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# taz.de -- Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen: Ganz ohne Bombast
> In Düsseldorf präsentierten Laschet und Lindner ihren Koalitionsvertrag.
> Lindner denkt dabei vor allem an die Bundestagswahl im September.
Bild: Im Koalitionsvertrag setzt sich Armin Laschet (r.) durch. Christian Lindn…
Düsseldorf taz | Am Abend seines größten Triumphs musste Armin Laschet,
CDU-Landtagsfraktionsvorsitzender und designierter Ministerpräsident
Nordrhein-Westfalens, erst mal eine Provokation schlucken. Bei der
Landtagswahl im Mai hatten seine Christdemokraten die SPD geschlagen. Die
Liberalen feierten ihre 12,6 Prozent als Signal ihrer sicheren
Wiederauferstehung im Bund.
Für Schwarz-Gelb war damit der Weg frei – doch FDP-Chef Christian Lindner
bemühte sich um maximale Distanz: „Ich bin nicht Wunschkoalitionspartner
von Herrn Laschet und er nicht meiner“, sagte Lindner in der Elefantenrunde
der ARD am Wahlabend.
Der Wahlsieger Laschet stand daneben und lächelte peinlich berührt – fast
so, als sei Lindner ein vorlauter, aber nicht ganz ernst zu nehmender
Ziehsohn. Und tatsächlich folgte Lindners Selbstinszenierung als
jugendlicher Rebell – nichts. Gut gelaunt sind Laschet und er in nur vier
Wochen durch sieben Verhandlungsrunden marschiert. Am Freitag präsentierten
beide in Düsseldorf ihren Koalitionsvertrag.
Durchgesetzt hat sich vor allem Laschet. Ob beim Streit über das Abitur
nach 13 Schuljahren, bei den Studiengebühren, bei der von der rot-grünen
Vorgängerregierung beschlossenen Verkleinerung des Braunkohletagebaus
Garzweiler II oder Ladenöffnungszeiten rund um die Uhr – die Liberalen
konnten ihre marktfokussierten Forderungen nicht durchsetzen. FDP-Chef
Lindner scheint all das aber wenig zu stören: „Wir haben die absolute
Mehrheit verfehlt“, witzelte er nach der letzten Verhandlungsrunde.
Laschet verzichtet auf den ideologischen Bombast, mit dem Jürgen Rüttgers
2005 in die Düsseldorfer Staatskanzlei einzog – der Christdemokrat löste
nach 39 Jahren die SPD als Regierungspartei ab. Von konservativer
Symbolpolitik wie der Einführung von Reiterstaffeln bei der Polizei oder
der Verwandlung von Landstraßen in „100 Alleen“ ist bei der aktuellen
schwarz-gelben Neuauflage nichts zu hören.
## Vertrauensvolles Miteinander
CDU und FDP vertreten ein Programm, das bei einem größtmöglichen Teil der
Wählerschaft beliebt sein soll: Für Baustellen, die auf Autobahnen für
Staus sorgen, wird eine Sechs-Tage-Arbeitswoche eingeführt. Und im Kampf
gegen die belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel, die der noch
amtierende grüne Umweltminister Johannes Remmel „Bröckelreaktoren“ nannte,
gibt Laschet zumindest auf dem Papier den Atomkraftgegner.
Tihange mit seinen Tausenden Rissen im Druckbehälter liegt nur etwa 70
Kilometer Luftlinie von seiner Heimatstadt Aachen entfernt. Deutschlands
einzige Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau, die Tihange und
Doel mit Atombrennstoff beliefert, will er trotzdem nicht stilllegen.
Grund für die inhaltliche Flexibilität gerade Christian Lindners ist der
24. September. „Heute ist der einhundertste Tag bis zur Bundestagswahl“,
sagte er gleich zu Beginn der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Und das
sei „interessant“. Seinem Ziel, die Liberalen zurück in den Bundestag zu
führen, ordnet Lindner, der seit Jahren über die „Härte der
außerparlamentarischen Opposition“ klagt, fast alles unter. „Die Chance zum
politischen Wechsel nicht zu nutzen, wäre verantwortungslos gewesen“, sagte
Lindner am Freitag über die Zusammenarbeit mit dem Mann, der vor vier
Wochen nicht sein „Wunschpartner“ war.
Das „vertrauensvolle, freundschaftliche Miteinander“ der Verhandlungen
hatte Laschet schon vorher gelobt. Damit zeigt die NRW-Wahl: Ein
Zweierbündnis aus CDU und FDP, dass viele längst abgeschrieben hatten,
könnte auch bundesweit Realität werden.
## Sozialistenzausel ziehen
Denn im Bundestagswahlkampf dürfte ein noch selbstbewussterer Christian
Lindner versuchen, sich noch stärker als deutsche Ausgabe des französischen
Shootingstars Emmanuel Macron zu inszenieren. Wie in Nordrhein-Westfalen
wird sich Lindner in schnell geschnittenenen Wahlwerbeclips als Politiker
präsentieren, der gegen alle Widerstände eine Art Common Sense vertritt –
nämlich die Entlastung aller irgendwie arbeitenden WählerInnen.
Dass er mit Entbürokratisierung, Deregulierung und der Forderung nach mehr
Eigenverantwortung nur das altbekannte FDP-Programm vertritt, ist vielen
offenbar nicht aufgefallen. Gezogen hat vor allem das Charisma des
Porschefahrers – nur so ist zu erklären, dass Lindners Ankündigung, sich in
Nordrhein-Westfalen zur Wahl zu stellen, im September aber nach Berlin
verschwinden zu wollen, kaum auf Kritik stieß.
Angela Merkels CDU dürfte ihren Einsatz wie in Nordrhein-Westfalen auf die
letzten vier Wochen des Wahlkampfs konzentrieren. Armin Laschet hat
gezeigt, wie die politische Stimmung gekippt werden kann, sogar wenn die
SPD über Monate hinweg vorne liegt: mit einfachen Botschaften, die mit viel
Werbeeinsatz in die Köpfe gehämmert werden („Rot-Grün ist schlecht für
unser Land“) und notfalls mit einer Rote-Socken-Kampagne („Alarm
Doppel-Rot“).
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz braucht deshalb dringend eine stringente
Strategie, die sich an den massiven Abstiegsängsten breiter Teile der
WählerInnen orientiert. Ein Wohlfühlwahlkampf à la Hannelore Kraft
funktioniert nicht. Schulz’ nur bis 2030 reichendes Rentenkonzept geht in
die richtige Richtung, aber nicht weit genug – der Erfolg von Labour-Chef
Jeremy Corbyn zeigt, dass ein als Sozialistenzausel beschriebener Politiker
gerade bei Jüngeren, die kaum noch Hoffnung auf soziale Absicherung haben,
punkten kann.
## Links-grün vs. grün-bürgerlich
Und die Grünen? Sie müssen klarmachen, welche grüne Partei im September zur
Wahl steht – die schwarz-grün-bürgerliche aus Baden-Württemberg oder die
eher linke aus Berlin-Kreuzberg oder Niedersachsen. In Nordrhein-Westfalen
rettete erst ein „Weckruf“ an die links-ökologisch orientierte
Kernwählerschaft die um ihre parlamentarische Existenz kämpfende Partei –
und ein klares Bekenntnis zu Rot-Grün.
Voraussetzung bleibt natürlich, dass Armin Laschet am 27. Juni tatsächlich
zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Im Düsseldorfer Landtag verfügen
Christdemokraten und Liberale zusammen nur über 100 der 199 Sitze. Zu Recht
fürchtet Laschet deshalb die Frustrierten in CDU und FDP, die sich bei der
Vergabe von Ministerposten übergangen fühlen könnten – den genauen
Zuschnitt der Landesministerien will er erst nach seiner Vereidigung
bekannt geben.
Klar ist bisher nur: Die FDP wird die Bereiche Integration und Familie,
Wirtschaft und Digitalisierung besetzen und auch das Schulministerium
übernehmen.
Dass Laschet durchfällt, ist unwahrscheinlich. Wie schon bei der Wahl des
Landtagspräsidenten André Kuper dürften einige Rechtspopulisten der AfD für
den CDU-Kandidaten und damit gegen Neuwahlen stimmen – einen derartig gut
dotierten Job wie das Landtagsmandat dürften viele aus der Truppe von
Marcus Pretzell nie wieder bekommen.
17 Jun 2017
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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