# taz.de -- Premiere von „Get Deutsch or Die Tryin“: Grabrede auf den Vater | |
> Leuten mit Träumen kommt dieses kalte Almanya nicht entgegen: Am Berliner | |
> Gorki-Theater wird das Stück „Get Deutsch Or Die Tryin’“ uraufgeführt. | |
Bild: Das gesamte Stück ist ein von Sidekicks ergänzter großer Monolog | |
Da wird einer 18. Und feiert seinen Geburtstag mit Sachbearbeiter Kozminski | |
im Ausländeramt. Zum 18. die Einbürgerung. Der Vater als linker Aktivist | |
nach dem türkischen Militärputsch von 1980 hat in Deutschland Asyl gesucht | |
und „Terroristenkinder“ ohne Pass hervorgebracht. | |
Jetzt bekommt der junge Mann den deutschen Pass, weil er alle, wirklich | |
alle nötigen Dokumente dabeihat, ein paar Sätze auf Deutsch schreiben soll | |
und kann – „Ich brech nachts den Stern von deinem Benz und trag ihn zur | |
Halbmondkette. Ich will kein Arzt oder Anwalt werden, ich werd Superstar | |
oder arbeitslos.“ „Sehr witzig, Herr Yılmaz.“ – und weil der Vater als | |
verschollen gilt. Er ist in die Türkei zurückgegangen, als die Mutter mit | |
dem heute 18 Jahre alten jungen Mann schwanger war, weil er selbst | |
Gefängnis attraktiver fand als Exilant. | |
Arda heißt der junge Mann, er sitzt heute mit seinen Buddys auf einer Bank | |
und vertickt Dope. Die ältere Schwester ist längst abgehauen, und die | |
Mutter zu Hause nach der zweiten Flasche Wodka vor dem Fernseher | |
eingeschlafen. Arda stellt klar: „Du bist achtzehn und verstehst: Du hast | |
verloren.“ | |
Was mit einem getriebenen Schlagzeugsolo und einer durch anstrengend hohe | |
Sprünge in Schwingung versetzten Diskokugel beginnt wie ein schnelles | |
Jugendtheaterstück übers Leben in der Zone der Unterprivilegiertheit, wird | |
in Necati Öziris Stück „Get Deutsch Or Die Tryin’ “ bald zu einer ander… | |
Sache. Was beginnt wie eine zynische Migrationshintergrundsklamotte, wird | |
bei der letzten Premiere dieser Spielzeit am Berliner Gorki-Theater genau | |
das nicht. | |
Natürlich nicht. Das Gorki unter Shermin Langhoff und Jens Hillje ist weit | |
aus der Gefahrenzone, den eigenen Markenkern – das „Postmigrantische“, al… | |
die kulturelle Produktivität jenseits des weißen, männlichen, kanonischen | |
Privilegiertenstadels – als rein amüsantes Revuetheater des großen Anderen | |
zu exploiten. Der kraftvolle, erheblich substanzielle Text des 28-jährigen | |
Autors und Gorki-Dramaturgen Necati Öziri wird in der Umsetzung von | |
Hausregisseur Sebastian Nübling zu einem Experiment mit dem Brennglas. | |
Das gesamte Stück ist ein von Sidekicks ergänzter großer Monolog. Arda – | |
Dimitrij Schaad spielt und spricht ihn mit Verve – hält seinem | |
wahrscheinlich nicht toten, für ihn aber schon immer gestorbenen Vater eine | |
Grabrede. Erzählt von seinem Leben und bohrt sich vor zu den Umständen | |
seiner Gewordenheit. Schildert, analysiert, klagt an. Dringt zurück in die | |
Vergangenheit. | |
## Ohnmacht führt schnell ins Unglück | |
Und so sind wir in der größeren, zweiten Hälfte des Stücks bei Murat und | |
Ümran, einem flüchtigen türkischen Linksaktivisten und einem Erdbebenopfer | |
aus Izmir, das schon als Kind nach Deutschland kam. Zunehmend fieberhafter | |
imaginiert Arda, wird zum Regisseur der Geschichte der Eltern. Inszeniert | |
ihr Kennenlernen als Burleske, erzwingt mit Trotz und Zirkuspferdchenfedern | |
die Romantik. Steckt seinen Vater zur Hochzeit in einen silbrigen | |
Paillettenanzug, Ausweis einer Zukunft, und seine Mutter in ein Ungetüm von | |
Tüllkleid, Ausweis üppigen möglichen Glücks. | |
Der „Chor“ repetiert stoisch „Happiness!“, ersetzt dieses Ritornell aber | |
bald durch ein anderes: Murat, der ehemalige Student, findet einen Job im | |
Schlachthof, und dann heißt es 14 Stunden pro Tag: „Hals durchtrennen, | |
aufhängen, Rektum aufbohren, häuten, aufschneiden, ausnehmen, das nächste.“ | |
Man kann nachvollziehen, warum einer, der mal die Türkei verändern wollte, | |
so nicht glücklich sein kann. Auch Arda kann das. Verzeiht trotzdem nicht. | |
Hält dem Vater vor: Nur weil deine linken Chauvi-Jugendträume nicht in | |
Erfüllung gegangen sind, musst du nicht Frau und Kinder sitzenlassen. Auf | |
der anderen Seite kommt einem dieses neue Land, dieses kalte Almanya, | |
Menschen voller Träumen, Heimweh und Unsicherheit auch nicht gerade | |
entgegen. | |
„Get Deutsch Or Die Tryin’ “ stellt scharf auf eine kleine, in der | |
türkischen Migrationsgeschichte nach Deutschland nicht mal exemplarischen | |
Familiengeschichte. Das Stück zeigt, wie schnell Ohnmacht ins Unglück | |
führt. Wie normal und menschlich die Reaktionen auf Ohnmacht sind. Und wie | |
unentschuldbar sowohl diese Reaktionen sind als auch die Staaten, die | |
solche Ohnmacht produzieren. | |
Dieses Stück ist ein Aufbegehren gegen die Formel, dass brüchig gewordene | |
Lebenswege brüchige Lebenswege reproduzieren. Auch Arda ist nicht | |
angekommen, trotz Pass, er wird losziehen von seiner Bank, ob „gegen die | |
Türken, den Westen, die Kurden, die Islamisten, die Deutschen . . . völlig | |
egal“. Im glücklicheren Fall zieht er auf die Bühne. | |
27 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
## TAGS | |
Theater Berlin | |
Maxim Gorki Theater | |
Theater | |
Migrationshintergrund | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Maxim Gorki Theater | |
Jahrmarkt | |
Journalismus | |
taz.gazete | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Johanna Wanka | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„Heimatabend“ im Schloss Bellevue: Steinmeiers Nächte sind lang | |
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lädt zum „Heimatabend“ mit | |
migrantischen Künstlern. Auch Almancı tanzen begeistert zu Musik von DJ | |
Ipek. | |
„Hundesöhne“ im Berliner Gorki-Theater: Von Traumatisierung gezeichnet | |
Vom Überlebenskampf im Kriegsland erzählte die Schriftstellerin Ágota | |
Kristóf. Der Regisseur Nurkan Erpulat macht daraus ein Stationendrama. | |
Rummel in Berlin: Gewinne, Gewinne, Gewinne | |
Lose, Mandeln, Helene Fischer: Im Frühling muss man auf den Rummel. Bei den | |
„Neuköllner Maientagen“. | |
RoG-Chef zum Fall Meşale Tolu: „Eine tragische Empfehlung“ | |
Der Chef von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, hat einen Rat für | |
Journalisten mit türkischem Migrationshintergrund: in Deutschland bleiben. | |
Queere Kunst aus der Türkei: Stumm, aber bedeutend | |
Trotz Repressionen findet die LGBTIQ-Szene ihre Schlupflöcher. | |
Künstler*innen vergleichen ihre Situation mit einem ins türkische Alphabet | |
migrierten Buchstaben. | |
Debatte Schulnoten: Besser ohne | |
Die meisten Eltern, Lehrer und Bildungsminister befürworten die numerische | |
Leistungsbewertung. Unser Schulsystem wäre ohne sie gerechter. | |
Schüler mit Migrationshintergrund: In einem anderen Land | |
Bildungsministerin Johanna Wanka möchte eine Klassenquote für Kinder mit | |
Migrationshintergrund. Die Reaktionen sind deutlich. |