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# taz.de -- Rummel in Berlin: Gewinne, Gewinne, Gewinne
> Lose, Mandeln, Helene Fischer: Im Frühling muss man auf den Rummel. Bei
> den „Neuköllner Maientagen“.
Bild: Endlich gehen die Lichter an
## Pommes für alle
Der Pony ist schief, die Hose ist Jogging, das T-Shirt-Motiv ein großes
Tier. Der Mann spricht in sein Smartphone, aber man kann nicht hören, in
welcher Sprache, und so ist es unmöglich zu erkennen: Ist das jetzt ein
Hipster? Oder Eckkneipenprekariat?
Es gibt mehrere dieser Typen auf den Maientagen. Neukölln ist
parallelgesellschaftlich organisiert und alle sind sie gekommen: die
biodeutschen Alteinwohner, die ein wenig glasig vor ihrem Fassbier an der
Freiluftbühne sitzen. Die spindeldürren jungen Spanier, die sich vor dem
Riesenrad fotografieren.
Die türkischen, arabischen, libanesischen Familien mit ihren vielen kleinen
Kindern, die es gut haben hier, weil sie aufbleiben dürfen bis in der
Dämmerung endlich die Lichter angehen. Das gut gealterte Schwulenpärchen,
das am Flipper steht und zur Musik mitsummt. Das FrauenLesben-Wohnprojekt
auf Klassenfahrt mit Refugees-welcome-Shirts und selbstgebrachten
Getränken. Die Teeniepärchen. Und wir.
Wie auf der Berliner Sonnenallee, Hermannstraße, Weserstraße laufen die
Gruppen aneinander vorbei und doch ist etwas anders hier. Alle haben die
gleichen Ziele, den gleichen Antrieb: Kind sein oder die Jugend für zwei
Stunden zurückholen. Was immer funktioniert, selbst wenn es im Hipster-Fall
als ironische Pose beginnt. Nach spätestens einer Stunde haben die
Maientage uns alle: in der Achterbahn schreien. Die Greif-Automaten
überlisten und doch scheitern. Dosen werfen. Pommes essen und diese
Champignons, die es nur auf Jahrmärkten gibt. Und Zuckerwatte! Wenn
Integration irgendwo gelingt, dann auf dem Jahrmarkt.
Nur an einem einzigen Ding nicht, es steht ein wenig abseits, gegenüber vom
WC-Container von Pipi Meyer: ein Punchingball. Wenn man ihn boxt, gibt es
eine Punktzahl, je nach Wucht: 89,4. 98,7. 94,4. Drumherum: 25 Jungs,
Männer, irgendwo dazwischen. Alle muskulös, fast alle mit
Migrationshintergrund. Die letzte Parallelgesellschaft der Maientage.
Michael Brake
## ***
## Wurm willst du sein
Ach, denkst Du beim Abschließen der Fahrräder im Angesicht eines in seinem
Busch vor sich hin baumelnden Wurms, wärest Du nicht lieber der, genau der?
Von der Hasenheide wehen nur sanfte Weisen herüber, in die Luft mischt sich
ein Hauch von Zuckerwatten-Mandeln-Bratwurst-Schmieröl-Aroma, es ist dies
beides das sachte, schöne Destillat dessen, was Dich sogleich mit voller
Wucht treffen wird.
Bumm, bumm, bumm.
Wurm, oh Wurm, Du glückliches, baumelndes Wesen, kannst hier bleiben.
Aber! Du hast es den beiden versprochen, Tochter und Freundin, im Alter
derer, die dem Kinderkarussell gerade entwachsen sind. Initiation quasi,
und das auf dem unmöglichsten und zugleich schönsten aller Rummelplätze.
Kirmes in einer Kuhle im Wald, die Schausteller haben alles aufgeboten, was
sie an Holzklötzen hatten, um ihre Wohnwagen und Fahrgeschäfte in die
Waagrechte zu bringen.
Ist es nicht wunderbar? Jahrmarkt mitten in der Riesenstadt, die dahinter
zusammenschmilzt, zurücktritt, dem Umherwirbeln, dem Glücksspiel, der roten
Schießbudenrose Raum gibt. Selbst die oberste Antenne auf dem Fernsehturm
am Alexanderplatz, rot-weiß-gestreift und in der Ferne, macht mit und sieht
aus wie eine lange, süße Zuckerstange, umgeben von frühsommerlichem
Laubgrün.
Die beiden schleppen Dich in ein Fahrgeschäft namens „Magic“. Drehende
Körbchen, in denen man sitzt, auf einer rotierenden Scheibe, sie wechseln
jäh die Richtung und lassen Dich an Schleudertraumata denken, mindestens
aber an den Wurm. Ist die Freundin nicht viel zu dünn und rutscht jeden
Moment unter dem Sicherheitsbügel hindurch? Deine Tochter wimmert nur noch.
„Und wenn das nie mehr aufhört?“ – „Gleich haben wir's geschafft,
wirklich.“ Aber es ist nichts los heute, der Mann in der Chefkanzel lässt
sich nicht lumpen. „Magic“ dreht und dreht sich, Du hältst sie im Arm, so
gut es geht. Nochmalundnochmalundnocheinedrehung.
Uff! Du bist zu alt dafür. Du kannst das nicht mehr. Konntest Du es je?
Die beiden wollen sofort wieder rein, Du musst Dich setzen. Am
Kassenhäuschen steht zum Glück: 6- bis 8-Jährige nur in Begleitung
Erwachsener. Und sie sehen: Du nicht mehr.
Morgen wieder. Felix Zimmermann
***
## Gondel Nr. 12
In den Neunzigern gab es einen Hit, der einmal pro Abend in Dorfdiscos
gespielt wurde – und schon bei den ersten Takten fingen die Jugendlichen
an, eine Choreografie zu tanzen, die eine halbe Stunde dauern konnte und
besonders zu beherrschen schien, wer eine lässige Drehung in den
Reih-und-Glied-Tanz improvisieren konnte. Ein Mädchen namens Lil Suzy sang
den Hit, und er ging so: Take me, take me in your aaaaarms.
Heute gibt es genau einen Ort, an dem dieser Song noch vorstellbar wäre,
und das ist im unsterblichsten Fahrgerät eines jeden Jahrmarkts: Break
Dance. Der Rummelmagnet, der seit wahrscheinlich immer existiert, zumindest
für eine Generation der Etwa-dreißig-Jährigen; mit seinen sich
vor-zurück-vorziehenden, an den Rückseiten rot-grün-rot blinkenden Gondeln
ist Break Dance, was die Schiffschaukel nach dem Krieg war, das Riesenrad
in cool. Man findet sich vor einer Wand wieder, auf die eine
Fantasielandschaft gesprayt ist: eine Graffiti-Skyline, über der ein
Graffiti-Helikopter schwebt. Und aus der Wand ragen Markisen, auf denen die
Namen von Rappern stehen, als gäbe das – heute, am Familientag –
mitfahrenden Kindern und Müttern die nötige Street Cred.
Bushido. Eminem. 50 Cent.
Nichts folgt einer Logik, alles gilt dem nächsten Moment. Wie der Chip in
der Hand liegt, allein. Wie man plötzlich Teil einer Gemeinschaft ist, die
nicht altert. Gemeinsam rennt man über eine Plattform aus Metall und formt
das Break-Dance-Geräusch: Klack, klack, Platz weg, Nächster. „Sie sitzen in
Gondel Nr. 12“.
Man sieht noch den Helden der Jugend hinterher, den Chips-Einsammlern, die
immer eine Runde mitfahren, bevor sie abspringen. Dann verdeckt Nebel die
Sicht, der Magen zieht, als sei man verliebt, Gelächter, Schreie, die Haare
fliegen, „uuund, könnt ihr noch?“, fragt einer hinterm Mikro, und wer wei�…
vielleicht spielt er gleich Lil Suzy – „wollt ihr noch mal?“ Auf keinen
Fall. Oder doch. Annabelle Seubert
***
## „Allet dreht sich“
XXL-Krake, der Anheizer
„Mama oder Papa müssen mitfahren. Wenn die keenen Bock haben, haben die
Kleenen Pech jehabt.“
„Eins, zwei, los jeht’s.“
„Allet dreht sich, allet bewegt sich. Have a break, have a kitkat.“
Kamelrennen, der Besitzer
„Wenn du dich nicht benehmen willst, gehst du besser weiter.“
„Wenn du noch einen Ball drüber wirfst, fliegst du.“
„Ich warne dich, Kamerad.“
„Wer nicht verlieren kann, darf nicht spielen.“
Neben dem Greifer, zwei junge Männer
„Riesenrad? Kann ich nur bekifft.“
„Hab nix dabei.“
„Wir sind doch in der Hasenheide, kein Problem.“
Shaker, der Anheizer
„Wenn ich euch hier so sehe, hoffe ich, dass ihr vorher noch ein Selfie
gemacht habt. Damit eurer Frisör morgen auch weiß, was er machen muss.“
Vor der Bühne, Reporter 1
„Ich muss nochmal zum Greifer. Ich schmeiß da mein ganzes Geld rein.“
Losbude, der Anheizer
„So, gucke mal hier, was habt ihr denn? Vier Farben braucht ihr.“
„Gewinne, Gewinne, Gewinne.“
„200? Ein Wackeldackel.“
„Einmal mitmachen, einmal Lose, einmal spielen, einmal gewinnen.“
„Gewinne, Gewinne, Gewinne.“
„Vier Farben. Rot, Gelb, Schwarz, Blau. 4.000 Punkte.“
„Ein Los und noch ein Los, und noch ein Los.“
„Gewinne, Gewinne, Gewinne.“
„Leopard, Anhänger, Teddy.“
„Gewinne, Gewinne, Gewinne.“
Auf der Bühne, die Sängerin
„Du hast mich tausend Mal belogen, du hast mich tausend Mal verletzt. Ich
bin mit dir so hoch geflogen. Doch der Himmel war besetzt.“
„Habt ihr schon das neue Album von Helene Fischer?“
Vor der Bühne, Reporter 2
„Noch stehen wir hier ironisch.“ Paul Wrusch
20 May 2017
## AUTOREN
Michael Brake
Annabelle Seubert
Paul Wrusch
Felix Zimmermann
## TAGS
Jahrmarkt
Neukölln
Volksfest
Tierschutz
Glücksspiel
Theater Berlin
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