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# taz.de -- Die Wahrheit: Vive le Vanillegockel!
> Wenn Nachbarn an der kulinarischen Front Hilfe brauchen, geht es schon
> mal kapriziös zu. Guten Appetit …
Bild: Teure Ware: grüne Vanilleschoten auf Madagaskar
„Probieren Sie mal.“ Kemper, mein Nachbar, stand draußen und hielt mir
einen Löffel hin. „Hm“, machte ich, „was soll das denn sein?“ – „C…
vin“, murmelte er verlegen. „Oha“, sagte ich. Ich hatte auf eine zu salzi…
Nachspeise getippt.
„Warum haben Sie Vanille an den Gockel getan?“ – „Na ja, dieser bayeris…
Fernsehkoch da drinnen in der Glotze gibt doch auch an alles Vanille.“ –
„Aber nicht ganz so viel …“ Kemper seufzte. „Meinen Sie, man kann es
retten?“ – „Tja. Man müsste ein bisschen rumexperimentieren: Wein, Senf …
keine Ahnung …“ Er machte eine bittende Kopfbewegung in Richtung seiner
Wohnung, und ich nickte und folgte ihm.
Auf dem Weg fragte ich ihn, woher er plötzlich den Mut nehme, einen Coq au
vin zu machen. Er hatte mir einmal erzählt, dass er seine warmen Mahlzeiten
ausschließlich in der Behördenkantine und in Mehmets Dönerbude einnehme, da
er bei den wenigen Kochversuchen seines Lebens nur Kohle hergestellt habe.
„Ich hab eine Frau kennengelernt“, lächelte er: „Im Internet. Wir treffen
uns heute zum ersten Mal.“ – „Und da laden Sie sie gleich zu sich nach
Hause ein?“ Er zuckte die Schultern. „Sie liebt französische Küche. Und d…
Französischste, das es bei Mehmet gibt, ist Croque Monsieur im Fladenbrot.“
Tatsächlich gab es in unserem Provinzkaff kein einziges französisches
Restaurant – der Coq au vin auf Kempers Herd indes hätte bestenfalls dem
Front National als gewagte Angriffswaffe in einem neuerlichen
Deutsch-Französischen Krieg dienen können.
Eine ähnliche Katastrophe war die Tischdekoration. Zwischen den Tellern
stand ein unförmiger Gipsklotz mit Loch, den Kemper zweifellos selbst
modelliert hatte. „Der Arc de Triomphe?“, vermutete ich. Er nickte stolz.
Ich blickte auf die Tischdecke. „Bleu-blanc-rouge“, sagte er, „super,
oder?“ – „Aber es ist ein Badetuch, Kemper! Das geht nicht, holen Sie eine
normale weiße Decke und schaffen Sie das Frotteemonster fort.“
Er verschwand im Schlafzimmer, und ich ging in die Küche. Plötzlich rummste
es. „Kemper!“, rief ich: „Alles okay?“ – „Ja, ja“, kam es von dri…
blöde Schrank! Ich wollte mich längst drum kümmern, jetzt ist er
zusammengekracht und versperrt die Tür.“ Es klingelte. „Wie spät ist es?�…
rief er. „Sieben.“ – „Schon? O Gott … Machen Sie bitte auf?“
Draußen stand eine dralle Person mit rosigen Wangen. Sie trug ein Kleid,
das an den Pariser Schick der fünfziger Jahre erinnerte, aber überhaupt
nicht zu ihr passte. „Sie ahnen ja nicht, wie ich mich freue, Kemperchen“,
sagte sie, „ich darf Sie doch Kemperchen nennen, oder?“ Sie umschlang mich
und drängte sich an mir vorbei. „Ach, wie’s hier duftet! Coq au vin mit
Vanille, herrlich! Und dieser Tisch, bleu-blanc-rouge, das ist ja
entzückend! Ehrlich, Kemperchen, ich hab Sie mir ganz anders vorgestellt.
Sie sind … Ich bin …“
Sie schaute mich erwartungsvoll an, Kemper rüttelte an der Tür, und ich
beschloss, dass es Zeit war, ohne lange Erklärungen die Flucht anzutreten.
18 Apr 2017
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Kochen
Schwerpunkt Frankreich
Nachbarn
Landwirtschaft
Sommer
Restaurant
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Genuss
Psychologie
Freundschaft
Wohnungen
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