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# taz.de -- Die Wahrheit: Knallwaldo, der Schreckliche
> Was wollte man als Kind nicht alles werden – später im wirklichen Leben.
> Einer der Freunde strebte sogar die Weltherrschaft an …
Wir alle hatten ganz normale Zukunftsträume. Sommersprossen-Thorsten wollte
Privatdetektiv werden, der dicke Norbert setzte darauf, dass die Nasa bald
auch Raketen für leidenschaftliche Kuchenesser mit Überbreite bauen und ihn
mit der Leitung der ersten bemannten Marsmission betrauen würde, und ich
wartete stündlich auf einen Anruf aus Mönchengladbach, da ich
schnellstmöglich als Torschützenkönig der Bundesliga zu Ruhm und einem
dicken Bankkonto kommen wollte.
Selbst Udos Plan, einen Tante-Emma-Laden zu haben, fand niemand seltsam, da
seinem Vater der Sparmarkt an der Ecke gehörte und Udo ihn
selbstverständlich erben würde. Dass der alte Scherf den Laden in die
Pleite steuern sollte, lange bevor sein Filius mit der Schule fertig war,
war schlicht Pech – immerhin aber soll Udo später stellvertretender
Filialleiter in einem Drogeriemarkt geworden sein.
Die einzige Ausnahme war Waldemar, den alle Knallwaldo nannten. Er besaß
einen Chemiebaukasten, und oft zogen grünliche Wolken aus seinem
Zimmerfenster, die dafür sorgten, dass die Bäume im Hof eine aschgraue
Farbe annahmen und wie die Kulisse eines postapokalyptischen
Science-Fiction-Streifens aussahen.
Einmal erschütterte eine heftige Explosion den Block, in dem er wohnte.
Sekunden später stürzte er, von seiner Mutter mit erhobenem Kochlöffel
verfolgt, heraus. „Du missratener Bengel“, kreischte sie, „wirst uns noch
alle in die Luft sprengen!“ Da blieb er stehen und kicherte schrill, und
wir wussten, er war außer sich vor Vergnügen, denn wir hatten ihm schon oft
zugehört, wenn er von der Weltherrschaft sprach und deutlich machte, was er
werden wollte, wenn er groß war: ein gemeingefährliches Genie.
Wir fürchteten ihn. Es kam vor, dass Fahrradklingeln bei Berührung wie
Kartoffelboviste zerplatzten und den Radler mit einem nur schwer zu
entfernendem Stinkbombenpulver bestäubten, und es wunderte niemanden, als
Knallwaldo einmal mit der berüchtigten Bande vom Isländer Platz in unseren
Hof einmarschierte. „Wir sind gekommen, um euch zu unterjochen“, sagte der
Boss der Isländerbande und zwinkerte Knallwaldo zu, der kichernd neben ihm
stand und mit einer künstlich glitzernden Pampelmuse spielte, die
wahrscheinlich mit einer fürchterlichen Kreuzung aus Schnupfen-, Mumps- und
Durchfallerregern gefüllt war.
Insofern wartete ich mein Leben lang darauf, dass eines Abends statt des
„Tagesschau“-Sprechers plötzlich Knallwaldo auf dem Bildschirm erscheinen
und – mit einem diskreten Fingerzeig auf ein glitzerndes Raketenarsenal –
die Übernahme der Weltherrschaft verkünden würde. Es beruhigte mich daher
sehr, als ich neulich erfuhr, dass er schon vor Jahren bei einer Verpuffung
während eines Experiments mit Fliegenpilzsporen dauerhafte
Persönlichkeitsschäden davongetragen hatte, kein Interesse mehr an der
Weltherrschaft zeige und seine Umwelt lieber mit ausführlichen Vorträgen
über Goethes Abstammung von Außerirdischen plagt.
7 Jun 2016
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Psychologie
Vampire
Bier
Liebe
Freunde
Fotografie
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