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# taz.de -- Sechs Jahre GAU in Fukushima: Atomkraft – war da was?
> Das Thema Atomkraft bekommt kaum noch Aufmerksamkeit. Dabei gibt es
> hierzulande gute Gründe, schneller als geplant auszusteigen.
Bild: Damals: Am 26. März 2011 gingen deutschlandweit 20.000 Atom-GegnerInnen …
Berlin taz | Es war ziemlich gewaltig: Nachdem es vor genau sechs Jahren im
Atomkraftwerk Fukushima zur Kernschmelze kam, gingen am 26. März 2011 in
Deutschland 250.000 Menschen auf die Straße, um den Ausstieg aus der
Atomkraft zu fordern. Für die Anti-Atom-Bewegung, die von den Schlachten um
Brokdorf und Wackersdorf in den 80er Jahren über die Gorleben-Blockaden
rund um die Jahrtausendwende bis zu den Großdemonstrationen gegen die
geplante Laufzeitverlängerung im Jahr 2010 schon viele
Massenmobilisierungen erlebt hatte, war es ein neuer Rekord.
Doch der Höhepunkt war zugleich auch ein Schlusspunkt. Als Konsequenz aus
der Fukushima-Katastrophe und den Massenprotesten legte die (schwarz-gelbe)
Bundesregierung 8 der 17 verbliebenen deutschen Atomreaktoren im Frühjahr
2011 still; der Rest folgt schrittweise bis zum Jahr 2022. Seitdem ist es
in Deutschland um das Thema Atomkraft ruhig geworden.
Zum Fukushima-Jahrestag sind zwar in diesem Jahr wieder Aktionen in 90
Städten angekündigt; doch überwiegend handelt es sich um Mahnwachen und
Infoveranstaltungen – die Zahl der Teilnehmer*innen dürfte daher
überschaubar bleiben. Für die große Mehrheit in Deutschland ist Atomkraft
kein Thema mehr.
Das ist einerseits verständlich: Mit dem festen Ausstiegstermin, der von
keiner relevanten politischen Kraft infrage gestellt wird, ist ein Ende des
Atomkraftrisikos zumindest auf deutschem Boden absehbar. Die komplizierten
Verhandlungen über die Finanzierung des Ausstiegs verfolgen allenfalls
Expert*innen. Und der Streit über ein Endlager für den Atommüll ist durch
den Neustart der Standortsuche erst mal vertagt.
## Mangelndes Interesse
Andererseits ist der Mangel an Interesse auch erstaunlich. Im bayerischen
Gundremmingen etwa laufen noch zwei veraltete Siedewasserreaktoren, wie sie
auch in Fukushima standen. Ausgerechnet bei diesem wurde die Laufzeit nach
dem Super-GAU in Japan im Vergleich zum ersten Atomausstieg sogar
verlängert. Ob die noch laufenden AKWs den Aufprall eines Flugzeugs vom Typ
A 380 überstehen würden, ist bis heute unklar. Als am Freitag eine indische
Boeing 787 für eineinhalb Stunden per Funk nicht erreichbar war und damit
ein Terroranschlag möglich schien, ließen die Behörden jedenfalls sämtliche
norddeutschen Atomkraftwerke bis auf eine Notbesetzung räumen. Was passiert
wäre, wenn es sich nicht um einen Fehlalarm gehandelt hätte, bleibt offen.
Und problemlos laufen die verbleibenden AKWs keineswegs. Derzeit stehen von
den acht deutschen Reaktoren drei still. Nur in einem Fall, beim
niedersächsischen Kraftwerk Grohnde, liegt das an der planmäßigen Revision,
für die jeder Reaktor jährlich für mehrere Wochen heruntergefahren wird.
Bei den beiden anderen sind technische Probleme die Ursache.
Im baden-württembergischen AKW Philippsburg war am 20. Dezember bei einer
Routinekontrolle festgestellt worden, dass die Bolzen an einer
Lüftungshalterung gebrochen waren. Weil diese im Notfall zur Kühlung des
Reaktors notwendig sind, hätte das katastrophale Konsequenzen haben
können. Das Landesumweltministerium sprach von einem „gravierenden
Ereignis“, doch die öffentliche Empörung hielt sich in Grenzen. Seitdem
steht das AKW, das schon im Vorjahr mit dokumentierten, aber nicht
durchgeführten Sicherheitskontrollen aufgefallen war, still. An einer
Lösung wird laut Betreiber EnBW noch gearbeitet.
Das Atomkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein produziert seit Anfang
Februar keinen Strom. Bei der Revision waren ungewöhnlich dicke
Oxidationsschichten an den Brennelementen festgestellt worden. Eine
technische Erklärung dafür gibt es nicht – und solange sich daran nichts
ändert, bleibt Brokdorf vom Netz, heißt es aus dem Umweltministerium des
Landes.
In Brokdorf gab es am Freitag zumindest ein kleines Lebenszeichen der
Anti-Atom-Bewegung: Beide Werkstore wurden von etwa 25 Aktivist*innen
blockiert. Einige von ihnen ketteten sich an zwei Betonfässer und einen
dreibeinigen Turm. „Atomanlagen sind jeden einzelnen Tag gefährlich und
können jederzeit zu einem Desaster wie in Fukushima oder Tschernobyl
führen“, sagte eine der Aktivist*innen. „Jetzt hat sich wieder gezeigt,
dass auch das AKW Brokdorf nicht kontrolliert werden kann.“ Der Reaktor, so
die Forderung der Protestierenden, solle nicht erst im Jahr 2021, sondern
unverzüglich stillgelegt werden.
## Protest – ja bitte
Die technischen Voraussetzungen für diese Forderung sind heute besser als
je zuvor. Denn gebraucht wird der Strom aus Brokdorf nicht mehr. Während in
Süddeutschland bei einem sofortigen Abschalten aller AKWs zumindest an
Tagen mit hohem Verbrauch und geringer Ökostromproduktion Engpässe nicht
auszuschließen wären, gäbe es im Norden dank des massiven Windkraftausbaus
sowie einer ausreichenden Zahl fossiler Reservekraftwerke auch ohne AKWs
jederzeit genug Strom.
Oft sogar nicht nur genug, sondern zu viel. Immer häufiger werden im Norden
Windräder abgeschaltet, wenn ihr Strom wegen verstopfter Netze nicht
abtransportiert werden kann. Große Teile von Schleswig-Holstein,
Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen wurden darum im Januar offiziell
zu „Netzausbaugebieten“ erklärt. Dort ist der Neubau von Windrädern ab
sofort eng begrenzt.
Gegen die zwei Atomkraftwerke Brokdorf und Emsland, die sich im
Netzausbaugebiet befinden, unternimmt die Politik hingegen nichts – obwohl
ein früheres Abschalten erzwungen werden könnte, ohne den Zeitplan
insgesamt wieder neu zu gestalten. Denn das Atomgesetz nennt für jedes AKW
nicht nur einen Zeitpunkt, bis wann es spätestens abgeschaltet werden muss;
es definiert zudem jeweils eine Strommenge, die dort maximal erzeugt werden
darf.
Diese wird in Brokdorf schon Ende 2019 erreicht werden und im Emsland Ende
2020 – jeweils zwei Jahre vor dem spätesten Enddatum. Damit die AKWs
weiterlaufen können, müssen die Betreiber Strommengen übertragen, die an
anderen Standorten übrig geblieben sind. Diese Übertragung sollte der Bund
mit Verweis auf die fehlenden Netzkapazitäten verhindern, fordert nun
Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne). „Es ist
widersinnig: auf der einen Seite werden die erneuerbaren Energien gebremst,
weil die Netze nicht reichen. Auf der anderen Seite dürfen Atomkraftwerke
munter weiter produzieren und können sogar zusätzliche Strommengen ins
Netzengpassgebiet übertragen“, sagte Habeck der taz. „Das muss der Bund
ändern.“
Das SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium will davon aber nichts
wissen. Staatssekretär Dirk Wiese verweist „auf die geltende Rechtslage“.
Diese an die neuen Bedingungen anzupassen – und damit einen neuen Konflikt
mit den Energiekonzernen auszulösen – soll gar nicht erst versucht werden.
Ob das in einer neuen Regierungskoalition anders wäre? Das wird wohl vor
allem davon abhängen, ob das öffentliche Interesse am Thema weiter abnimmt
– oder wieder wächst.
11 Mar 2017
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
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