# taz.de -- Europäische Atompolitik: Keine Haftung bei einem GAU | |
> Strahlung macht vor Grenzen keinen Halt. Trotzdem gibt es nur nationales | |
> Haftungsrecht. Das veranschlagte Geld reicht lange nicht. | |
Bild: Ist deutlich unterversichert: Atomkraftwerk Tihange in Belgien | |
Berlin taz | Pünktlich zum 31. Jahrestag der Nuklearkatastrophe von | |
Tschernobyl zeigt eine Studie des Forums Ökologische-Soziale | |
Marktwirtschaft (FÖS), dass die geltenden Haftungsbeträge in den deutschen | |
Nachbarstaaten nicht ausreichen, um die Schäden eines AKW-Unfalls à la | |
Fukushima zu begleichen. Käme es in diesen Ländern zum Reaktorunfall, so | |
würden die Opfer der Katastrophe auf ihren Kosten sitzen bleiben und | |
bekämen keine Ausgleichszahlungen für die entstandenen Schäden. | |
„Im Falle eines Super-GAUs müsste man je nach Wetterlage eine Evakuierung | |
im Umkreis von bis zu 600 Kilometer vornehmen. Die Kosten würden dabei in | |
einem dreistelligen Milliardenbereich liegen“, sagt Lena Reuster vom FÖS. | |
Die Haftungsobergrenze liegt bei den meisten allerdings im Millionenbereich | |
und deckt daher nur ein Hundertstel bis Tausendstel der entstehenden | |
Kosten. | |
Lediglich die Schweiz und Deutschland bilden eine Ausnahme. Während es in | |
Deutschland und in der Schweiz keine Haftungsobergrenze gibt, zahlen | |
AKW-Betreiber in Belgien und den Niederlanden laut Studie maximal 1,2 | |
Milliarden Euro. In Polen und Schweden liegt die Obergrenze bei rund 380 | |
Millionen Euro und in dem Vereinigten Königreich und Ungarn sogar nur bei | |
ungefähr 178 beziehungsweise 127 Millionen Euro. | |
Übersteigen die Kosten des Atomunglücks die Obergrenze der | |
Schadenersatzzahlungen, so regelt das innerstaatliche Recht die Haftung. Da | |
in den meisten EU-Staaten dazu aber keine Rechtsvorschriften vorliegen, | |
würden die Opfer auf den Schäden sitzen bleiben. | |
## Zusatzabkommen von 2004 weiter nicht ratifiziert | |
Die europäischen Rechtsgrundlagen, mit denen Haftungsansprüche gelten | |
gemacht werden können, beziehen sich auf drei Grundlagen: dem Pariser | |
Übereinkommen (1960), dem Wiener Übereinkommen (1963) und dem Gemeinsamen | |
Protokoll (1988). Wie die Haftungsansprüche aussehen, ist allerdings | |
national geregelt. Die Europäische Atomgemeinschaft Euratom könnte | |
theoretisch Richtlinien zu Schadensansprüchen festlegen, bisher gibt es | |
allerdings noch kein bindendes EU-Recht dazu. | |
Von Deutschland aus betrachtet, stehen in einem Radius von 600 Kilometer 34 | |
AKWs, die zwischen 30 und 50 Jahre alt sind. Kommt es nun zum Beispiel in | |
Belgien zu einem Reaktorunfall, der einen Schaden von 100 Milliarden Euro | |
verursacht, so müsste der AKW-Betreiber nach geltendem Recht nur für 1,2 | |
Prozent des Schadens aufkommen. Die restlichen 98,2 Prozent der Schäden | |
müssten von den Opfern allein getragen werden. | |
Schadenersatzforderungen können nur in dem Land eingeklagt werden, in dem | |
der geschädigte Reaktor steht. Der Heimatstaat der Betroffenen haftet für | |
ausländische Nuklearkatastrophen nicht. „Damit dient das internationale | |
Atomhaftungsrecht insgesamt mehr dem Schutz der Nuklearwirtschaft als dem | |
Opferschutz“, kritisiert Atomrecht-Anwalt Hartmut Gaßner. | |
Im Jahr 2004 wurde das Brüsseler Zusatzübereinkommen verabschiedet. Dies | |
sieht eine Erhöhung der Haftungsbeträge vor. Da dieses noch nicht von allen | |
Vertragsstaaten ratifiziert wurde, ist es noch ohne juristische Wirkung. | |
Daher fordert Greenpeace Energy einen Ausstieg aus den Atomverträgen und | |
die Verabschiedung neuer, gerechterer Haftungsverträge. „Jeder sollte für | |
das haften, was er verursacht hat“, sagt Sönke Tangermann von Greenpeace | |
Energie. | |
Auch der Physiker Heinz Smital unterstützt die Idee. „AKWs können weitaus | |
schlimmere Schäden anrichten als in Tschernobyl oder Fukushima.“ | |
25 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Yvonne Elfriede Hein | |
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