgruppe,
in die neben PolitikerInnen auch gesellschaftliche Akteure eingebunden
werden sollen. Der Grüne Wagner sagt: „Die Debatte wird sich zunächst in
der vollen Breite zwischen dem FDP-Bürgergeld und dem bedingungslosen
Grundeinkommen verorten und außerdem ergebnisoffen geführt.“
Es könne sein, dass man einen eigenen Feldversuch wage oder eine Initiative
über den Bundesrat starte – möglicherweise auch beides und in Kooperation
mit der EU.
## Mehr als nur Wirtschaft
Wagner setzt sich schon lange für das bedingungslose Grundeinkommen ein; so
könne ein neuer „sozialer Gesellschaftsvertrag“ entstehen, der nicht
unterschiedliche Gruppen gegeneinander ausspiele, wie dies bei den
Hartz-Gesetzen der Fall sei.
Damit das bedingungslose Grundeinkommen funktioniere, sei es entscheidend,
nicht nur die wirtschaftliche Komponente zu beleuchten. Es gelte auch,
einen „kulturellen Transfer“ zu leisten und die Rolle der Arbeit
möglicherweise neu zu definieren. Ebenso gelte es, Bildungs- oder
Digitalisierungsfragen zu berücksichtigen, um ein paar Grundpfeiler des
bedingungslosen Grundeinkommens erfüllen zu können.
Das „Netzwerk Grundeinkommen“ führt an, dass das Grundeinkommen, „die
Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll, einen
individuellen Rechtsanspruch darstellt“, und „ohne Bedürftigkeitsprüfung
und ohne Zwang Arbeit oder andere Gegenleistungen garantierten werden“.
Birte Pauls, sozialpolitische Sprecherin der SPD, sagt zu den
Grundeinkommen-Plänen: „Wenn darunter ein staatlich finanziertes Einkommen
für alle Bürger ohne Verpflichtung zur Arbeit verstanden wird, sehe ich
diese Forderung kritisch. Ich teile die Befürchtungen vieler, dass
betroffene Menschen sich dann komplett alleine gelassen fühlen könnten.“
Doch auch Pauls meint: „Sozialsysteme müssen so gestaltet sein, dass
Empfänger von Transferleistungen nicht im Dschungel der Paragrafen
untergehen und sie in Würde behandelt werden.“
26 Jun 2017
## AUTOREN
David Joram
## TAGS
Wolfgang Kubicki
Bedingungsloses Grundeinkommen
Landtagswahl Schleswig-Holstein
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Michael Müller
Bedingungsloses Grundeinkommen
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Jamaika-Koalition
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Jamaika-Koalition
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