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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: „Du bist blöd“
> Die Grünen finden die FDP „neoliberal“. Die FDP findet die Grünen doof,
> weil die immer alles verbieten wollen. Doch wem nützt der gegenseitige
> Hass?
Bild: Löst bei vielen Grünen reflexhaftes Kotzen aus: FDP-Chef Christian Lind…
Die großen Wahlsieger der letzten beiden Landtagswahlen sind die derzeit
interessantesten Figuren der deutschen Politik: Christian Lindner (FDP) und
Robert Habeck (Grüne). Das bringt potenziell die Chance auf geistige,
kulturelle und vor allem politische Bewegung. Allerdings haben wir es
derzeit nicht so mit geistiger Bewegung.
Also zuckt jetzt der gute alte Reflex, nachdem sich Teile der Milieus von
Grünen Demokraten und Freien Demokraten gegenseitig für das Letzte halten.
Speziell Lindner soll offenbar dafür in der Nachfolge von Guido „de mortuis
nihil nisi bene“ Westerwelle die Projektionsfläche abgeben. Erstens: Er sei
„neoliberal“. Zweitens: Er sei „arrogant“.
Nun wissen wir ja aus der Küchenpsychologie, dass der Arroganzvorwurf immer
kommt, wenn man sich selbst inhaltlich-intellektuell unterlegen fühlt. „Du
bist neoliberal“ ist so tiefgründig wie der Sandkastenvorwurf: „Du bist
blöd.“ Auf der anderen Seite rufen sie derweil: Und du willst immer alles
verbieten. Auch nicht besser.
Was ich sagen will: Völlig unberührt von der Frage, welche Perspektive
Lindner anbieten will und kann – das ist im Moment offen –, wird eine
Denkverweigerungsmaschine in Gang gebracht, die nur auf eines hinauswill:
Nämlich auf nichts.
Wir haben es hier mit einer Schwäche der menschlichen und politischen
Kultur zu tun, die speziell bei denen tief sitzt, die die Welt nach eigener
Einschätzung zu einer besseren machen wollen: Sie beziehen ihre Identität
sehr stark aus der Abgrenzung und brauchen Leute, die sie für schlimm
halten können. Um sich selbst als gut zu spüren. Sobald die AfD etwas
absinkt, muss deshalb die FDP wieder ran.
Unvergessen, wie die damalige Hohepriesterin des Menschenrechts auf Grünes
Ressentiment am Wahlabend 2013 in einer Berliner Halle im Angesicht einer
krachenden Niederlage enthemmt jubilierte. Als die 4,8 Prozent der FDP
aufleuchteten. Es ist Lindner, der diese wahre und traurige Geschichte gern
erzählt von diesen (das sind meine Worte) ethisch verelendeten Grünen, die
auf die Leiche eines gefallenen Gegners pissen, statt ihr Respekt zu
erweisen. Nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er selbst das im umgekehrten
Fall nie tun würde. Genau damit macht er seine Leute heiß und wendet das
Ressentiment wieder in die Gegenrichtung.
Jetzt ist die entscheidende Frage: Wem nutzt es, wenn die zwei Parteien
einer liberalen Gesellschaft sich hassen und ihren Einfluss schwächen?
Denen, die die Machtverhältnisse beibehalten wollen: zwei schrumpfenden und
dauerkoalierenden potemkinschen Volksparteien (Union und SPD) in einer
potemkinschen Lagerkonstellation (sozialdemokratische Konservative vs.
konservative Sozialdemokraten) – plus eine potemkinsche Utopie („linkes“
Bündnis).
## Jetzt probier halt erst mal
Viele Leute haben im Moment „konservative Bezugsprobleme“, wie der
Soziologe Armin Nassehi sagt. Konkret in NRW: Sicherheit, Einwanderung,
Schulreformen, Stau. Wer darauf gute Antworten hat und vertrauenswürdige
Figuren, den wählen sie. Wer ihnen sagt: Du, dein Problem ist konservativ,
du musst aber ein linkes Problem haben. Oder: Schaff halt dein Auto ab, du
Depp. Den wählen sie nicht.
Man kann die Probleme der Leute nicht einfach moralisch ablehnen, aber man
kann, sagt Nassehi, moderne Antworten jenseits von Mauern und Rassismus
geben. Und jenseits des Angebots der bisherigen Volksparteien.
Unwahrscheinlich, okay, aber das ist die Chance von Grünen und FDP. Im
politischen Wettbewerb um die Wähler. Oder als komplementär-dynamische
Kraft einer dadurch modernisierten Regierung.
Wie sagt Vati beim Füttern zum Kind? Jetzt probier halt erst mal. Auskotzen
kannst du dann immer noch.
22 May 2017
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
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Robert Habeck
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