# taz.de -- DGB-Demo am 1. Mai in Berlin: Links ist jetzt ganz vorne | |
> Bei der Gewerkschaftsdemo läuft die neue Arbeitssenatorin Elke | |
> Breitenbach jetzt an der Spitze. Sie beackert ein schweres Feld: Vieles | |
> ist Bundespolitik. | |
Bild: Rot-Rot an der Demo-Spitze: Elke Breitenbach (Linke, 2.v.r.) mit DGB-Land… | |
Elke Breitenbach verteilt Begrüßungsküsschen. Keine Frage, die frühere | |
Gewerkschaftssekretärin hat ein Heimspiel bei der DGB-Demo, sie kennt | |
jeden, jeder kennt sie. „Immer schon“ komme sie hierher, seit sie 1981 nach | |
Berlin gezogen ist, erzählt die gebürtige Hessin. „Aber sonst war ich immer | |
brav hinten bei meiner Partei.“ Heute steht die Arbeitssenatorin von der | |
Linkspartei in der ersten Reihe. | |
Kurz bevor sich der Zug um zehn Uhr an der Spandauer Straße Ecke Karl | |
Liebknecht in Bewegung setzt, kommen auch Breitenbachs Senatskollegen und | |
klemmen sich hinter das Fronttransparent: Innensenator Andreas Geisel | |
(SPD), der Regierende Bürgermeister Michael Müller (dito), Kultursenator | |
Klaus Lederer (Linke) – zumindest der rote Teil von Rot-Rot-Grün lässt es | |
sich nicht nehmen, bei der traditionellsten Veranstaltung des Tages | |
vorneweg und gut sichtbar für die Fotografen dabei zu sein. | |
Seit knapp fünf Monaten ist Breitenbach im Amt. Aufgefallen ist die | |
Arbeits-, Sozial- und Integrationssenatorin bislang vor allem in den | |
letzten beiden Feldern. Zumindest galt die Aufmerksamkeit der | |
Öffentlichkeit vor allem dem Freizug der mit Flüchtlingen belegten | |
Turnhallen. Was hat sich die Politikwissenschaftlerin als Arbeitssenatorin | |
für die nächsten fünf Jahren vorgenommen? „Es gibt ja wenig Spielraum“, | |
schränkt sie gleich mal die Erwartungen ein. Arbeitsmarktpolitik sei vor | |
allem Bundespolitik, darum hoffe sie sehr auf die Bundestagswahlen im | |
Herbst. | |
Von deren Ausgang hängt unter anderem eines von Breitenbachs | |
Lieblingsprojekten ab, ein neuer öffentlich finanzierter | |
Gemeinwohlarbeitssektor. Unter Rot-Rot hieß das mal ÖBS, Öffentlicher | |
Beschäftigungssektor: Langzeitarbeitslose bekamen am Gemeinwohl orientierte | |
Aufgaben, etwa in Stadtteilzentren, und wurden dafür mit Tariflohn bezahlt. | |
„Ich bin ein großer Fan“, gesteht Breitenbach, aber derzeit gebe es für | |
solche Programme keine Bundesmittel. Immerhin, sagt die 56-Jährige: Auch | |
SPD und Grüne seien heute dafür. | |
## Wie Geflüchtete in Arbeit bringen? | |
Hinter dem Roten Rathaus biegt die Demo in die Leipziger Straße, auf Höhe | |
der Fischerinsel verabschieden sich Müller und Lederer. „Wir gehen mal in | |
unsere Formationen“, witzelt der Regierende. Kurze Zeit später ist auch | |
Geisel verschwunden. Was die Politprominenz angeht, hält Breitenbach jetzt | |
allein mit Doro Zinke, DGB-Regionalchefin, und den Linken-Abgeordneten Udo | |
Wolf und Carola Blum die Stellung als Demo-Spitze. | |
Der Zug kommt schnell voran, nach knapp einer Stunde ist das Ziel Pariser | |
Platz in Sicht. Breitenbach mahnt nach links: „Was rast ihr schon wieder? | |
Die GEW muss mal einen Schritt langsamer machen.“ Was nur demotechnisch | |
gemeint ist. | |
Auf Landesebene sieht Breitenbach vor allem die Herausforderung, | |
Langzeitarbeitslose und Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ein | |
wichtiger Hebel, „mit dem wir hier richtig steuern können“, sei die | |
Vergabepolitik, erklärt sie. So prüfe der Senat derzeit, die Vergabe von | |
Investitionsmitteln des Landes an die Schaffung von Arbeitsplätzen für | |
diese beiden Gruppen zu koppeln und den Unternehmen dafür | |
Lohnkostenzuschüsse zu gewähren. „Wir müssen mal sehen, ob das umsetzbar | |
ist.“ Es gebe ja bereits verschiedene Möglichkeiten für Unternehmen, | |
Lohnkostenzuschüsse zu bekommen, doch solche Mittel würden zu selten | |
abgerufen. | |
## Öffentlicher Dienst als Vorbild | |
Ein wichtiges Schlagwort für Breitenbach wie für den ganzen Senat ist zudem | |
der Kampf für „gute“ und gegen prekäre Arbeit. „Hier müssen die | |
landeseigenen Betriebe und der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel | |
vorangehen“, sagt die Senatorin. Auch auf der Demo fordern verschiedene | |
Gruppen vom Senat eine bessere Bezahlung von Volkshochschul- und | |
Uni-Dozenten, aber auch, dass landeseigene Unternehmen wie Charité und | |
Vivantes ihre Tarifflucht durch die Ausgründung von Tochterunternehmen | |
beenden. | |
Der Regierende Müller geht in seinem Grußwort bei der Abschlusskundgebung | |
ebenfalls auf das Thema ein: „Die Zeit des Outsourcing ist vorbei“, sagt | |
er, und dass die Charité-Tochter CTM wieder eingegliedert wird, „wie | |
versprochen“. Davon abgesehen, schränkt Breitenbach im Zwiegespräch mit | |
entwaffnender Ehrlichkeit ein, könne die Politik hier allerdings wenig | |
machen. „Prekäre Arbeit ist ja leider nicht verboten.“ | |
Ehrlich und ein wenig melancholisch klingt es auch, wenn die Frau, die | |
selbst Ende der 90er Jahre ein Jahr arbeitslos war und von 2003 bis vorigen | |
Dezember im Abgeordnetenhaus saß, über ihre eigene neue Arbeit räsoniert. | |
Was ihr nicht gefällt, ist, dass sie als Senatorin „wenig Selbstbestimmung“ | |
über ihre Termine habe. „Ich muss viel repräsentieren.“ | |
## Überblick behalten | |
Gleichzeitig erfahre sie manches erst sehr spät. „Als Abgeordnete habe ich | |
viele Bürgerbriefe bekommen und alle selber beantwortet.“ So habe sie viel | |
mitbekommen über Probleme, etwa in den Jobcentern. Ob sie fürchte, sich von | |
den Sorgen der Leute zu entfernen? „Keine Ahnung, ob ich es schaffe, so den | |
Überblick zu behalten, wie ich das möchte.“ | |
Als die Demo-Spitze um 11.20 Uhr am Pariser Platz ankommt, bleibt | |
Breitenbach an der Absperrung stehen, wartet auf den Beginn der Kundgebung. | |
Ab und zu kommt jemand vorbei, grüßt und klopft ihr auf die Schulter, doch | |
die meiste Zeit steht die Senatorin allein. Früher, im Block bei den | |
Linken, war es vermutlich lustiger. | |
1 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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