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# taz.de -- Kommentar Mitarbeit Ausreisepflichtiger: Zulässiges Druckmittel
> Das Bundessozialgericht versagt einem abgelehnten Asylbewerber aus
> Kamerun das Existenzminimum. Das klingt hart, ist aber gut begründet.
Bild: Wer nicht an den Voraussetzungen für die eigene Abschiebung mitwirkt, ve…
Am Freitag hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die
Sozialleistungen für ausreisepflichtige Ausländer unter das Existenzminimum
gekürzt werden können – wenn der Ausländer die Abschiebung verhindert.
„Es ist zynisch, Menschen vor die Wahl zu stellen, entweder in Hunger,
Elend oder Krieg abgeschoben, oder unters Existenzminimum gedrückt,
entrechtet und entwürdigt zu werden.“ So kritisierte Ulla Jelpke,
Abgeordnete der Linken, das Urteil. Aber sie trifft nicht den Punkt. Der
Kläger im konkreten Fall kommt wohl aus Kamerun. Das Land ist
menschenrechtlich sicher kein Musterstaat, aber es steht auch nicht für
„Hunger, Elend und Krieg“. Der Kläger macht auch nicht geltend, dass ihm in
Kamerun Gefahr droht. Wenn es so wäre, könnte er gegen die drohende
Abschiebung klagen. Das hat er nicht getan. Er kooperiert einfach nicht bei
der Passbeschaffung und hat es so geschafft, dass er 13 Jahre nach
Ablehnung seines Asyl-Antrags immer noch in Deutschland ist.
Die Akzeptanz der Aufnahme von Flüchtlingen hängt wesentlich davon ab, dass
dabei Schutzbedürftigen geholfen wird und keine freie Einwanderung
stattfindet. Im Asylverfahren wird deshalb geprüft, ob eine Verfolgung
wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe vorliegt. Zudem wird
subsidiärer Schutz gewährt, wenn im Heimatland Krieg oder Bürgerkrieg
herrscht. Diese Prüfung macht aber nur dann Sinn, wenn auch ein negativer
Ausgang Folgen hat, das heißt, dass der abgelehnte Antragsteller
Deutschland wieder verlassen muss. Abschiebungen sind deshalb kein
Widerspruch zu wirksamem Flüchtlingsschutz, sondern ein logischer Teil
davon.
Im konkreten Fall ging es ausschließlich um die Frage, ob die Kürzung von
Sozialleistungen unter das Existenzminimum ein rechtlich zulässiges Mittel
ist, um Druck auf ausreisepflichtige Ausländer auszuüben. Die entsprechende
Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz besteht schon seit 1998, ist also
keineswegs neu. Sie war zwar schon immer umstritten, aber erst in den
letzten Jahren haben auch einzelne Gerichte die Vorschrift in Frage
gestellt.
Anlass für die aktuelle juristische Diskussion ist ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts, das erst 2012 erging. Damals wurden die extrem
niedrigen Sozialleistungen für Asylbewerber beanstandet. In diesem Urteil
heißt es: „Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber
und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen
durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu
vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter
das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die in
Artikel 1 des Grundgesetzes garantierte Menschenwürde ist
migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Die Leistungen für Asylbewerber
mussten anschließend um rund 40 Prozent erhöht werden.
Damit wurden aber Sanktionen bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten
nicht ausgeschlossen. Vermutlich wird das Bundesverfassungsgericht
unterscheiden: Es ist unzulässig, das Existenzminimum zu verweigern, wenn
dies nur der Abschreckung von anderen dient. Dagegen dürfte die Kürzung als
Sanktion im konkreten Fall zulässig sein, wenn der Betroffene sie durch
Beachtung seiner gesetzlichen Pflichten jederzeit abwenden kann. Und
natürlich macht es auch einen Unterschied, wenn der Betroffene ohne Gefahr
in seine Heimat zurückkehren könnte. Die Entscheidung des
Bundessozialgerichts ist deshalb im Ergebnis richtig.
Was rechtlich zulässig ist, muss aber nicht unbedingt gemacht werden. Das
ist eine rechtspolitische Frage. Wer aber solche Sanktionen ablehnt, sollte
Alternativen benennen. Der völlige Verzicht auf Abschiebungen ist keine
solche Alternative. Er mag zwar in einer sehr kleinen Minderheit der
Bevölkerung populär sein, würde aber bald dazu führen, dass die Aufnahme
von Flüchtlingen ganz in Frage gestellt wird. Staaten wie Ungarn zeigen,
wie populär eine Null-Flüchtlings-Politik sein kann.
13 May 2017
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Abschiebung
Bundessozialgericht
Kamerun
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Flüchtlinge
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