# taz.de -- Die Wahrheit: Hebe dich hinweg, Abrissbirne! | |
> Der Kampf um einen hässlichen Waschbetonquader führt weit in die | |
> Vergangenheit und zu einer wilden Party in einer heißen Nacht … | |
Ich hatte im Radio gehört, dass sich ein Verrückter an das große, alte | |
Buswartehäuschen auf dem Goetheplatz gekettet hatte, um den Abriss des | |
schaurigen Waschbetonquaders zu verhindern, und hatte vermutet, dass es | |
sich dabei um einen der durchgedrehten Leserbriefschreiber handelte, die | |
seit Wochen gegen die Pläne der Baubehörde zu Felde zogen. | |
Als aber wenig später zwei Polizisten klingelten, schwante mir sofort, dass | |
es etwas damit zu tun haben musste, und so wunderte es mich fast gar nicht, | |
als kurz darauf Raimunds Name fiel. „Er sagt, mit Ihnen würde er sprechen“, | |
sagte der erste Polizist, „vielleicht können Sie ihn ja bewegen, sich | |
freiwillig loszumachen.“ – „Dann könnten wir uns den ganzen Zinnober mit | |
Riesenflex, Betäubungsgewehr und so weiter sparen“, ergänzte der andere. | |
„Sie würden mit einem Betäubungsgewehr auf ihn schießen!?“, stotterte ic… | |
aber die beiden grinsten nur. Wahrscheinlich hat die Polizei doch mehr | |
Humor, als man denkt. | |
Auf dem Goetheplatz hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Ein | |
paar Leserbriefschreiber schwenkten Transparente mit Aufschriften wie „Hebe | |
Dich hinweg, Abrissbirne!“ Mittendrin, tatsächlich festgekettet, saß | |
Raimund. | |
„Was soll das, willst du noch Karriere als Märtyrer machen?“, raunzte ich | |
ihn an. „Quatsch!“, maulte er, „aber wenn sie diese Halle plattmachen, | |
reißen sie ein Loch in mein Leben!“ – „Du bist meschugge!“, murmelte i… | |
„Meschugge, ich?!“, kreischte er: „Erinnerst du dich nicht mehr an The Big | |
Easy?“ | |
The Big Easy war eine legendäre Party, die wir in einer heißen Julinacht | |
des Jahres 1991 spontan und zusammen mit vielen zufälligen Passanten | |
gefeiert hatten. Raimund hatte damals sehr tief in ein paar blaue Augen | |
geguckt, nach denen er anschließend monatelang die Stadt absuchte. | |
„Mann!“, sagte ich: „Das ist über fünfundzwanzig Jahre her!“ – „N… | |
spielt das für eine Rolle, wenn es um die eine geht, um die Liebe deines | |
Lebens!? Ich weiß, dass wir uns in einer heißen Julinacht wiedertreffen | |
werden, und zwar in diesem Häuschen!“ – „Soll das heißen, dass du hier | |
immer noch auf sie wartest?“ – „Na klar, in jeder heißen Julinacht!“ | |
Ich ächzte. Mir fehlten die Worte. Dafür stand plötzlich Theo neben mir. | |
„Aber The Big Easy war überhaupt nicht hier, sondern im alten Musikpavillon | |
im Botanischen Garten“, sagte er, „kein Wunder, dass du die Lady nicht | |
wiedertriffst, wenn du hier auf sie wartest.“ – „Was?!“, keuchte Raimun… | |
Er blickte mich entgeistert an. „Stimmt“, sagte ich und nickte sehr | |
nachdrücklich: „Theo hat recht. Das war damals im Musikpavillon.“ | |
Raimund sank in sich zusammen. Er seufzte, dann öffnete er das Schloss und | |
ließ sich unter den Buhrufen der Leserbriefschreiber zu einem Streifenwagen | |
bringen. „Ich weiß ganz genau, dass die Party in diesem Waschbetonbunker | |
stattgefunden hat“, raunte ich Theo zu. „Du weißt es, und ich weiß es. Ab… | |
Raimund offenbar nicht“, sagte er: „Manchmal muss man ein bisschen | |
flunkern, um einen Freund zu retten.“ | |
14 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
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