# taz.de -- Die Wahrheit: Die Spur des Schraubers | |
> Manchmal geht das Leben krumme Wege, wenn einer nicht Psychiater, sondern | |
> Hausmeister sein will und so das Glück findet. | |
Axo liebte Schrauben. Kreuzschlitzschrauben, Inbusschrauben, | |
Sechskantschrauben, auch Muffen, Schellen, Muttern: Was immer sich | |
zusammendrehen ließ, machte ihn glücklich. Schon auf Kinderfotos sieht man | |
ihn nicht mit Stoffhund oder Teddy, sondern Dreizehnerschlüssel und | |
Phasenprüfer, und daher ist es kein Wunder, dass er schon früh beschloss, | |
Mechaniker zu werden. | |
Sein Vater indes, der Friedhofsnachtwächter war und in den langen Nächten | |
im Friedhofswärterhäuschen die Schriften Sigmund Freuds verschlang, hatte | |
andere Pläne. Er verfügte, dass Axo Psychiater werden solle, denn er war | |
fasziniert davon, dass man aus harmlos scheinenden Träumen präzisen | |
Aufschluss über das Psychokostüm des Träumers zu gewinnen vermochte und | |
einem Menschen, der von Currywurst essenden Shetlandponys träumte, mit | |
absoluter Gewissheit eine Eierlöffelphobie auf den Kopf zusagen konnte. | |
Axo fügte sich, denn sein Vater war ein Mann, der keinen Widerspruch | |
duldete. Er studierte lustlos, aber effektiv, vertrödelte kein Semester, | |
versemmelte keine Prüfung, und obwohl er andauernd die alten Autos seiner | |
Freunde reparierte oder Ikea-Regale für sie zusammenschraubte, schloss er | |
sein Studium mit ausgezeichneten Noten und einer Promotion über Träume von | |
speisenden Pferden ab. | |
Er suchte lange nach einer Stelle. In einem Krankenhaus am linken | |
Niederrhein fand er, was er suchte. Noch vor seinem ersten Arbeitstag | |
lernte er den Klinikhausmeister kennen, der schon lange nach Höherem | |
strebte, und kam mit ihm überein, die Posten zu tauschen. Fortan befreite | |
der Hausmeister Menschen mit erstaunlichem Erfolg von skurrilen Phobien, | |
während Axo sich um die Wartung der Heizungsanlage kümmerte oder | |
Bettenaufzüge reparierte. Er war selig. | |
Ein paar Jahre später jedoch beschloss der Personalchef der Klinik | |
unglücklicherweise, sich von dem albernen Waschzwang, an dem er seit seiner | |
Scheidung litt, im eigenen Haus kurieren zu lassen. Der Mann besaß ein | |
fotografisches Gedächtnis, und als er den Hausmeister im weißen Kittel | |
erblickte, kam ihm das verdächtig vor. Am nächsten Tag schon saß der | |
Hausmeister hinter Gittern und Axo auf der Straße. | |
Fortan schlug er sich als Aushilfsfensterputzer durch, da keiner der | |
Schlossermeister oder Werkstattbesitzer, bei denen er vorsprach, sein | |
Medizinexamen als Qualifikation für eine Schrauberstelle akzeptierte. Die | |
Sehnsucht aber war übermächtig, und so begann er, nachts loszuziehen. Er | |
reparierte kaputte Fahrräder, über die er stolperte, zog wackelnde | |
Verkehrsschilder fest und schraubte in Unterführungen Mülleimer wieder an, | |
die schon vor Wochen von der Wand gefallen waren. | |
Bis heute zieht sich die Spur des Schraubers jede Nacht durch die Stadt, | |
und nie werden ihn die selbstzufriedenen Bürger, die sich unruhig in ihren | |
Betten wälzen und von Lipizzanern träumen, die Austern à la Rockefeller | |
vertilgen, für seine Verdienste ehren. Schade. | |
4 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
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